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Mittag gibt’s um zwölf. Der Reiterhof Kühne-Sironskis sind auf Springreiterei spezialisiert.

© Kitty Kleist-Heinrich.

Berliner Höfe (5): Reiterhof Kühne-Sironski in Lübars: Ruhig, Brauner!

Wo die Stadt Dorf ist: Auf dem Reiterhof Kühne-Sironski in Lübars ticken die Uhren anders. Seit 350 Jahren schon.

Es sind nur zwei Männer, die den Weg hinunterkommen, aber jeder von ihnen trägt ein seltsames Gerät. Einen Rasentrimmer. Als sie bei den Sandplätzen sind, auf denen Pferde stehen, legt einer von ihnen sein Gerät ab und verschwindet durch eine Hecke.

Da liegt es nun. Rührt sich nicht und macht auch kein Geräusch. Und dennoch: Wild rennen die Pferde weg, prusten laut, halten inne, starren Richtung seltsames Gerät. Pirschen sich wieder vor, flüchten erneut, ein paar Mal geht das so immer hin und her.

Dann kommt der Mann zurück. Er hebt das Gerät auf und geht mit ihm davon, ohne die Pferde zu beachten. Die glotzen ihm mit gespitzten Ohren hinterher.

An einem normalen Sommermorgen kann das als Action gelten, hier auf dem Reiterhof Kühne-Sironski in Lübars, auf dem der Takt seit Anfang der 70er Jahre von Pferden bestimmt wird.

Sie fegt nicht nur so, sondern aus Tradition

Mit einem Reisigbesen fegt Ute Kühne-Sironski, eine kurz frisierte Blondine, groß und fesch, die „stramm auf die 60 zugeht“, wie sie es formuliert, letzte Strohhalme zwischen Wohnhaus und Scheune zusammen. Vorher wäre sie nicht zufrieden gewesen. Denn sie fegt hier nicht nur für den Augenblick, sie fegt hier aus Tradition.

Hüa, Pferdchen. Eins von 35, die auf dem Hof in Lübars leben.
Hüa, Pferdchen. Eins von 35, die auf dem Hof in Lübars leben.

© Kitty Kleist-Heinrich

Seit 350 Jahren ist ihre Familie ins Lübars ansässig, heißt es, aus dem Jahr 1770 soll der steinerne Backofen stammen, der heute noch steht. Um 1850, da war Gottfried Kühne Eigentümer des Grundstücks, bestand der Hof ausweislich einer Bezirksbroschüre aus einem strohgedeckten Fachwerkwohnhaus, „dessen hofseitiger Teil Stallräume enthielt“, und noch zwei kleineren Ställen.

Der nächste Kühne, Wilhelm mit Namen und Großvater der flotten Fegerin, ließ anbauen: Pferdestall, Kuhstall, Kutschenremise, 1909 das neue Wohnhaus auf dem Platz des alten, und vererbte das alles weiter an Sohn Joachim, der es weitergab an die mittlere von drei Töchtern. Und weil die den alteingesessenen Namen nicht aufgeben wollte, ruft sie sich seit der Heirat mit ihrem Sandkastenfreund, dem Springreiter Frank Sironski, mit Doppelnamen.

Hier hat alles einen Platz und eine Zeit

Der angeheiratete Hausherr macht im Stall gerade ein Pferd zurecht, das er gleich trainieren wird. Vorher kommt er kurz zu seiner Frau, die inzwischen am Tisch unter den Bäumen hinterm Wohnhaus einen selbst gebackenen Kuchen zerteilt. Er telefoniert laut, sie schickt ihn weg, „kannst du das mal woanders machen?“.

Denn hier hat alles einen Platz und eine Zeit – und ist damit auf eine Art das völlige Gegenteil vom Rest Berlins, dem Zentrum zumal, das ja eher durch Regellosigkeit glänzt. Auch wenn man nie lange warten muss, bis Lübarser erwähnen, wie schnell sie mit Bus und U-Bahn im Zentrum seien – aber wieso sollte man da noch hinwollen, wenn man erst mal in dieser top-organisierten Idylle ist?

