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An der Krausenstraße. Eine stilisierte Kuppel erinnert an die im Krieg zerstörte Bethlehemkirche.

© Kai-Uwe Heinrich

Berliner Mauern (6): Um die Ecke gebaut

Teil 6 unserer Serie über „Berliner Mauern“ folgt der Mauerstraße in Mitte. In ihr spiegelt sich die Geschichte der Stadt.

Typisch Berlin: Eigentlich war hier ein richtig großes Bauwerk geplant – aber irgendwie ist es dann doch nicht fertig geworden. 1688 hatte der Preußenkönig Friedrich I. eine nach ihm benannte Stadterweiterung südwestlich seiner Residenz angestoßen, und diese Friedrichstadt sollte natürlich auch eine Schutzmauer bekommen. Doch behördlicherseits verzögerte sich die Realisierung der Pläne so lange, dass auf dem abgesteckten Gelände bereits jede Menge Wohnhäuser errichtet worden waren, als man 1720 schließlich das Vorhaben aufgab. Der Name „Mauerstraße“ jedoch blieb – und erinnert seitdem an ein frühes Versagen der Berliner Verwaltung.

Allerdings wollte es die Ironie der Geschichte, dass 240 Jahre später hier doch noch eine reale Mauer entstand. Der antifaschistische Schutzwall, den die DDR 1961 rund um West-Berlin zog, bekam just dort, wo die Mauerstraße stumpfwinklig aus der Friedrichstraße entspringt, seinen berühmtesten Durchschlupf, den Checkpoint Charlie. Damit wurde das eine Ende zum Niemandsland im Todesstreifen. Das andere war bereits ein Jahrzehnt zuvor geopfert worden: dem großen Bruder Sowjetunion, der seine prachtvolle Botschaft dorthin stellte, wo die Mauerstraße einst vom Boulevard Unter den Linden abzweigte.

So verwirrend vielfältig sind die Zeitschichten, die sich hier abgelagert haben, dass der Flaneur schnell den Überblick verliert. 18., 19. und 20. Jahrhundert, alles geht wild durcheinander, Kulturvolles und Kommerz, einstige und aktuelle Nutzungen. Vier Kronzeugen mögen helfen, diese Straße zu verstehen, die auf eigentümliche Weise im Schatten von Berlin-Mitte liegt – und an der sich doch die ganze bewegte Geschichte der Stadt ablesen lässt.

Theodor Fontane. In seinem Roman „Stine“ lässt der Schriftsteller zwei Protagonisten in der Mauerstraße wohnen: Der Baron, den seine Freunde „Papageno“ nennen, hat ein Junggesellendomizil im dritten Stock an der Ecke zum Ziethenplatz und hält diese „Kastellecke“ mit der weiten Aussicht für „nicht mehr und nicht weniger als den schönsten Punkt der Stadt“. Heute befindet sich hier der Eingang zum U-Bahnhof „Mohrenstraße“, zu DDR-Zeiten gab es einen Parkplatz, erst 2007 wurde die Platzanlage historisch korrekt rekonstruiert. Seitdem stehen auch wieder die Statuen von General Ziethen und dem alten Dessauer, die Baron Papageno mit preußischem Patriotismus von seinem Fenster aus betrachtet. Dahinter bewundert er das protzige Wohnhaus des Lokomotivkönigs Albert Borsig sowie Bismarcks Dienstsitz im Palais Radziwill. Beide Gebäude gibt es nicht mehr.

Immer nur eine Kusche mit einer alten Prinzessin

Für einen weiteren Adligen, der in „Stine“ eine Rolle spielt, hat sich Fontane ein Quartier vier Querstraße weiter nördlich ausgedacht. Dass Graf Haldern an der Ecke zur Behrenstraße wohnen mag, kann Baron Papageno gar nicht verstehen: „Sie sehen in das Portal der kleinen Mauerstraße hinein, ohne je etwas anderes herauskommen zu sehen als eine Kusche mit einer alten Prinzessin oder einer noch älteren Hofdame“, meckert er. „Das ist mir, offen gestanden, als point de vue nicht anziehend genug.“ Im Jahr 2019 begegnet man nicht einmal mehr den Vertreterinnen einer angejahrten Noblesse, sondern lediglich nur noch den Besuchern der Konsularabteilung der Russischen Botschaft.

Wilhelm II. Der Kaiser selber soll in den 1890er Jahren an den Plänen für das Repräsentationsgebäude der Post mitgewirkt haben, das an der Ecke zur Leipziger Straße emporragt. Neobarocker Stuck, Doppelsäulen und auf dem Dach drei Giganten, die die Weltkugel schultern: Noch mehr wilhelminischer Protz geht kaum. Das Museum neben der Zentralverwaltung der Post war zunächst nur für interne Schulungszwecke bestimmt, später wurde „jedem Fremden, der anständig gekleidet ist“, der Zutritt gestattet. Für 1,05 Mark konnte man sich zu DDR-Zeiten über die Geschichte des Brief- und Fernmeldewesens informieren, acht Jahre lang wurde das Haus dann ab 1991 saniert. Mittlerweile ist es ein Ausstellungshaus für jede Form der Kommunikation.

