zum Hauptinhalt
Uljana Wolf, Preisträgerin des Berliner Kunstpreises in der Gattung Literatur.

© Kookbooks / Timm Kölln

Berliner Lyrik: Sprachliches Tingeltangel

Unser Autor feiert den "Welttag der Poesie" mit Empfehlungen der spannenden Berliner Lyrik-Reihe Kookbooks. Die Kolumne "Fundstücke".

Zum Frühlingsanfang gab’s gerade wieder den „Welttag der Poesie“, ihn hat die Unesco zu Beginn dieses Jahrtausends kreiert. Und weil wir so mittenmang in den nervigen Gendersprachdebatten sind, könnte ein unprosaischer Blickwechsel vielleicht entspannen. Im Gedicht nämlich kann der Mond auch weiblich und die Sonne männlich leuchten, es gibt da nie den Eindeutigkeitsschein des poetisch oder politisch Korrekten.

Dichtung heißt Verdichtung. Verwandlung. Verrückung. Aus Orlando, das hat Virginia Woolf längst gewusst und Shakespeare sowieso, kann jederzeit Orlanda werden, und wer mit dem Kopf unbedingt durch die Wand will, darf es ebenso umgekehrt versuchen und mit der Wand einfach gegen den Kopf rennen. Mal sehen, wer oder was dann hohl klingt.

Mischen, verspinnen, befruchten

Ja, Poesie und Fantasie zeigen an, wie schnell die Vatermuttersprache über das allzu Selbstverständliche hinaus zur kunstvoll gekonnten Fremdsprache werden kann – weil Worte und Sätze aus allen Literaturen und Kulturen seit babylonischen Zeiten sich mischen, verspinnen, befruchten. Ausdrücklich beweist dies mit ihrem jüngsten, schlanken, dennoch reichhaltigen Gedichtband Uljana Wolf: „Meine schönste Lengevitch“, erschienen in der auch sonst höchst empfehlenswerten Lyrikreihe des Berliner Verlags Kookbooks (86 Seiten, 19, 90 Euro).

Uljana Wolf, die als gebürtige (Ost-)Berlinerin mit zugleich polnischen Wurzeln in dieser Woche 40 wird und soeben in der Gattung Literatur den Berliner Kunstpreis erhalten hat, sie lebt mit ihrem amerikanischen Mann, dem Lyriker Christian Hawkey, abwechselnd in New York und in Berlin, übersetzt selbst vor allem aus dem Englischen und jongliert wie im neuen Titelgedicht gerne mit der „Lengevitch“. Es sind Eigen- und Fremdsprachspiele in der schönen Tradition etwa der „Krimgotik“ eines Oskar Pastior und natürlich aller präsurrealistischen oder postdadaistischen Wortklangtöne von Hölderlin bis Gertrude Stein, von Konrad Bayer bis Paul Wühr.

Schon wieder zu viele Beispielsmänner? Also hören wir die Wolf: „früh begann die biegung unserer geschlechtswörter, gestaltet als kiefern vor küstendüne – geschmeidig, mit flachen wurzeln, androgynem wuchs.“ Das ist aus dem wie immer hier in Kleinschrift durchgeschriebenen Poem mit der original versalen Überschrift „Fibel minds (von den Wortarten“. Die Fibelfabel endet so: „alle artikel politisch, becher, kelle, strandhandtuch. was wir zum trocknen zwischen die stämme hängten, die schräg wuchsen, wehte immer erdachsengerade. selbst der wind drängte auf richtung, richtete ab.“

Babylonischer Dichtertum

Wer mag, kann das auch als Gendersprachkommentar lesen. Oder besser noch gendersprachfrei genießen, weil ja von „androgynem wuchs“. Ein weiteres Exempel, die „Kleine Sternmullrede“: „sist zappenduster im gedicht, welche sprache es wohl spricht? (...) an den rändern liegt so manches, nur wo lieg ich? verweilung, auch am vertrautesten nicht.“

Immer wieder spielt Uljana Wolf auf Brüderschwestern im literarisch gewitzten Geiste an, so kommt etwa die große Gertrude vor: auf dem Stein-Way zu ihren lyrischen „Tender Buttons“ („Zarte Knöpfe“) oder zur Sprechoper „Doctor Faustus lights the lights“. Das zugehörige, halb titelgebenden Gedicht heißt „Doppelgeherrede“: „ich ging ins tingeltangel, lengevitch angeln. an der garderobe bekam jede eine zweitsprache mit identischen klamotten, leicht gemoppeltes doppel.“ Wolfs Tingeltangel-Sprachlustspiel endet dann mit dem poetischen Kalauer: „wer schatten hat, muss für die spots nicht sorgen, sagte mrs. stein, packte ihre knöpfe ein.“

Und noch eine Novität bei Kookbooks will ich dazu empfehlen: Ulf Stolterfoht „Fachsprachen XXXVII-XLV“ (101 Seiten, 19,90 Euro). Die seit Jahren zum babylonischen Dichterturm wachsenden Fabel-„Fachsprachen“ des schwäbisch-berlinischen Gedankenlyrikers Stolterfoht klingen schlankweg so: „zum auftakt der phrast, ein fast knabengroßes, 200 kilogramm schweres textungetüm aus dem hause brueterich („jawohl auch ich!“), gefolgt von feinstem lyrischem isolat – allein: wer nimmt dir das ab?“

Die Antwort: Bitte zugreifen, Sie bekommen hier 200 Kilo für 200 Gramm!

Zur Startseite