35 Pferde wechseln reihum ihre Plätze zwischen Stall, Sandauslauf und Wiese, bekommen drei Mal täglich Heu und Hafer vom eigenen Acker. Menschen essen Frühstück um 7 Uhr 30, Mittag um zwölf, Abendbrot 18 Uhr. Jeweils in der Küche, die im Souterrain des Wohnhauses ist, wegen früher: Als das Haus entstand, gab es keine Kühlschränke, man machte sich die Kühle des Halbkellers zunutze. Der lange Tisch, der in der Mitte steht, sei mehr als 100 Jahre alt, sagt Ute Kühne-Sironski: „Wenn der reden könnte!“ Kann er aber nicht. Also erzählt sie.

Das Wohnhaus folgt nicht mehr der Fenster-Geld-Regel

Dass ihr Wohnhaus das letzte der großen Bauernhäuser gewesen sei, die am Lübarser Anger entstanden, was man auch daran erkennen könne, dass es nicht mehr der alten Fenster-Geld-Regel folgt: Die meisten Häuser in Lübars haben fünf Fenster, die sich zur linken und rechten Seite der Haustür verteilen, manche aber auch sechs, die waren reicher, manche nur vier, die waren eben ärmer. Kühnes Haus dagegen ist villenartiger, geht mehr in die Höhe und schmückt sich mit einem großen Giebel. Lange Jahre sei das hier ein traditioneller Bauernhof gewesen, sagt Ute Kühne-Sironski: „Vieh, Acker, Kartoffel.“ Dann kam die Mauer, und das wichtigste Gut des Landwirts, der Boden, wurde knapp. Kühnes stellten auf Bullenzucht um, aber auch das rentierte sich bald nicht mehr.

Einige der Bauern gaben auf, statt wie früher 16 teilen sich heute sieben Höfe die Lübarser Fläche. Und die stellten nach und nach die Pferde der eingekesselten Berliner, Luxusartikel allesamt, unter. Erst in Ständerhaltung, dann errichteten sie richtige Boxen, und wann immer Platz war und Geld vorhanden, bauten sie an, „peu à peu“, sodass eine verwinkelte Unterbringungsarchitektur für heute 35 Tiere daraus wurde, in deren einem Ende sogar ein umzäunter Spielplatz für die Kinder der Pferdebesitzer steht. Damit die nicht irgendwelchen Tieren zwischen die Beine geraten.

Das Wohnhaus am Lübarser Anger ist als eins der letzten großen Bauernhäuser entstanden.
Das Wohnhaus am Lübarser Anger ist als eins der letzten großen Bauernhäuser entstanden.

© Kitty Kleist-Heinrich

Nie habe sie hier weggewollt, sagt Ute Kühne-Sironski, nicht einen Tag lang. „Nicht mal nach Tegel!“ wäre sie gezogen. Lübars ist ihre Heimat, der Hof ihr Leben – und wie der aussieht, ihr Verdienst. Blumenpracht über Blumenpracht, im Beet vor und rund ums Wohnhaus, in Vasen und Krügen über den ganzen Hof verteilt. Arrangiert mit Gießkannen oder kleinen Tischchen, alles feinste Postkartenlandschaft.

Hier regiert der Sinn fürs Schöne

Hier regiert, das sieht man gleich, nicht allein der Land- oder Pferdewirt, dem im Allgemeinen die Zweckmäßigkeit über alles geht. Hier regiert jemand mit Sinn fürs Schöne. Und wenn dann ein Pferdebesitzer mit seinem Pferdeanhänger auf dem Hof herumrangiert und ungeübterweise einen der prächtigen Blumenkübel umhaut, dann heult Ute Kühne-Sironski, und ihr Mann schreit, wozu das ganze Zeug hier auch rumzustehen habe, erzählt sie und lacht.

