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Finstermänner. Die Doom-Metal-Combo Sunn O))).

©  Ronald Dick

Berliner Konzert von Sunn O))): Gitarrendröhnen im Kunstnebel

Zwei Stunden Klangentgrenzung: Die Drone Metal-Band Sunn O))) liefert im Festsaal Kreuzberg ein Hörerlebnis, das an die Substanz geht.

Es passiert nicht oft, dass am Einlass einer Konzerthalle Warnhinweise zur Lautstärke hängen und kostenlos Ohrstöpsel ausgegeben werden. Tatsächlich ist es kein normales Konzert, das am Dienstag im Festsaal Kreuzberg stattfindet. Die US-amerikanische Drone Metal-Band Sunn O))), die vor Kurzem ihr neues Album „Life Metal“ veröffentlicht hat, gibt sich im Rahmen des CTM-Festivals erstmals seit vier Jahren die Ehre in Berlin. Motto des Abends: „Let There Be Drone“. Und wer die Band mit dem extrem verlangsamten Doom-Metal-Sound kennt, weiß: Dies wird eine heftige Erfahrung.

Als das Licht im fast ausverkauften Festsaal ausgeht, passiert erst einmal minutenlang nichts – es ist noch nicht genug Kunstnebel im Raum. Erst als man in den ersten Reihen gerade noch den Nebenmann erkennen kann, setzt die Musik ein. Raumgreifend und formlos wie der Nebel dräuen die tiefergestimmten Gitarren, mit infernalischer Lautstärke sägt sich das Bassdröhnen ins Fundament des Festsaals. Der Boden, die Wände, der Körper – alles vibriert durch die Musik, die man fast mehr spürt, als man sie hört.

Songs oder Pausen sind nicht erkennbar

Tatsächlich versuchen einige Konzertbesucher das Ungreifbare festzuhalten und filmen mit ihren Smartphones. Nur, was überhaupt? Es dauert gut eine Viertelstunde, bis sich aus dem Dunst die Silhouetten der Musiker herausschälen: Vier Gestalten in Mönchskutten, die wie in Zeitlupe ihre Gitarren anschlagen. Feierlich und bedrückend zugleich zelebrieren die Sunn O)))-Frontmänner Stephen O’Malley and Greg Anderson ihre Metal-Katharsis, immer wieder heben sie dabei beschwörend die Arme nach oben.

Das Halbrund aus Verstärkertürmen fördert schroffe, zerklüftete Bassmassive zutage, Songs oder Pausen, die als Orientierungspunkte dienen könnten, sind nicht erkennbar. Schwer zu sagen, wie viel Zeit vergangen ist, es gibt keinen Rhythmus und Melodien schon gar nicht – es ist der pure, unerbittliche Klang, der sich in üblichen Kategorien von Musikrezeption nicht erfassen lässt. Das Gitarrendröhnen, das sich mit der Geschwindigkeit tektonischer Plattenverschiebungen voranwälzt, ist eher die Vertonung einer Weltenschöpfung oder einer Ich-Auflösung, der man sich in den Momenten, wo alles im Nebel versinkt, bedrohlich nahe wähnt.

Genießen oder ertragen - der Grat ist schmal

Es ist ein Hörerlebnis, das an die Substanz geht, psychisch wie physisch: Die Luft ist extrem schwül, die Lautstärke selbst mit Ohrstöpseln überwältigend. Rundherum stehen die Menschen mit unbewegten Minen, manche sitzen auf dem Boden, viele haben die Augen geschlossen. Ob sie dies gerade genießen oder eher ertragen, ist unklar – der Grat zwischen Trance und Agonie ist schmal.

Etwa ab dem zweiten Drittel des Konzerts hellt sich die Atmosphäre durch erlösende Keyboardflächen auf, sogar eine Posaune ertönt. Ein letztes Mal schlägt O’Malley die Gitarre an und hebt die gefalteten Hände in die Höhe, während das langgezogene Brummen ausklingt. Nach knapp zwei Stunden Klangentgrenzung herrscht auf einmal Stille, das Publikum applaudiert begeistert und erleichtert. Niemand wagt, eine Zugabe zu fordern.

Den Festsaal zu verlassen ist, als würde man aus dem Bauch des Wals wiederauftauchen. Es war eine beeindruckende, vielleicht sogar spirituelle Erfahrung, die an die Grenzen dessen gegangen ist, was Musik sein kann. Die Bezeichnung Drone oder Doom Metal ist dafür letztlich unzutreffend. Eigentlich müsste man das, was Sunn O))) machen, Postrock nennen, denn was soll danach noch kommen?

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