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Oben. Thomas Demand ist Bildhauer, Fotograf und Gewinner des Großen Kunstpreis Berlin.

© Foto: Jörg Carstensen/dpa +++ dpa-Bildfunk +++

Berliner Kunstpreis: Nicht von Pappe

Die Akademie zeichnet Künstler in diversen Sparten aus – Thomas Demand wird mit dem großen Berliner Kunstpreis geehrt.

Musik im Rücken kann faszinieren. Den Beweis tritt Christoph Brech in einem 24-minütigen Video an. Es zeigt einen Dirigenten von hinten, besser: ein Stück seines engen Fracks zwischen den Schulterblättern bis zum Steiß. Kaum legt der Mann mit dem Dirigieren los, bewegt sich der Stoff. Der Platz wird eng, die Oberfläche zum Zerreißen gespannt. Doch schon im nächsten Moment schlägt das Kleidungsstück Falten und wirkt wie ein Medium, dass Töne in sichtbare Wellen übersetzen kann.

Während die Arbeit über die Projektionsfläche läuft, steht Brech auf der Bühne der Akademie der Künste. Bevor ihm am Pariser Platz der Kunstpreis Berlin in der Sparte Film- und Medienkunst verliehen wird, erzählt er von jenem denkwürdigen Moment. Wie er, in einem Konzert sitzend, Zeuge der kleinen visuellen Sensation wurde. Dass er Freunde befragte und von ihnen zu hören bekam, sie würden sich in Konzerten auf das akustische Erleben konzentrieren – die Sache mit dem Frack habe keiner von ihnen bemerkt. Brech gibt ihm Gestalt in seinem Video, das nichts anderes tut als auf den Rücken des Dirigenten zu fokussieren. Zwei, drei Minuten bekommt das Publikum zu sehen. Dann ist Zeit für die feierliche Übergabe des Preises durch Jeanine Meerapfel als Präsidentin der Akademie und Kultursenator Klaus Lederer. Im Lauf des Abends werden sie mehrmals auf die Bühne steigen, um neben Brech sechs weitere Künstler aus unterschiedlichen Sparten zu ehren. Etwa Dominik Lejman, für den sich die dreiköpfige Jury der Sektion Bildende Kunst entschieden hat. Während sich der gebürtige Pole, Absolvent des Londoner Royal College of Art, überschwänglich für die mit 5000 Euro dotierte Auszeichnung bedankt, scheint über der Bühne ein faszinierendes Beispiel seiner Arbeit auf. Die Projektion eines Zauns aus Maschendraht, der sich langsam an den Wänden einer Galerie entrollt – und aus dem Raum ein umzäuntes Gehege macht.

Der Entwurf wirkt visionär, ist aber aus einfachen Ziegelsteinen gemauert

Die Videoinstallation „Plot“ (2017) war Lejmans Vorschlag für den Polnischen Pavillon der 57. Biennale in Venedig. Er wurde abgelehnt. Was kaum erstaunt, weil die Assoziationen so klar politisch sind: Ein Land, das sich abschottet, macht sich selbst zum Gefängnis. Allerdings verbindet sich der Preis der Akademie, der seit 1971 jährlich von ihren Mitgliedern an eine junge Künstlergeneration vergeben wird, mit keiner konkreten Arbeit. Sie wird gezeigt, um Gästen wie David Chipperfield, Norman Forster – der in der Architektur-Jury saß – oder der Künstlerin Tacita Dean eine Idee vom Werk des jeweils Gekürten zu geben. Was Lejman preiswürdig macht, ist sein Umgang mit Videoprojektionen und klassischer abstrakter Malerei, die er zu Bildern „von existenziellen Abstürzen“ (Jury) verschmilzt. In der Sparte Architektur reüssiert Philippe Block, der auf der Biennale gefeiert wurde. Sein kühner Entwurf einer organischen Konstruktion wirkt visionär – dabei ist sie aus Ziegelstein gemauert und zitiert handwerkliches Wissen der Vergangenheit.

Wenn es an dem Abend eine Schnittmenge zwischen so unterschiedlichen Sektionen wie Baukultur, Filmkunst oder Komposition gibt, für die die 1986 in der Ukraine geborene „Klangphilosophin“ Anna Korsun den Preis bekommt, dann ist es diese Qualität. Sämtliche Kandidaten besinnen sich auf Naheliegendes. Sie interpretieren Klassiker wie der junge Theaterregisseur Simon Stone, der die Texte nach Ansicht der Jury (Hans Neuenfels, Klaus Völker und Jutta Wachowiak) nicht zerpflückt, sondern durch eigene Erfahrungen auflädt. Oder sie lesen zwischen den Zeilen wie Daniela Danz, deren literarische Figur Cons im Roman „Lange Fluchten“ nicht an ihrem Kriegseinsatz zerbricht, sondern an dem Leerlauf nach intensivster Vorbereitung. Nicht gebraucht zu werden, erklärt die Autorin, kann auch kaputt machen.

Demand ist ein Meister der Täuschung

„Die Wirklichkeit ist unendlich reich“, heißt es im Text zu Christoph Brech. Seine „Kunst verlässt sich ganz auf die Anschauung, aktiviert und schärft die Sinne.“ Zwei Sätze, die sich zum Motto des Abends machen lassen – bis hinauf zum großen Preis, der diesmal in die Sparte bildende Kunst vergeben wird. Er geht an Thomas Demand, diesen Meister der Täuschung, dessen Fotografien reale, meist hoch politische Orte abzubilden scheinen, die tatsächlich aber aus Papier nachgebaut sind. Demand verändert Details und erinnert so an den Ursprung seiner Vorlagen: Sie behaupten Realität, sind aber schon ein Produkt medialer Vermittlung. Die Badewanne, in der Uwe Barschel tot geborgen wurde, ebenso wie das Oval Office im Weißen Haus.

Die Sinne schärfen, sensibel machen: So versteht auch Demand seinen künstlerischen Auftrag. Während der Laudatio von Wulf Herzogenrath wird ein Bild aus dem Atelier des Künstlers projiziert. Ist das echt oder nur ein Surrogat? Demand wolle niemanden in seine Räume lassen, erzählt Herzogenrath, er selbst habe bloß einmal um die Ecke lugen dürfen. Pappe kann so aufregend sein.

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