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Auf Traufhöhe. Der Dachgarten ist 17 Meter hoch, vor dem Krieg lag er bei 32 Metern.

© Kitty Kleist-Heinrich

Berliner Dächer (Schluss): Dem Himmel so fern

Auf der Karstadt-Terrasse am Hermannplatz spielten einst Swingorchester. Sie galt als Großstadtwunder. Heute geht es dort weniger mondän zu. Der Schluss unserer Serie Berliner Dächer.

Häusermeer. Wer mit der Rolltreppe in den vierten Stock des Karstadt-Kaufhauses am Hermannplatz hochfährt, am Kassenbereich des Restaurants vorbeiläuft und durch eine Schiebetür hinaustritt auf den Dachgarten, der hat die Stadt noch nicht hinter sich gelassen. Im Gegenteil. Er ist immer noch mitten in ihr, dem Himmel so fern. Dafür aber in einem Logenplatz mit bester Aussicht.

Die Dachterrasse ist kein Wolkenkuckucksheim. Man ist hier 17 Meter hoch, genau auf Berliner Traufhöhe. Deshalb bleibt der Blick, der über die auf dem Hermannplatz aufgebauten Marktstände geht, gleich wieder an den Fassaden der dahinterstehenden Häuser hängen, einer unspektakulären Mischung von Geschäfts- und Wohngebäuden, zu denen ein 24-Stunden-Kiosk, der Juwelier „Pascha“ und ein „McDonald’s“-Restaurant gehören. Schräg dahinter ragt der wuchtige Turm des Neuköllner Rathauses auf, der von einer Fortuna-Figur als Windfahne bekrönt wird.

Ein Ort, der halb zum Haus und halb zur Natur gehört

Aus der Ferne ist die schlanke Göttin, die im Volksmund „Rieke uff’n Rathausturm“ heißt, nur als schmaler Strich zu erkennen. Das Karstadt-Gebäude, das einen ganzen Block einnimmt, markiert die Grenze zwischen Kreuzberg und Neukölln. „Neukölln liegt direkt vor unseren Schaufenstern“, sagt der Kaufmännische Leiter Karsten Haber, der auch deshalb so gerne auf die Terrasse kommt, weil auf ihr geraucht werden darf. „Kreuzkölln“, so lautet das Etikett, das der Gegend inzwischen umgehängt wird. Meist geht es dann um steigende Mieten und die Gentrifizierung. Von oben sieht das Quartier allerdings alles andere als luxuriös aus, immer noch so kaputt, buntscheckig und unfertig wie vor zehn oder zwanzig Jahren. Und ungemein lebendig.

„Aus hygienischen Gründen bitten wir, die Vögel auf der Terrasse nicht zu füttern“, teilen Schilder am Eingang mit. Das Dach ist ein Ort, der halb zum Haus und halb zur Natur gehört. Ein, zwei Dutzend Kunden widmen sich, umgeben von Buchsbäumen und Topfsträuchern, ihrem Mittagstisch. Die meisten haben sich für Matjes mit Kartoffeln entschieden. Kantinenstimmung. Vom alten Glanz ist nicht mehr viel zu spüren. „Pseudo-Kathedralen“ nannte der Architekturkritiker Werner Hegemann die Berliner Warenhäuser in den Jahren der Weimarer Republik. Die prachtvollste dieser Konsumkirchen stand am Hermannplatz. Siegfried Kracauer feierte das Karstadt-Gebäude, das 1929 eröffnet wurde, als „gewaltigen Warenhauszwinger“ und „Monumentalarchitektur, die mit drohender Geste alle Welt zum Eintreten auffordert“.

Blick auf die Marktstände am Hermannplatz.
Blick auf die Marktstände am Hermannplatz.

© Kitty Kleist-Heinrich

Ein tischtennisplattengroßes Modell direkt vor den Aufzügen zeigt, was so atemberaubend an dem Art-Deco-Palast gewesen sein muss: die Mischung von Eleganz und Größe. Die vom Konzernarchitekten Philipp Schaefer entworfene Eisenbeton-Skelettkonstruktion, die an den Fassaden mit Muschelkalkplatten verkleidet wurde, bot auf sieben Etagen eine Nutzfläche von 72 000 Quadratmetern, 30 000 mehr als der Hauptkonkurrent, das Kaufhaus des Westens. Es gab drei Lichthöfe, einen eigenen U-Bahn-Zugang, 30 Schaufenster. 24 Rolltreppen und einen Aufzug, der beladene Lkws direkt in die Lebensmittelabteilung im fünften Stock bringen konnte.

