zum Hauptinhalt
Unsichtbar. Der französische Schriftsteller Didier Eribon beklagte die fehlende öffentliche Repräsentation der Arbeiterklasse.

© Arne Dedert/dpa

Berliner Konferenz mit Didier Eribon und Seyla Benhabib: Abschied von Freiheit und Emanzipation?

Im Haus der Kulturen der Welt diskutierten Didier Eribon, Seyla Benhabib, Wendy Brown und andere intellektuelle Schwergewichte über den Emanzipationsbegriff.

Das erste Wort der Emanzipationskonferenz ist noch nicht gesprochen, da stürmt eine Gruppe junger Menschen mit Plakaten auf die Bühne im Haus der Kulturen der Welt. Schon im Vorfeld der sozialphilosophischen Tagung kam die Frage auf, wie mit möglichen Störungen von rechts umgegangen werden könnte. Bei dieser Aktion handelt sich allerdings nicht um Identitäre, sondern studentische Beschäftigte, die für höhere Löhne kämpfen. HU-Präsidentin Sabine Kunst und TU-Vizepräsidentin Angela Ittel, die das Grußwort halten wollten, stehen stumm daneben, während das Publikum die Studierenden frenetisch beklatscht.

Ein passender Auftakt für die Veranstaltung, die 50 Jahre nach dem Mai ’68 fragt, wie Emanzipation heute aussehen kann. Organisiert von der Humboldt-Universität, der Technischen Universität sowie der Hilfsorganisation Medico International diskutieren drei Tage lang Schwergewichte der Theorie über diese Frage. Zum Auftaktpanel haben sich Seyla Benhabib, Rahel Jaeggi, Didier Eribon, Christoph Menke und Wendy Brown eingefunden. Ihre Vorträge machen deutlich, wie weit die Auffassungen davon, welche Rolle Emanzipation heute überhaupt noch spielen kann, auseinandergehen.

Emanzipation als Prozess totaler Veränderung

Im Team Pro-Emanzipation finden sich Seyla Benhabib und Rahel Jaeggi ein. Benhabib, Professorin für Politische Theorie und Philosophie an der Yale University, fordert eine neue Form globaler Solidarität, abseits von „linker Melancholie“ und „mörderischen Nationalismen“. Emanzipation sei nicht nur der Kampf gegen Ungerechtigkeit und Ausbeutung, sondern auch der Mut, eine Welt zu schaffen, in der die Freiheit ihren Platz hat. Jaeggi, Professorin für Praktische Philosophie an der HU und Initiatorin der Konferenz, sieht Emanzipation als Prozess an, der sämtliche Bereiche des Lebens betrifft. Es gehe dabei auch um die Auflösung verdeckter Herrschaftsverhältnisse. Geschlecht, Erziehung, Sexualität, Bildung, Natur spielen dabei eine zentrale Rolle.

Etwas aus der Reihe fällt der französische Soziologe, Autor und Philosoph Didier Eribon, der einen leidenschaftlichen, aber teils konfusen Vortrag über die Bedeutung sozialer Klasse im Alter hält. 15 Jahre lang jeden Tag acht Stunden in der Fabrik zu stehen hätte seine Mutter zerstört, so Eribon: „Wenn ein Körper der Arbeiterklasse alt wird, macht er die Ausbeutung für alle sichtbar.“ Vom Tod seiner Mutter im Altersheim ausgehend macht er sich Gedanken darüber, wer in der Öffentlichkeit sprechen kann und wer nicht. Seiner Auffassung nach haben einige Menschen keine Stimme im öffentlichen Diskurs, weshalb für sie gesprochen werden müsse. Diese Position droht allerdings, bestimmten Menschen ihre Handlungsmacht abzusprechen. Sie vermischt Emanzipation und Repräsentation.

Ein Trennungsbrief

Kritische Beiträge liefern Christoph Menke, Professor für Philosophie an der Goethe-Universität Frankfurt (Main), und Wendy Brown, die politische Theorie in Berkeley lehrt. Menke sieht das Paradox der Emanzipation darin, dass sie immer bereits geschehen sei und eine neue Form von Herrschaft hervorbringt: „Emanzipation heute erfolgt auf den Trümmern der gescheiterten Emanzipation der Vergangenheit.“ Befreiung fange deshalb nicht mit Kritik an, sondern damit, aufzuhören mitzuspielen und neue Gewohnheiten anzunehmen.

Den radikalsten Vortrag hält Wendy Brown mit ihrem „Trennungsbrief“ an die Emanzipation. In der neoliberalen Logik würde Freiheit gegen das Soziale und Politische ausgespielt, während rechte Gruppierungen im Namen der Freiheit auf die Straße gehen. Da die Freiheit immer hässlicher werde, falle es schwer, sich an das emanzipatorische Projekt von einst zu erinnern. Den Platz von Freiheit könnten Gerechtigkeit und Verantwortung einnehmen, schlägt Brown vor. Emanzipation sei zu sehr geprägt von der Aufklärung, zu naiv, zu eurozentristisch, zu anthropozentrisch. „Vielleicht müssen wir, aus Liebe zu unserer Erde, von dem Konzept der Emanzipation ablassen.“ Ein ernüchterndes Schlusswort im Kontrast zur euphorischen Stimmung zu Beginn der Veranstaltung.

Zur Startseite