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Theatrales Erlebnis: Chinesisches Sitzmöbel in der Feuerle Collection. 

© Feuerle Collection

Berliner Feuerle Collection: „Slow Art“ statt Massendrang

Keine Erklär-Schilder, keine Handys, keine Führungen: Die wiedereröffnete Feuerle Collection will den Museumsbesuch entschleunigen. Es gilt: Weniger anschauen, mehr sehen.

Wenn die Museen in dieser Woche wieder öffnen, darf nur eine bestimmte Anzahl an Personen hinein. Warteschlangen im Kassenbereich müssen ebenso vermieden werden wie Menschenansammlungen vor Kunstwerken oder Führungen, in denen Zuhörer dicht an dicht zusammenstehen. 

So mancher Berliner freut sich vielleicht darauf, die Säle im Alten Museum oder der Alten Nationalgalerie ohne Touristengruppen zu durchwandern. Endlich einmal allein im Museum.

Die Vertreter der „Slow Art“ plädieren schon seit einiger Zeit dafür, dass sich in Sachen Kunstbetrachtung einiges ändern muss. „Weniger anschauen, mehr sehen“, lautet ihr Credo.

Studien haben ergeben, dass Museumsbesucher im Durchschnitt nur wenige Sekunden vor einem Kunstwerk verbringen, selbst vor Ikonen, wie der Mona Lisa oder der Nofretete. 

Meistens geht es auch gar nicht anders. Andere wollen schließlich auch noch ran, gerade in prominenten Häusern gibt es Gedränge vor den Highlights. Und sei es nur, um ein Foto zu machen.

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Die Pandemie zwingt nun alle Häuser zur Entschleunigung, selbst die großen Touristenattraktionen. Vielleicht ist das der Moment, in dem nicht nur über Konzepte für weniger Besucher, sondern grundsätzlich über eine andere Art der Kunstbetrachtung nachgedacht wird. 

Der Kunsthändler Michael Findley hat in seinem 2017 erschienenen Buch „Seeing slowly. Looking at modern art“ durchdekliniert, wie „Slow Art“ seiner Meinung nach aussehen könnte: keine Schilder lesen, keinen Audioguide nutzen und um Himmels willen keine Führung mitmachen. Stattdessen finden Betrachter ihren eigenen Weg.

Ein Vorreiter in dieser Hinsicht ist die Berliner Feuerle Collection. In der privaten Sammlung, die seit 2016 Möbel und antike Skulpturen aus China in einem ehemaligen Telekommunikationsbunker zeigt, ließ von Beginn an nur 14 Besucher gleichzeitig in die Räume. 

Es gibt weder Labels an den Kunstwerken noch Einführungstexte an der Wand, Handys müssen am Eingang abgegeben werden. Führungen werden nicht angeboten. Stattdessen sind Experten als „passive Begleiter“ anwesend. Wer Fragen hat, kann sie ansprechen, ansonsten bleibt man alleine mit sich und seinen Gedanken.

Maximal acht Personen im Raum

Nach der Covid-19-bedingten Schließung ist die Feuerle Collection seit dieser Woche wieder geöffnet. Nun dürfen nur noch acht Personen gleichzeitig in die Räume am Halleschen Ufer. „Alle Institutionen müssen im Moment weg von der Idee der Masse“, sagt Daniele Maruca, Direktor der Feuerle Collection. 

Er hofft, dass die Pandemie-bedingte Entschleunigung dazu führt, dass in Museumskreisen grundsätzlich über neue Präsentationsformen nachgedacht wird. „Um Kunst wahrzunehmen, braucht man Stille“, ist Maruca überzeugt.

In der Feuerle Collection wird der Besuch als theatrales Erlebnis inszeniert. Die konzipierten Abläufe passten ohnehin schon gut zu den geforderten Pandemie-Schutzmaßnahmen. Jetzt wurden sie noch einmal optimiert. Der Garderobenraum dient als erste Schleuse. Dort kommen Mäntel und Handys hin, sollen die Masken angelegt werden.

Anschließend geht es für alle Besucher in einen Empfangsraum, in dem sie sich auf markierte Positionen stellen, angemessen weit voneinander entfernt. Das Licht geht aus, der Raum wird dunkel, John Cages minimalistisches Stück „Music for Piano No. 2“ erklingt. 

Und erst nach dieser Neukalibrierung, dem Beruhigen der Gedanken, gehen die Besucher in den Ausstellungssaal – nach einer festgelegten Choreografie, die linke Reihe zuerst, die rechte folgt. Das Ziel ist, sich ganz auf das Erleben und die Sinne zu konzentrieren.

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Alle Details in den Räume des ehemaligen Bunkers spielen zusammen. Die Anordnung der Skulpturen im Raum, die Architektur, die Textur des Bodens, die Sockelhöhen, die Beleuchtung, die Kombination aus antiker und zeitgenössischer Kunst. „Es ist als Gesamtkunstwerk konzipiert“, sagt Maruca. 

Seit neuestem darf in der Ausstellung auch meditiert werden, jeden Donnerstag von 18 bis 19 Uhr. Das geht auch mit den neuen Abstandsregeln. Die Incence-Zeremonie, bei der Harze von edlen Hölzern verbrannt werden, wird momentan nur für Einzelpersonen durchgeführt.

Das Konzept der Feuerle Collection ist für öffentliche Museen wohl keine praktikable Lösung. Trotzdem sagen die Verfechter der „Slow Art“, Museen und Ausstellungshäuser müssten mehr dafür tun, die Menschen zum Innehalten zu bewegen. Es sollte nicht so sein, dass Besucher eher die Schilder lesen, als sich die Kunst anzusehen. 

„Slow Art“ heißt nicht nur weniger Besucher in einem Raum, sondern auch: die Erfahrung steht an erster Stelle, erst dann kommt der Verstand. Vielleicht können neue Präsentationskonzepte sogar dazu beitragen, dass Museen nicht nur als Touristenattraktion funktionieren. In der Feuerle Collection sind die meisten Besucher jedenfalls Berliner, die mehrmals kommen. 
[Hallesches Ufer 70, Kreuzberg, Infos: thefeuerlecollection.org]

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