Über dem Hauptportal am Hermannplatz ragten zwei Türme 56 Meter empor, die nachts beleuchtet waren und bald zu Orientierungspunkten für die am Flughafen Tempelhof startenden und landenden Maschinen werden sollten. Der Neubau galt als größtes und elegantestes Kaufhaus von ganz Europa. „Chicago kommt nach Berlin“, befand eine Zeitung zur Eröffnung, und noch 1936 urteilte ein zu den Olympischen Spielen angereister Reporter des „National Geographic“-Magazins, das Haus lasse sich von ähnlichen Gewerbebauten in New York „praktisch nicht unterscheiden“.

Der Blick reichte bis nach Klein-Ziethen

Als Hauptattraktion fungierte die Dachterrasse. Mit Platz für 500 Besucher galt sie bald als Großstadtwunder. „Man sitzt dort zwischen tief liegenden und erhöhten Beeten aus Geranien, Pelargonien und monatlich wechselnden Blumenbouquets der Jahreszeit“, schwärmte der „Berliner Börsen Courier“. „Blickt man über dieses herrliche Blumenmeer hinweg, so liegt Berlin ausgebreitet da.“ Bei klarer Sicht reichte der Blick bis in die Müggelberge, nach Buckow und Klein-Ziethen. Hinzudenken muss man sich noch die Foxtrott-, Swing- und Schlagerakkorde, die an schönen Tagen über die Terrasse wehten und sie in ein Tanzlokal verwandelten.

Auf zwei Bühnen spielten die Orchester von Barnabas von Geczy, Dagos Béla und Egon Kaiser oder die Weintraub Syncopators mit dem jungen Friedrich Hollaender am Klavier. Eintritt: 50 Pfennig. „Die Leute sitzen und schwatzen, essen Windbeutel, Halbgefrorenes. Kaffee, der Herr? Tee, Schokolade?“, hat der expressionistische Schriftsteller Julius Berstl notiert. „Draußen schaust du bis zum Horizont. Häuser, Häuser, Häuser. Ganz unten in den Straßenschluchten die Elektrischen, die Autobusse, Fuhrwerke, Fußgänger. Das summt herauf, dröhnt, bewegt sich, schiebt sich durcheinander.“

Einheiten der Waffen-SS sprengten 1945 das Gebäude

Elektrische, also Straßenbahnen, und Fuhrwerke lassen sich von der Dachterrasse aus nicht mehr beobachten. Ansonsten hat sich das Gewimmel, das Gehupe und Gelärme da unten nur wenig verändert. Allerdings befindet sich der Ausguck nun nicht mehr in 32 Metern, sondern nur noch in 17 Metern Höhe. Einen Eindruck davon, wie auftrumpfend das alte Kaufhaus ausgesehen haben muss, kann man an der Seite zur Hasenheide bekommen, wo drei Achsen des Gebäudes den Krieg überstanden haben, die wie ein Turm den Seiteneingang überspannen.

Der Bombenkrieg hatte den Karstadt-Palast nur wenig beschädigt, doch dann wurde er zum Opfer der von Hitler ausgerufenen Politik der „Verbrannten Erde“. Weil die im Keller gelagerten Lebensmittelvorräte nicht in die Hände der Roten Armee fallen sollten, sprengten Einheiten der Waffen-SS am 25. April 1945 das Gebäude. Doch schon Ende Juli konnte im Erdgeschoss wieder mit dem Verkauf begonnen werden. Der Wiederaufbau blieb Stückwerk.

Zur Hasenheide hin zeigt der Ausblick eine bunt zusammengewürfelte Stadtlandschaft. Das Eckhaus an der Hermannstraße, an dem noch die dreißig Jahre alten Schilder des Herrenaustatters „Manuel“ hängen, ist eingerüstet. Ein „Berliner Traditionslokal“ wirbt mit „acht Premiumbieren vom Fass“. Hinter dem Parkplatz eines Baumarktes schiebt sich die orientalisch verschnörkelte Fassade der „Neuen Welt“ ins Bild, eines Gasthauses am Fuße des Rollbergs, das seit 1880 bewirtschaftet wird. Gleich dahinter macht die Straße einen Knick, um schnurstracks auf den Südstern zuzusteuern. Baukräne drehen sich lautlos durch den Himmel. So viel Geschichte, so viel Gegenwart.

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