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Annemie Vanackere ist Intendantin und Geschäftsführerin des Hebbel am Ufer in Berlin.

© Mike Wolff, TSP

Berliner Kulturpolitik: Am Ball bleiben bei der Geschlechtergerechtigkeit

HAU-Intendantin Annemie Vanackere war im Kulturausschuss des Abgeordnetenhauses zu Gast, um über „Geschlechtergerechtigkeit im Berliner Kulturbereich“ zu sprechen.

Lob für den rot-rot-grünen Koalitionsvertrag von einer wichtigen Stimme der Theaterwelt hören Politikerinnen und Politiker der Berliner Regierungsparteien sicher nicht alle Tage.

Um so schöner für die linken, grünen und sozialdemokratischen Mitglieder des Kulturausschusses, dass Annemie Vanackere, Intendantin und Geschäftsführerin des Hebbel am Ufer, ihren Gastbeitrag in der Sitzung vom Montag mit einem Verweis auf die Seite 99 der Vereinbarung beginnt. „Die Hälfte der Macht den Frauen“ heißt das dortige Kapitel, das die Intendantin teils mustergültig formuliert findet.

Gatekeeping-Mechanismen besser erforschen

Bei der Umsetzung dieses Zieles sieht Vanackere, die eingeladen ist, um über „Geschlechtergerechtigkeit im Berliner Kulturbereich“ zu sprechen, jedoch große Defizite und „tiefsitzende strukturelle Probleme“.

Sie verweist auf den Gender-Pay-Gap bei den KSK-Versicherten, der rund 20 Prozent betrage. Bei der Regie werde selten ein Frauenanteil von 30 Prozent überschritten, Theaterintendantinnen hat Berlin nur zwei. Besonders groß ist das Ungleichgewicht beim Zugriff auf Fördergelder: 24 Millionen Euro werden von Frauen verwaltet, 230 Millionen von Männern.

Als Gegenmaßnahmen schlägt die HAU-Intendantin vor, die Arbeitsbedingungen an Theatern zu verbessern (Entprekarisierung) und zudem die Gatekeeping-Mechanismen besser zu erforschen, die dazu führen, dass Frauen weniger häufig in hohe Positionen gelangen als Männer. Schließlich fragt sie, was denn wäre, wenn die Frauen irgendwann keine Lust mehr hätten in diesem System mitzumachen. „Gebt uns die Mittel, und wir bauen uns eigene Strukturen“, lautet ihre Forderung.

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Dass die Quote ein solches Mittel der Strukturveränderung sein kann, glaubt Theatertreffen-Leiterin Yvonne Büdenhölzer, deren Festivalausgabe im Mai pandemiebedingt nur in digitaler Form stattfand, aber erstmals mit einer mehr als 50-prozentigen Frauenquote.

Auch Büdenhölzer ist eingeladen im Kulturausschuss zu sprechen, musste aber aufgrund eines Todesfalles absagen. Ihr Statement wird deshalb von der Vorsitzenden Sabine Bangert verlesen. Die Festivalchefin umreißt zunächst die Zahlen des Theatertreffens, das seit 1964 bei den eingeladenen Stücken lediglich auf einen Regisseurinnenanteil von knapp 13 Prozent kam. Zum ersten Mal waren überhaupt erst 1980 Indizierungen von Frauen eingeladen.

Frauen müssen härter arbeiten, um auf die große Bühne zu kommen

Männern werde immer noch angeborenes Genie zugeschrieben, so Büdenhölzer. Selbst mittelmäßige Inszenierungen von Regisseuren landeten auf großen Bühnen, während Regisseurinnen dafür viel härter arbeiten müssten.

„Quoten dienen dazu, Menschen in Positionen zu bringen, in denen sie längst sein sollten“, schreibt sie. Beim aktuellen Theatertreffen sei es im Übrigen kein Problem gewesen, bemerkenswerte Inszenierungen von Frauen zu zeigen, man habe sie nur zuerst einmal sehen müssen. Insofern habe sich vor allem der Sichtungsprozess verändert.

Genauer schauen, länger suchen – das sieht Kultursenator Klaus Lederer im Grunde ähnlich. Er sagt, dass er bei der Suche nach Leitungspersonal stets zuerst nach weiblichen Vorschlägen frage. „Das Ziel muss auf allen Leitungsebenen 50/50 sein“, betont er.

In Quartalsgesprächen und Stiftungssitzungen werde das immer wieder thematisiert. Es dauere, bis manche Dinge durchdringen. „Aber wir bleiben am Ball.“ Der Erfolg einer Institution müsse sich auch an diesem Bereich messen lassen. Annemie Vanackere hat da noch eine weitere Idee: Man könnte Etats mit dem Erreichen von Quoten verknüpfen. Gut möglich, dass der Ball dann tatsächlich schneller rollt.

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