zum Hauptinhalt
Generationen im Clinch. Nico Holonics und Corinna Kirchhoff in „Mütter und Söhne“ von Karen Breece

© Gregor Fischer/dpa

Berliner Ensemble mit neuer Spielstätte: Warum nur ist der Junge Nazi?

Das Berliner Ensemble eröffnet eine weitere Spielstätte, das "Neue Haus". Das Dokudrama „Mütter und Söhne“ fragt nach den Gründen für rechte Positionen.

Zum Auftakt der Inszenierung „Mutter und Söhne“ am Berliner Ensemble schaut Corinna Kirchhoff mit verklärtem Blick von ihrem Stuhl auf. Ein unglaublich sensibles Kind sei ihr Sohn gewesen, spricht sie erinnerungsbeseelt ins Publikum. Eines, das auch überdurchschnittlich früh sprechen und Fahrrad fahren konnte – „ohne Stützräder“ wohlgemerkt.

Wie und warum aus diesem Kind später ein Nazi wurde – dieser Frage versucht Karen Breeces dokumentarisch grundierter Abend nachzugehen. Die US-amerikanische Regisseurin hat Gespräche mit Aussteigern, ihren Müttern und Vätern sowie mit Rechtsextremismus-Experten und Vertretern von Organisationen geführt, die sich um Ausstiegswillige kümmern.

Mit dem zweistündigen Theaterabend, der aus diesem „mehrfach überschriebenen“ Material entstanden ist, weiht das BE programmatisch sein „Neues Haus“ ein. „Nach über 125 Jahren bekommt das Theater am Schiffbauerdamm, seit 1954 Heimat des weltberühmten Berliner Ensembles, eine vollausgestattete zweite Spielstätte“, jubiliert die Theaterleitung.

Bisher standen dem Haupthaus im Innenhof tatsächlich nur mehr oder weniger charmante Provisorien zur Seite. Vorübergehend, zu DDR-Zeiten, fand sich sogar eine interessante Mixtur aus Werkstätten, Probebühnen und Lagerräumen mit Mitarbeitersauna, Schachclub und Tischtennis auf dem Gelände.

Dagegen glänzt die nunmehr frisch eröffnete Blackbox, ebenerdig gegenüber dem bisherigen Probebühneneingang gelegen, nicht nur „mit modernster Licht-, Belüftungs- und Bühnentechnik“, sondern es gibt erfreulicherweise auch eine eigene Foyer-Bar. Vor allem aber versprüht die neue Zusatzspielstätte für 185 Zuschauerinnen und Zuschauer praktisch aus jeder frisch verputzen Wandpore heraus unbedingte Zeitgenossenschaft.

Das "Neue Haus" soll frische Kräfte freisetzen

Die wiederum gehört zu den Themen, mit denen Intendant Oliver Reese und sein Team zur Saison 2017/18 im BE angetreten waren, vor allem auch im Hinblick auf neue Stücke. Und weil hier nach den ersten beiden Spielzeiten wirklich noch sehr viel Luft nach oben bleibt, dramatisch wie ästhetisch, kann man allen Beteiligten nur wünschen, dass der neue Ort tatsächlich die erhofften frischen Kräfte freisetzt.

Karen Breece hat sich im Vorfeld ihrer Recherche auf jeden Fall zeitgemäße Fragen gestellt: „Wie können wir den Nazis und sogenannten neuen Rechten begegnen? Wie uns ihnen in den Weg stellen? Wie kann diese Gesellschaft ,ihre‘ Söhne zurückgewinnen?“ Diesen Diskurs will das „Neue Haus“ zur Eröffnung über den Theaterabend hinaus auch mit einem Vortrags- und Diskussionsprogramm unter dem Titel: „Rechtes Denken – Ein Thementag über das Verstehen politischer Kategorien und rechter Ideologie“ führen.

Gut möglich, dass man dort mehr erfährt als in Breeces Zweistünder. Es sei eine große Herausforderung gewesen, Mütter rechtsextremistischer Söhne als Gesprächspartnerinnen zu finden, hatte die Regisseurin vorab in Interviews betont. Viele hätten Angst, zögen sich lieber zurück, hätten „auf ihre Art und Weise mit der Vergangenheit abgeschlossen“. Das merkt man dem Abend deutlich an.

Die Mütter sind hin- und hergerissen zwischen Schuld und Liebe

Vieles, was gesagt wird, hat man so oder ähnlich schon oft gehört. Nicht nur die Motivsuche für das den Müttern bis heute unverständliche Abdriften ihrer Söhne in die rechte Szene bleibt vage und allgemein: pubertäre Rebellion, Männlichkeitsfantasien, desinteressierte Pädagogen, zu wenig Grenzen setzende Erziehungsberechtigte?

Corinna Kirchhoff und Bettina Hoppe spielen die zwischen Schuldgefühlen, Verzweiflung und Liebe hin- und hergerissenen Mütter, die sich diese Fragen stellen, immerhin mit maximaler Eindringlichkeit. Aber dort, wo es, auch dank ihrer schauspielerischen Fähigkeiten, vielleicht wirklich mal interessant werden könnte, hört leider meist der Text auf.

[Berliner Ensemble, wieder am heutigen Sonntag sowie vom 7. bis 9. Oktober]

Etwa wenn Hoppe von Einladungen zu Familienfeiern erzählt, auf denen einfach kommentarlos der Name des halbwüchsigen Nazi-Sohnes fehlt. Oder wenn sie, unter sichtlicher emotionaler Höchstanstrengung, gegen Ende sagt: „Ich hab Glück, dass ich da rausgekommen bin, dass ich mich irgendwann nicht mehr schuldig gefühlt habe.“ Von ihrem Weg dorthin erfährt man so gut wie nichts.

Die Söhne brüllen Parolen und werfen Stühle

Nico Holonics und Oliver Kraushaar müssen unterdessen als Nazi-Söhne Parolen à la „frei, sozial und national“ ins Bühnenrund brüllen und dabei so dezibelstark wie möglich die Stühle durcheinanderwerfen, die Bühnenbildnerin Eva Veronica Born auf dem Szenario verteilt hat. Genauso plakativ wirkt es, wenn Holonics Bertolt Brechts und Hanns Eislers „Einheitsfrontlied“ umdichtet, aus „links zwo drei“ kurzerhand „rechts zwo drei“ und aus dem adressierten „Genossen“ den „jungen Deutschen“ macht, während Kirchhoff verzweifelt mit dem Originaltext dagegenhält.

Laura Balzer dreht nicht minder stereotyp auf als junge Nazi-Braut, die die Altersgenossinnen auf ihrem Social-Media-Kanal zu Häuslichkeit und Vielfach-Mutterschaft animiert. Die Gesellschaft habe ja keine Ahnung, was moderne rechte Ideologie wirklich bedeute, grinst Holonics als Identitärer einmal ins Parkett. Dass ein klassisches linksliberales, bildungsbürgerliches und mehrheitlich nicht mehr ganz junges Theaterpublikum die Netzwerke, Strategien und Mechanismen dieser Szene nicht kennt oder tatsächlich unterschätzt, trifft vermutlich zu. Und genau daran ändert Breeces Abend: nichts.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false