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Janz weit draußen: In der ehemaligen West-Berlin-Enklave Steinstücken liegt das Landhaus.

© Thilo Rückeis

Berliner Häuser (13): Hier soll die Sonne reinschauen, nicht die Gestapo

Erich Mendelsohn baute in Steinstücken ein Landhaus für den Arzt Curt Bejach. Das spielte sogar im Ufa-Klassiker "Die Drei von der Tankstelle" mit. Jetzt ist es Stiftungssitz.

Der Beginn ist ein Bankrott. Frohgemut singend fahren die Freunde Willy Fritsch, Heinz Rühmann und Oskar Karlweis vor, halten mit quietschenden Reifen, spazieren Arm in Arm durch die Pergola aufs Haus zu, allein: niemand da. Nur ein großer schwarzer Hund, der sie begrüßt – und Heinz Rühmann sichtbar Respekt einflößt –, und ein Stapel ungeöffneter Briefe. Wenige Minuten später trifft der Gerichtsvollzieher ein, der alle Möbel gepfändet und die Brigade gleich mitgebracht hat, um sie abzuholen „Lieber, guter Herr Gerichtsvollzieher, geh’n se weg, Sie finden nichts bei mir“, singen die Freunde. Mit einem Sprung durch das große Glasfenster fliehen sie aus dem Haus, in eine ungewisse Zukunft.

Das Gebäude mit der großzügigen Auffahrt, den weiten Glastüren und dem charakteristischen, durch Wechsel aus Ziegel und Putzschichten gebildeten Querstreifenschmuck an Fassade, Gartenmauer und Pergola, das in dem Ufa-Klassiker „Die Drei von der Tankstelle“ als Villa des Pleitier-Trios fungiert, steht heute noch. Es ist das Landhaus, das der Berliner Architekt Erich Mendelsohn 1927/28 für den Kreuzberger Arzt und Gesundheitsreformer Curt Bejach erbaute. Weit draußen, in der einstigen West-Berlin-Enklave Steinstücken, hat es jahrzehntelang im Dornröschenschlaf gelegen.

Der Architekt Helge Pitz, der sich mit Sanierungskonzepten der Berliner Großsiedlungen der zwanziger Jahre und Mendelsohn-Bauten wie dem Potsdamer Einstein-Turm oder dem alten Universum- Kino (heute Schaubühne) bestens in der Zeit auskennt, hat es 1992 gekauft und zum Sitz der 2009 gegründeten Erich- Mendelsohn-Stiftung gemacht. Irgendwann, so träumt er, soll hier ein Forschungszentrum zur Architektur der Moderne jenseits des Bauhauses entstehen. Mit Bibliothek, Arbeitsplätzen und Stipendiatenwohnungen.

Noch allerdings liegt das Haus verwunschen und etwas verwildert da. Der Boden rundum ist aufgerissen, die Außenhaut muss abgedichtet werden, das Souterrain war feucht. „Pfusch am Bau“, kommentiert Helge Pitz, der mit der schlechten Bauausführung von Mendelsohn-Häusern schon leidvolle Erfahrung gemacht hat. Ende des Jahres, hofft er, werden die Außenarbeiten abgeschlossen sein. Dann kann man daran denken, im Keller eine Stipendiatenwohnung einzurichten. Daria Joseph, die Urenkelin von Erich Mendelsohn, hat hier schon übernachtet, als sie auf den Spuren der Bauten ihres Urgroßvaters in Berlin war. Derzeit ist ein italienischer Architekturhistoriker zu Gast, der über Alfred Messel forscht.

Luxuriös, so wie das Haus im Ufa-Film dargestellt wird, ist es allerdings keineswegs: Es ist eins von Mendelsohns kleineren Wohnbauten. Der Bauherr, Curt Bejach, Gründer des Gesundheitszentrums Am Urban, wo die Bevölkerung durch Aufklärung und präventive Medizin zu gesünderem Leben erzogen werden sollte, war für seine Bescheidenheit bekannt. So beschreibt es Dietlinde Peters in dem gerade in der Reihe „Jüdische Miniaturen“ erschienenen Biografieband „Curt Bejach, Berliner Stadtarzt und Sozialmediziner“. Seine Tochter Jutta erinnert sich, dass einmal eine Delegation von Frauen im Bezirksbüro auftauchte und wissen wollte, was der Herr Doktor denn mittags so speist. „Der isst ja schlechter als wir!“, war die erstaunte Reaktion.

