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Müder Frauenheld. Samuel Finzi ist Don Juan zwischen den Kriegen. Hier eine Szene mit Larissa Fuchs.

© Ruth Walz/dpa

Berliner Ensemble: Stunde Null: Luc Bondy inszeniert Horváth

Draußen vor der Tür: Luc Bondy inszeniert am Berliner Ensemble Ödön von Horváths „Don Juan kommt aus dem Krieg“. Samuel Finzi spielt den Frauenheld als müden, geläuterten Kriegsheimkehrer.

Auch das Licht stimmt. Beziehungsweise die Lichtkontraste. Linkerhand fläzen und kichern und trinken, also langweilen sich ein Dutzend Frauen in einer dreieckig angeordneten Sitzecke eines Tanzlokals. Bunte Flitterkleider, Samt, Pailletten, Bubikopf in lila Schummerlicht. Rechts steht Samuel Finzi wie ein Schluck Wasser in der Kurve. Graue Kriegsheimkehrerkluft, schwarze Augenränder – und das Gesicht akkurat grau ausgeleuchtet. Finzi geht nach rechts, Finzi schlurft nach links, der graue Spot der Sinnentleerung immer hinterher. Später muss er – der Kriegsheimkehrer bricht zusammen – ins Krankenhaus, und aus dem Gesichtsgrau wird das Weiß der Leichenblässe, während sich die Frauen, Vogel- und andere Masken auf dem Gesicht, an den Händen halten und dabei plötzlich bewegungslos erstarren, als sollte ein Maler diesen Totentanz festhalten. Was gar nicht nötig wäre. Ist nämlich alles eh schon wie gemalt.

Wie aus einem Bild von Otto Dix scheint das erlesene Personal getreten, das Luc Bondy für Ödön von Horváths „Don Juan kommt aus dem Krieg“ auf der abschüssigen, spiegelnden und in zahlreiche Dreiecke unterteilten Bühne von Karl-Ernst Herrmann am Berliner Ensemble versammelt hat. Der Erste Weltkrieg ist vorbei, die Zeit neu und der Raum aus den Fugen. Die Frauen amüsieren sich auf Teufel komm raus, die Männer sind entweder tot oder humpeln als Schatten ihrer selbst verkrüppelt durch die Trümmer. Nur das schreiend Laute der Otto-Dix-Bilder, diese Mischung aus enthemmt hüpfendem Swing, hysterischem Lachen und dem nicht aufhören wollenden Stöhnen der Albträume, ist irgendwie verloren gegangen. Stattdessen flüstert der Abend altersmild vor sich hin.

Die Frauen in diesem "Don Juan" sind ausgehungert - und selbstbewusster als vor dem Krieg

Horváth schrieb seinen „Don Juan“, der aus guten Gründen selten gespielt wird, 1936, nachdem er Berlin verlassen musste und in Wien versuchte, wieder Fuß zu fassen. Auch sein Don Juan lässt wie die historischen Vorbilder nichts anbrennen, aber wie müde er im Gegensatz zu seinen lendenstarken Vorgängern ist. Es gehe ihm weniger um die Figur als vielmehr um die desolate Nachkriegsstimmung, schrieb Horváth im Vorwort: Die Inflation zerbröselt das ohnehin nur noch rudimentär vorhandene gesellschaftliche Gefüge, die Frauen sind einerseits ausgehungert, andererseits viel selbstbewusster als vor dem Krieg. Erst in der nächsten Nachkriegszeit, nämlich 1952, wurde das Stück uraufgeführt, und die erste Dreiviertelstunde wähnt man sich tatsächlich nicht in einem Don Juan, sondern in einer neusachlich ausstaffierten Version von Borcherts „Draußen vor der Tür“. So ohnmächtig und müde schleicht Finzis Don Juan durch die Cafés, Krankenhauszimmer und Inflationsgewinnlerwohnungen dieses Dramas. Die Schwäche liegt in der Anlage des Stücks. Don Juan ist schon geläutert, bevor es losgeht. „Wisst ihr, wer das war?“, schreit eine der vielen Frauen nach einem seiner vielen traurigen Auftritte. „Das war mal eine stadtbekannte Persönlichkeit mit lauter erotischen Skandalaffären. Der hat seine Braut verlassen, knapp vor der Hochzeit und sich mit 1000 verschiedenen Frauenzimmern herumgetrieben ... Aber jetzt scheint ihn die Reue gepackt zu haben ...“

Genau dieser Reue wegen will er also zu seiner Braut zurück, findet sie aber nicht und gerät bei seiner Suche mehr oder weniger aus Versehen wieder in die Hand der Frauen. Keine Lebensgier, keine untergründige Todessehnsucht, er ist einfach nur zu müde, um sich zu wehren. Der Witz des Stücks und die Spannung der zweiten Hälfte besteht darin, dass seine Reue nicht echt ist – Don Juan ist noch immer stolz auf seine Vorkriegsvielweiberei, wie eine Krankenschwester entsetzt feststellt. Wie Samuel Finzi hinter der Tarnung des erschöpften Jedermann nur durch das Zucken einer Braue oder ein plötzlich grausam werdendes Lächeln den Sadismus eines Hinrichters aufglänzen lässt, ist natürlich famos. Beeindruckend auch die Wucht, mit der Swetlana Schönfeld als Großmutter (der längst verstorbenen Braut) und herrische Dame ihre Magd zusammenbrüllt und wie Kathrin Angerer ihr Paroli bietet und die beiden doch nicht voneinander loskommen. Auch Ilse Ritter und Katharina Susewind geben kurzzeitig ein wunderbar in sich versponnenes lesbisches Paar.

Luc Bondy inszeniert Vignetten über die Unmöglichkeit des Zweisamseins

Luc Bondy inszeniert diese Beziehungsmissverständnisse so fein, dass man seine inszenierende Hand überhaupt nicht, dafür aber die Fäden zwischen den Figuren golden funkeln sieht. Kostbare Vignetten über die Unmöglichkeit des Zweisamseins, allerdings immer wieder unterbrochen von naheliegenden, aber trotzdem unmotiviert wirkenden Tanzszenen oder halbherzig aus Karton gesägten Slapstickeinlagen. Kaum zu sagen, ob das wohltemperiert Historistische nun an der altmeisterlich hingetupften Melancholie Bondys liegt (der die Inszenierung auf einem Beizettel dem kürzlich verstorbenen Freund Patrice Chéreau widmet) oder am rechtschaffen von Station zu Station stapfenden Stück. Die Kälte, die untergründige Verachtung, sie wird kurz greifbar, im weiteren Fortgang aber nicht zwischen Mann und Frau verhandelt, sondern in eine märchenhafte Szenerie verlagert. Schneemann heißt der dritte Teil, und als ein solcher muss Don Juan am Grab die Karottennase der Witzfigur tragen. Lang anhaltender, aber wohltemperierter Applaus.

- Berliner Ensemble, wieder am 19., 24. und 30. Oktober

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