zum Hauptinhalt
Störrische Klangvorstellunngen. Silke Eberhard, die dieses Jahr mit dem Berliner Jazzpreis ausgezeichnet wird.

© Manuel Miethe

Berliner Jazzwoche: Bürger, hört die Signale!

Rückeroberung des öffentlichen Raums: Die zweite Berliner Jazzwoche beginnt im Waldgarten des Kinos Zukunft unter freiem Himmel.

Von Gregor Dotzauer

Die Vögel am Ostkreuz haben schon gegen die Melodien der Schienentrassen angesungen, gegen das Brausen der Straßen ringsherum und den Lärm der ewigen Bauarbeiten. So etwas wie die frei improvisierten Verschlingungen des Quartetts im Waldgarten hinter dem Kino Zukunft dürften sie aber noch nie gehört haben.

Das Rufen und Locken und Tirilieren der Sängerin Cansu Tanrikulu, die flinkhändigen Kommentare des Turntablisten Ignaz Schick und die Kratzklänge der Geigerin Biliana Voutchkova und des Kontrabassisten Meinrad Kneer. Kontraktionen und Ausdehnungen im Gewebe einer ganz dem Moment entspringenden Wimmelmusik, die dem Naturgeschehen sowohl unendlich nah als auch fern ist.

Denn dies sind nicht unwillkürliche Signale, sie leben vom Willen zu einer Kunst, die in Berlin lebendiger als in anderen europäischen Städten ist. Bis die Coronapandemie die Türen zu den vielen Orten verschloss, an denen sie zu Hause war.

Zum Beginn der zweiten Berliner Jazzwoche öffnen sie sich zumindest einen Spaltbreit für ein reduziertes Publikum und Streamingkameras – oder sie bleiben gleich guten Gewissens zu, weil alles unter freien Himmel stattfindet. Hauptsache, wieder spielen, Hauptsache, wieder Beifall hören, Hauptsache, nicht ins Ungewisse senden: Das treibt die beteiligten Musikerinnen und Musikerinnen an, und in fast 60 Konzerten bis zum Ende dieser Woche gibt es quer durch die Stadt Gelegenheit, dieses Glück mit ihnen zu teilen.

Neue Farben im Sonnenuntergang

Was die IG Jazz unter der Schirmherrschaft von Klaus Lederer hier ausrichtet, ist kein kuratiertes Festival. Es ist eine kurfristig aus dem Boden gestampfte Leistungsschau dessen, was Jazz zwischen swingenden Klängen und totaler Improvisation zu bieten hat – wobei das am Mittwoch vom RBB live aus dem A-Trane übertragene Konzert der diesjährigen Jazzpreisträgerin, der Saxofonistin Silke Eberhard, so etwas wie die stilistische Mitte bildet. Es geht, sagt Lederer im Waldgarten, um die Rückeroberung des öffentlichen Raums: Wäre es nicht gelacht wenn dies der Berliner Szene nicht gelänge?

Und da verleiht dem Abend das Melt Trio in den Sonnenuntergang hinein schon wieder eine andere Farbe. Schlagzeuger Moritz Baumgärtner und seine Mitstreiter, Peter Meyer an der elektrischen Gitarre und sein Bruder Bernhard Meyer am halbakustischen Bass, stürzen sich in die rhythmisch zerklüfteten Strukturen von drei neuen Stücken.

Seit zehn Jahren überführen Sie Elemente von Progrock und Fusion in eine brodelnde Sprache, in der das vielfach Gebrochene und das anstrengungslos Fließende eins werden. King Crimson blitzen auf und der elektrische Ornette Coleman und tun doch das, was der Name des Trios will: Sie verschmelzen.

www.jazzwoche.berlin

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false