Von dieser Bescheidenheit kündet auch das Haus: 150 Quadratmeter Wohnfläche, im Erdgeschoss der großzügige, von zwei Seiten belichtete Wohnraum, daneben Herren- und Damenzimmer, verbunden durch eine „Halle“, die eher ein schmaler Flur ist, im Obergeschoss dann die Schlafzimmer der Kinder und Eltern plus Fremden- und Mädchenzimmer. Vorn zur Straße hin der „große Garten“ mit Spielwiese, hinter dem Haus der geschützte, „stille“ Garten. Das Haus bildet den Querriegel dazwischen, in optimaler West-Ost-Ausrichtung. Breite Fenster lassen viel Licht hinein, eine großzügige Dachterrasse kann als Sommer-Aufenthaltsort genutzt werden. Schutz durch Hecken und Gartenmauer, Offenheit für Licht und Grün: ein idealer Rückzugsort für einen modernen Mediziner, der an die heilende Wirkung von Luft und Licht glaubt. Eine Utopie allerdings, die nur wenige Jahre hielt. Der Philosoph Ernst Bloch, der ebenso wie Bejachs Architekt Erich Mendelsohn schon 1933 emigrierte, klagte: „Die Glastüren bis zum Boden setzen wirklichen Sonnenschein voraus, der hineinblickt und eindringt, keine Gestapo“.

Auch Curt Bejach, der Bauherr, der sein Haus 1928 bezog, erlebt nur wenige glückliche Jahre hier: 1931 stirbt seine Frau Hedwig an Tuberkulose, er bleibt mit den drei Töchtern allein. Im August 1933 wird er als Kreuzberger Stadtarzt von den Nazis aus dem Amt gejagt, 1936 muss er sein Landhaus zwangsverkaufen. 1938 entzieht man ihm die Approbation, 1942 wird er zur Zwangsarbeit in einem Kriegsgefangenenlager bei Eberswalde verpflichtet. Die beiden jüngeren Töchter konnte er 1939 mit einem Kindertransport nach England schicken, sie landen in der Familie des späteren Filmregisseurs Richard Attenborough. Die älteste Tochter Jutta, die schon erwachsen war, bleibt in Berlin. Im Januar 1944 wird Curt Bejach von Moabit aus nach Theresienstadt deportiert, im September dann weiter nach Auschwitz. Sein Todesdatum wird mit dem 31. Oktober 1944 angegeben.

Viel erhalten hat sich nicht von den Spuren der Bewohner, nur ein Stolperstein vor der Einfahrt erinnert an ihn. Auch die Details, die Mendelsohn plante, sind größtenteils verschwunden, die Wandverkleidung des Wohnzimmers fehlt, auch die Glastür zur Halle. Nur einige Einbauschränke im Obergeschoss und Details wie das Treppengeländer und die Doppelfenster künden von Mendelsohns praktischer Platzaufteilung. Die Übernahme durch einen hohen NS-Funktionär und der Weiterverkauf nach dem Krieg haben das Haus zwar äußerlich erhalten, und doch schwingt die Geschichte von Vertreibung und Verlust immer mit. Der letzte Eigentümer, der das Haus 1964 für 9000 Mark kaufte, hat großzügig modernisiert, einen Pool in den Garten gebaut, Halle und Herrenzimmer zu einem Raum verbunden. Für Rekonstruktionen, so er sie denn wollte, fehlt auch Helge Pitz das Geld.

Die fröhliche Unbekümmertheit, mit der die „Drei von der Tankstelle“ sich 1930 über Bankrott und Zwangsversteigerung hinwegsetzen und mit einer Tankstelle an der Landstraße ein neues Leben beginnen, bleibt Utopie aus Wirtschaftskrisenzeiten. Ein Landhaus, so bescheiden es auch sein mag, denkmalgerecht zu erhalten, ist auch heute noch eine Herausforderung. Immerhin versucht der heutige Eigentümer Helge Pitz viermal im Jahr, mit Vorträgen und Abendveranstaltungen Mendelsohns und Curt Bejachs Erbe in der Öffentlichkeit wachzuhalten. Zuletzt ging es um Werner Richard Heymann, der die Musik zu „Die Drei von der Tankstelle“ komponierte. Auch er verlässt Deutschland 1933. Und dichtet drei Jahre zuvor: „Lieber, guter Herr Gerichtsvollzieher, geh’n se weg, sie finden nichts bei mir. Bald wird uns die Stunde schlagen, wo wir nicht mehr Smoking tragen, ach, wie wird’s uns da zumut. Polo spielen, Austern essen, alles müssen wir vergessen, ach, wie weh doch so was tut.“

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