Kapitelle in Palmenform

Im ältesten Teil des Gebäudekomplexes ist übrigens eine Nebenstelle des Finanzministeriums untergebracht. Unscheinbar wirkt der Eingang zum „Postblock“, doch dahinter liegt ein Bürokomplex mit vier Innenhöfen, der sich fast bis zur Wilhelmstraße erstreckt und Platz für 290 Beamte bietet. Anders als der Seitenflügel des Kommunikationsmuseums an der Leipziger Straße, der ein Opfer des Bombenhagels wurde, überstand dieser Teil den Zweiten Weltkrieg weitgehend. Viele schöne Details der ursprünglichen Ausstattung sind noch in den Fluren zu entdecken: Kapitelle in Palmenform, Wandbemalungen im pompejanischen Stil, raffiniert gemusterte Bodenfliesen, aufwendig gearbeitete Türeinfassungen. Auch die originalen Paternoster-Fahrstühle funktionieren weiterhin.

Kim Il-sung. Diktatoren zögern nicht lange, wenn ihnen etwas im Wege steht. Darum setzte der Staat Nordkorea 1969 seine diplomatische Vertretung in der Deutschen Demokratischen Republik einfach mitten auf die Mauerstraße. Dort, wo die 1739 geweihte Dreifaltigkeitskirche gestanden hatte. Was nach dem Bombenschaden von 1943 von dem Gotteshaus noch übrig war, wurde gesprengt, zwei Gebäude im Stil der sozialistischen Moderne entstanden. Mit dem skurrilen Effekt, dass der Stadtspaziergänger heutzutage um die Ecke denken muss, wenn er die Mauerstraße komplett erkunden will: Auf Höhe der Kronenstraße hört sie plötzlich auf und heißt nun Glinkastraße. Nur wer am mittlerweile als Hostel genutzten Botschaftsflügel vorbeigeht, links abbiegt und dann wieder rechts, entdeckt den Fortlauf.

Eigentlich verboten: Das Hostel in der Botschaft

Seit der Verabschiedung von UN-Resolution 2321 verstößt der Betrieb des Hostels eigentlich gegen die Sanktionen, die von der Staatengemeinschaft gegen Nordkorea beschlossen wurden. Weil sie im Verdacht stehen, im Ausland Devisen für ihr Atomprogramm zu beschaffen, sollen die Nordkoreaner keine Geschäfte mehr mit ihren Immobilien machen dürfen. Die Unternehmerfamilie aber, die das Hostel seit 2008 gemietet hat, nutzt alle Rechtswege, um hier bleiben zu können. Die Unterkünfte haben übrigens authentischen nordkoreanischen Standard – und ebensolche Preise: Bei Unterbringung im 6-Bett-Zimmer kostet die Nach pro Person 21,70 Euro.

Ronald Lauder. Als in der frühen Nachwendezeit Goldgräberstimmung unter den Investoren herrschte, wollte auch der US-Milliardär zu den Gewinnern gehören. Für den von der Mauer- bis zur Friedrichstraße reichenden Bürokomplex des „American Business Centre Berlin“ beauftragte Lauder den legendären Architekten Philip Johnson. Mit Mies van der Rohe hatte der einst am Segram Building in New York gearbeitet, später der Skyline von Manhattan das AT&T-Hochhaus mit der charakteristischen pseudoantiken Dachform hinzugefügt. Für Berlin lieferte der Altmeister einen enttäuschend konventionellen Entwurf, der lässig von Claes Oldenburgs „Houseball“ ausgestochen wird, einer vor der Fassade aufgestellten knallbunten Pop-Art-Skulptur, aus der überall Möbelstücke herausquellen.

Nur ein kleines „Pling“ für den Checkpoint Charly

Daneben erinnert ein Metallgerüst in Form einer stilisierten Kuppel an die im Krieg zerstörte Bethlehemkirche. „For those who hope“ steht auf den Stufen, die den einstigen Grundriss des Gotteshauses markieren. Wohnungen gibt es wenig in dieser Ecke, an den Hauseingängen findet man dafür Firmenschilder von Rechtsanwälten, Notaren, Versicherungsmaklern sowie Unternehmen mit verdächtig unseriös klingenden Namen.

Hinter dem Philip-Johnson-Haus müssen die Autofahrer links in die Schützenstraße abbiegen. Das letzte Stück Mauerstraße ist den Fußgängern vorbehalten, die linkerhand einen dreieckigen Neubau bewundern können, der wie das New Yorker Flat Iron Building auf einem spitz zulaufenden Grundstück steht. „Triangel“ hat Josef Paul Kleihues den Siebenstöcker getauft. Was sehr angemessen ist, denn der Anblick des Checkpoint Charlie, der sich dahinter auftut, verdient ja wirklich nur ein kleines „Pling“. Seit einer halben Ewigkeit rangeln Senat und Investoren um die angemessene Aufwertung des Areals. Dabei wäre eine würdige, die Geschichte ins Heute weiterdenkende Lösung bitter nötig. Als Beweis dafür, dass in Berlin, wo sogar Straßen den Namen von unrealisierten Plänen tragen, manches dann doch zu einem guten Ende kommt.

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