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Berliner Galeristen in China: Der große Strom

Schanghai im Kunstrausch: Die Messen West Bund Art & Design und Art021 ziehen Top-Galeristen an.

Zum Auftakt der Kunstwoche in Schanghai reiste auch der französische Staatspräsident an. Höchstpersönlich eröffnete Emmanuel Macron die neue Dependance des Pariser Centre Pompidou im Westbund Museum in Schanghai, entworfen vom britischen Stararchitekten David Chipperfield.

Finanziert vom staatseigenen Unternehmen The West Bund Group, materialisiere der helle Bau am Huangpu River „das bisher größte kulturelle Austauschprojekt“ zwischen Frankreich und China, so Centre-Pompidou-Direktor Bernard Blistène. Die Premierenshow „The Shape of Time“ versammelt eine Art Best-of der Sammlung des Museums mit Werken von Pablo Picasso und Piet Mondrian bis hin zu chinesischen Künstlerstars wie Zhang Huan und Cai Guo-Qiang.

Das chinesisch-französische Netzwerk wirkt gleich am nächsten Tag weiter, als Kurator Jérôme Sans in der Villa von Prada Rong Zhai im Jing’an District die Soloshow „Rear Windows“ des 1981 geborenen Li Qing eröffnet. Inspiriert von Alfred Hitchcocks Thriller „Fenster zum Hof“ implementiert der Multimediakünstler Bildsequenzen unterschiedlicher Genres und Epochen, darunter Impressionen aus der historischen Villa wie den Karaoke-Raum oder die Schlafzimmer in nostalgische Bilderrahmen.

„Li Qing zeigen wir im Februar in einer Einzelpräsentation“, sagt Kerstin Wahala, Direktorin der Berliner Galerie Eigen + Art, und spinnt den Faden während der Vorbesichtigung der sechsten „West Bund Art & Design“-Messe bis nach Deutschland. Entdeckt hat sie ihn wie auch andere Künstler bei einem Studiobesuch an der Akademie seiner Heimatstadt Hangzhou.

„Zehn Jahre Vorarbeit haben sich gelohnt“, so Wahala, „jetzt kaufen die asiatischen Sammler bei uns.“ Am Previewtag hat sie in der ersten Stunde eine Papierarbeit von Neo Rauch weitergegeben (24 000 Euro); ein kleines Gemälde des Künstlers (330 000 Euro) ist noch zu haben wie auch Werke von Kai Schiemenz oder Olaf Nicolai.

An die 100 internationale Galeristen sind angereist

Wie schon in den Jahren zuvor sind knapp 100 weitere internationale Galeristen zur staatlich finanzierten West Bund Art & Design unter der Direktion des Künstlers Zhou Tiehai nach Schanghai gereist. Mehrere von ihnen präsentieren sich erneut auch auf der parallel stattfindenden, bereits 2013 gegründeten Messe „Art021“ im Shanghai Exhibition Center, das 1955 im Stil sowjetischer Paläste gebaut wurde. Neben Gagosian, Hauser & Wirth, Zwirner, White Cube, Chantal Crousel, Simon Lee, Continua, Krinzinger, ShanghART und Emmanuel Perrotin gehört auch die Pariser Galerie Almine Rech dazu.

Vor Kurzem hat sie elegant weite Räume im selben Haus in der Huqqiu Road 27 eröffnet, in dem bereits Lisson und Perrotin residieren. Zur Messe zeigt sie eine neue magische LED-Lichtinstallation von James Turrell, die den Wahrnehmungshorizont der Betrachter aufbricht. Sie mag das europäische Flair der Stadt seit Langem und ist überzeugt, dass das „Centre Pompidou für den ost-westlichen Dialog und damit auch den Markt wie ein Magnet wirken wird“.

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Ja und nein. Thaddaeus Ropac, der sich dieses Jahr auf die West Bund Art & Design konzentriert, erwähnt den aberwitzigen Strafzoll von 38 Prozent, der ab sofort dank Donald Trumps Handelskrieg mit China auf Werke amerikanischer Künstler zu entrichten ist. „Eine Steuer, die wohl kaum ein Sammler zu zahlen bereit sein wird.“ Trotzdem hat er ein monumentales Werk der „Copperhead“-Serie von Robert Rauschenberg mitgebracht (1,7 Mio. Dollar). Es gilt, Haltung zu wahren.

