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Türsteher mit großen Träumen. Udo Seidler (rechts) spielt in Uwe Frießners zweiten Spielfilm "Baby" den Titelhelden.

© Basis Verleih

Berliner Filmemacher Uwe Frießner: Die Außenseiter im Blick

Sozialkritische Filme aus den Achtzigern: Das Zeughauskino widmet dem Berliner Regisseur Uwe Frießner eine längst überfällige Retrospektive.

Von Andreas Busche

Angenommen, die deutsche Kinogeschichte wäre eine zusammenhängende Erzählung. Wie verlockend ist da die Vorstellung, dass sich Ende der siebziger Jahre die Wege von Christiane F und Thomas Kufahl zwischen Bahnhof Zoo und Ku’damm kurz gekreuzt hätten. Es ist nur ein Gedankenspiel: Als Kufahl 1979 in Uwe Frießners „Das Ende des Regenbogens“ den jungen Jimmi spielt, der sich mit Diebstählen und Prostitution über Wasser hält, war die Reportage „Wir Kinder vom Bahnhof Zoo“ bereits erschienen. Doch die Gegend war dieselbe. Das goldene Dreieck zwischen Zoo, Gedächtniskirche und U-Bahnhof Uhlandstraße galt im alten West-Berlin als Sammelbecken für Junkies, Stricher, Kleinkriminelle und jugendliche Obdachlose.

Hier drehte Frießner, mit einem Abschluss an der Deutschen Film- und Fernsehakademie in der Tasche, sein phänomenales Regiedebüt, für das er den hübschen, androgynen Kufahl von der Straße castete. Auch 40 Jahre später sieht der Film noch wie das uneingelöste Versprechen des deutschen Kinos aus, das Ende der Siebziger schon reichlich abgekämpft wirkte. Schlöndorff und Wenders waren in Hollywood angekommen, Petersen sollte kurz darauf mit „Das Boot“ den Neuen Deutschen Film einmotten, und dann starb noch Fassbinder.

Frießner war Filmemacher, kein Sozialarbeiter

Uwe Frießner, dem das Zeughauskino in den kommenden Woche eine längst überfällige Werkschau widmet, fiel in diesem Klima aus unerklärlichen Gründen durch das Raster der Entscheider und Förderer – obwohl „Das Ende des Regenbogens“ 1980 den deutschen Filmpreis gewann und Kufahl als bester Darsteller ausgezeichnet wurde. In Unkenntnis des deutschen Kinos jener Jahre könnte man Frießners Debüt leichtfertig in eine Schublade mit anderen gesellschaftskritischen Filmen stecken, für die das Kino der sozialdemokratischen Bundesrepublik in der Kohl-Ära oft verspottet wurde.

Aber Frießner war Filmemacher, kein Sozialarbeiter. Er wollte sich weder moralisch erheben noch belehren, sondern Einblicke geben in ein Stück marginalisierter West-Berliner Lebenswirklichkeit. Jimmi driftet mit seinen Kumpeln durch die Straßen, lässt sich von Freiern aushalten, findet Unterschlupf in einer WG (mit Udo Samel und Heinz Hoenig), scheitert in einfachsten Jobs und endet wieder in der Kriminalität. Frießner hat ein Ohr für die Sprache der Jugendlichen aus schwierigen Elternhäusern, wenn sie wieder „’nen Fernsehladen klarmachen“, aber er zeigt auch ihre Perspektivlosigkeit. „Wenn ich an meine Zukunft denke, krieg ich ’nen Horror“, meint Jimmi einmal.

Schwer zu sagen, warum der Film Frießner nicht alle Türen öffnete. Auch Roland Klick, der Frießner in mancher Hinsicht nahesteht, scheiterte mit einem ähnlichen Projekt: Der wollte Anfang der Achtziger „Wir Kinder vom Bahnhof Zoo“ als dokumentarisches Drama verfilmen, wurde aber vom Produzenten Bernd Eichinger gefeuert. Ulrich Edel übernahm die Regie. „Das Ende des Regenbogens“ gibt eine Vorstellung davon, wie Klicks Film hätte aussehen können.

"Baby" gehört zu den schönsten Berlin-Filmen überhaupt

Frießners nächste Regiearbeit gehört zu den schönsten, melancholischsten Berlin-Filmen überhaupt und ist heute nahezu unbekannt. „Baby“ von 1984 erzählt die Geschichte des jungen Baby (Udo Seidler), der im Märkischen Viertel lebt und sich mit seinem Geld, das er als Türsteher in einer Disco verdient (die Kids tanzen zu Spliff), seinen Traum von einem Karatestudio erfüllen will. Über seine Arbeit gerät er in die Gesellschaft des windigen Duos René und Pjotr (Volkmar Richter, Reinhard Seeger – Frießners Händchen für Berliner Typen ist wieder unschlagbar), die ihn zu einem Überfall anstiften. Doch je näher er seinem Ziel kommt, desto schmerzhafter muss Baby feststellen, dass die Gesellschaft für ihn keinen Platz hat.

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Es war Frießners letzter Kinofilm. Er ging danach zum Fernsehen, das es ihm ermöglichte, sein Programm sozialkritischer Filme noch eine Weile fortzuführen. „Der Drücker“ von 1986 über eine jugendliche Drückerkolonne in der westdeutschen Provinz, die unter menschenunwürdigen Umständen schuftet, knüpft nahtlos an seine ersten Arbeiten an. Mit Andreas Buttler entdeckte er erneut ein unbekanntes Gesicht, Heinz Hoenig spielte den „Zuhälter“ der Jugendlichen. „Der Drücker“ gewann einen Grimme-Preis, aber es dauerte wieder acht Jahre, bis Frießner das Neonazidrama „Hass im Kopf“ drehen konnte. Nach „Abgefahren“ (ebenfalls 1994) über Jugendliche, die geklaute Autos zu Schrott fahren, der ihm seinen zweiten Grimme- Preis einbrachte, realisierte er nur noch einen weiteren Spielfilm.

Die Karriere von Uwe Frießner gehört wohl zu den frustrierendsten im deutschen Kino, weil die fünf Produktionen, die bis Ende Juni im Zeughauskino zu sehen sind, die klaffende Leerstelle im deutschen Film der achtziger Jahre aufzeigen. Und da sind die Projekte, die er nie realisieren konnte, noch nicht einmal inbegriffen. Es dürfte interessant sein, Frießners Erfahrung mit den deutschen Förderinstitutionen aus erster Hand zu hören. Der Berliner Regisseur wird bei den Vorführungen im April anwesend sein. Einen wie Frießner könnte das Kino noch immer gebrauchen.

Zeughauskino, 2. April bis 26. Juni

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