Die hintere Wohnhaustür geht auf, Mutter Renate Kühne kommt heraus. 80 Jahre alt ist sie inzwischen, ihr Mann seit ein paar Jahren tot. Drei Generationen leben auf dem Hof – und vielleicht bald vier. Enkel Boris, um die 30, und seine Freundin wohnen bereits zusammen im umgebauten Kutscherhaus hinter dem Wohnhaus und planen ihre Hochzeit. Früher warteten darin die Kutscher auf ihre Herrschaften, wenn die zu Besuch bei Kühnes waren.

Renate Kühne kennt das Leben auf dem Hof noch als beinharte Knochenarbeit. Ihre Schwiegermutter damals sei ein Drache gewesen, sagt sie, und habe sie schuften lassen. Es hieß kochen für alle Mann, melken, putzen und schleppen von früh bis spät. Und wie der Hof damals aussah! Der Mist lag zwischen Haus und Scheune, stank und gärte vor sich hin. Hinten die Äcker, da waren die Kartoffeln. Sie hielten Kühe und Schweine. 1920 kauften sie einen ersten Trecker, einen Lanz Bulldog, auf dem mussten sie alle fahren lernen. Renate Kühne kichert bei der Erinnerung daran.

Lübars, das letzte Dorf Berlins

1920 war auch das Jahr, in dem Lübars, das letzte Dorf Berlins, mit elf umgebenden Landgemeinden und Ortsteilen zum 20. Berliner Verwaltungsbezirk Reinickendorf zusammengeschlossen wurde.

Ein Pferd klackert übers Kopfsteinpflaster, Sohn Boris Sironski, Springreiter und Reitlehrer wie der Vater, reitet vorbei.

Mit dem Pferd fanden die Lübarser eine neue Erwerbsgrundlage. Nicht immer kampflos, aber dennoch zuletzt einvernehmlich hätten die Höfe unterschiedliche Profile entwickelt, um sich nicht gegenseitig Konkurrenz zu machen, sagt Ute Kühne-Sironski. Ihr Hof bietet vor allem Springreiterei, regelmäßig finden Turniere bei ihnen statt, dann ist so richtig was los in Lübars. Der Nachbar hat mehr Dressur im Angebot. Es gibt Ponyhöfe für die Kleinen und auch Reitschulen für jedermann.

Einmal mussten die Lübarser allerdings auch um das Geschäftsmodell Pferd bangen: Als den Berliner Reitern nach dem Mauerfall plötzlich die Weite Brandenburgs zu Füßen lag und die nur noch rauswollten. 450 Reiterhöfe hätten im Speckgürtel aufgemacht, sagt Ute Kühne-Sironski, und schwupps, seien bei ihnen 20 Boxen frei gewesen. Verständlich, sagt sie, aber leider auch ruinös. Damit die Lübarser Höfe nun nicht reihenweise pleitegehen, habe das Bezirksamt 1996 den Bau von Reithallen erlaubt, was zuvor jahrzehntelang wegen Denkmalschutzbelangen verboten gewesen sei. Überhaupt: Die ganzen Schutzprojekte, ob für die Gebäude oder für die das Dorf umgebende Natur, hätten für die Betriebe meist nur Schwierigkeiten bedeutet – oder wie die Hausherrin es formuliert: „Man darf nichts.“

Es geht allmählich auf Mittag. Die beiden Rasentrimmermänner, die morgens die Pferde erschreckt haben, sitzen schon bei Mutter Renate am Tisch. Mann und Sohn haben ihre Pferde zurück in den Stall gebracht, und auch Bald-Schwiegertochter Franzi hat abgesattelt.

Aus dem Souterrain riecht es nach Essen. Reiten Sie eigentlich auch, Frau Kühne-Sironski? Da lacht sie und ruft: „Ich auch noch? Das wäre ja grauenvoll!“ Genug zu tun hat sie auch so.

Am Tag des Offenen Denkmals am 13. September gibt es um 13.30 Uhr eine Führung über den Hof.

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