Acrylbilder treffen den Nerv der Instagram-Generation

Noch lassen sich die bekannten Sammler und Ehrengäste beider Messen wie Uli Sigg, Budi Thek, Guan Yi oder Wang Wei, die zusammen mit ihrem Mann Liu Yiqian an zwei Orten in der Stadt das Long Museum gründete, die Laune nicht verderben. Zwar laufen die Geschäfte langsamer als etwa auf der Art Basel in Hongkong, doch damit können Galeristen umgehen: Zahlreiche Händler nennen Reservierungen, so Esther Schipper für Simon Fujiwaras museumswürdige Arbeit „Anne Frank’s Birthday Cake“ (80 000 Euro) oder die Direktorin der Lisson Galerie für einen Steinkreis des Landart-Pioniers Richard Long.

Rege Nachfrage erlebt Maxime van Melkebeke von Salon 94 aus New York mit dem Glam-Minimalismus von Sylvie Fleury. Ihre Acrylbilder in den pudrigen Tönen von Rouge-Paletten (75 000 Euro) und Replika der stacheligen Balenciaga- Pumps in vernickelter Bronze (75 000 Euro) treffen den ästhetischen Nerv der Instagram-Generation. Am Stand von ShanghArt fotografieren Fans Starkünstler Yang Fudong. Für seine nahezu ausverkaufte Diptychon-Serie „Beyond GOD and Evil – Enemies of Truth“ löst Fudong Fotografien auf der linken Tafel hinter Schwarz- und Spiegelglas in diffuse Chimären auf, auf der rechten synchronisiert er sie mit Zitaten des Philosophen Friedrich Nietzsche.

Freddy Kornfeld, der zum ersten Mal auf der Art021 ausstellt, schwelgt im Premierenglück. Er hat die über zwei Meter hohe, weiß lackierte kinetische Stahlskulptur „Man & Woman“ (150 000 Euro) der georgischen Künstlerin Tamara Kvesitadze bereits verkauft. Ihre Riesenformate sind begehrt, gerade stellte sie in der ungefähr eine Stunde von Schanghai entfernten Metropole Wuxi die über 18 Meter hohe Plastik „Blumen Mensch“ fertig.

Auch die Parallelmesse kann mit einer Riege hochkarätiger Galeristen auftrumpfen. Die meisten zeigen sich optimistisch, so Urs Meile aus Luzern, Victor Gisler von Mai 36 aus Zürich, Kukje aus Seoul und Busan, Kasmin aus New York, Kordansky aus Los Angeles, Kamel Mennour und Balice Hertling aus Paris sowie Peres und Carlier Gebauer aus Berlin.

Die Nähe des Centre Pompidou ist ein Standortvorteil

Die West Bund Art & Design hat möglicherweise einen kleinen Standortvorteil, nicht nur wegen ihrer Nähe zum neuen Centre Pompidou, sondern auch zu Galerien in unmittelbarer Nachbarschaft wie Ota Fine Arts oder Edouard Malingue. Auch das Yuz Museum, das Long Museum und TANK Shanghai liegen in der Nähe, ein von dem Unternehmer und Sammler Qiao Zhibing gegründeter Projektraum. Dort hat Cyprien Gaillard seine höchst sehenswerte Arbeit „Ocean II Ocean“ installiert, für die er unter anderem in Metrostationen der früheren Sowjetunion filmte. Im Long Museum lockt „The Autumn of Paradise“ von Jean-Luc Mylene und im Yuz Museum „Nine Journeys Through Time“.

Auf dem Weg durch die Messe nach draußen stoppt fast jeder Besucher vor Tony Martellis täuschend lebensechter Skulptur eines knapp über dem Boden schwebenden Mannes in Shorts und kariertem Hemd am Stand der Galerie Marlborough. Die Arbeit „Josh“ aus dem Jahr 2010 suggeriert eine Art Levitation der Figur, einen sanften Anstieg nach oben. Unwillkürlich hält man den Atem an: Oder steht hier ein harter Aufprall unmittelbar bevor?

[West Bund Art & Design und Art021, Schanghai; beide bis 10. 11., www.art021.org und www.westbundshanghai.com]

Eva Karcher

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