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Aufbruch ins Morgen. Ein sowjetisches Publikum lauscht den Worten des früheren Bauhaus-Direktors Hannes Meyer.

© Katalog Bauhaus-Archiv 1989

Berliner Ausstellung in Moskau: Warmlaufen fürs Bauhaus-Jubiläum

Eine Moskauer Ausstellung verknüpft die Geschichte der Lehrstätte mit der Gegenwart. Veranstalter sind das Goethe-Institut und das Haus der Kulturen.

Kurz vor dem 100. Geburtstag des Bauhauses fragt niemand mehr, ob diese doch kurzlebige Lehrstätte, ihre Geschichte und ihr Erbe noch aktuell seien. Der Name genügt, und allerorten regt sich Interesse. Bauhaus ist einer der besten und langlebigsten Exportartikel aus dem reichhaltigen Angebot deutscher Kultur der Moderne. Bauhaus versteht jeder.

Mit dieser Sicherheit im Rücken, hat sich das Goethe-Institut in Zusammenarbeit mit dem Berliner Haus der Kulturen der Welt (HKW) und der „Bauhaus Kooperation Berlin Dessau Weimar“ aufgemacht, die Welt gleichzeitig mit dem historischen Bauhaus wie mit zeitgenössischer Kunst zu beglücken. Unter dem Titel „Bauhaus imaginista“ wird in verschiedenen Städten, von Chile bis China, ein Strauß von Veranstaltungen angeboten: Workshops, Ausstellungen und Symposien, die die Auseinandersetzung mit dem Bauhaus und dessen Beziehungen zum jeweiligen Gastland zum Gegenstand haben. Dazu bedarf es eines lokalen „Partners“, um das Programm in der örtlichen Kulturszene zu verankern.

Meister der Entwürfe. Der Schweizer Hannes Meyer war von 1928 bis 1930 Rektor der Kunstschule.
Meister der Entwürfe. Der Schweizer Hannes Meyer war von 1928 bis 1930 Rektor der Kunstschule.

© Katalog Bauhaus-Archiv 1989

In Moskau ist das die „Garage“, ein Ausstellungs- und Veranstaltungshaus, das spätestens seit seinem Umzug in den renovierten Gorki-Kultur- und Erholungspark vor ein paar Jahren den Brennpunkt der Kunstszene in der russischen Hauptstadt bildet. Was in dem von Rem Koolhaas angenehm zurückhaltend zum Kulturhaus ertüchtigten ehemaligen Restaurant des beliebtesten Moskauer Parks stattfindet, findet automatisch Widerhall. Es ist allerdings wohl nicht mehr die gespannte Wissbegier des ersten Jahrzehnts nach dem Ende der Sowjetunion, sondern das nervöse, leicht flüchtige Interesse derer, die sich auf der Höhe globalen Informiertseins tummeln.

Solche Aufmerksamkeit fanden jedenfalls in der vergangenen Woche die künstlerischen Projekte von „Bauhaus imaginista“. Der gemeinsame Nenner ist die archivalische Arbeit, die unbekannte Kapitel der Bauhaus-Geschichte ans Licht bringen sollen; unbekannt deshalb, weil in den Biografien der in alle Welt ausgeschwärmten Bauhäusler verborgen.

Verdichter kultureller und sozialer Prozesse

Zum Vortragsprogramm, der das Gesamtprojekt unterfüttern sollte, war der Veranstaltungssaal der „Garage“ am Eröffnungstag dicht besetzt, während es in den anderen Bereichen des Hauses, in dem Foyers, Ausstellungsflächen und Café-Restaurant nahtlos ineinander übergehen, wie immer geschäftig wuselte. Das ist es, was die Institution – ein Geisteskind von Dasha Shukova und ihrem langjährigen Partner Roman Abramowitsch – offenkundig sein will: ein Verdichter kultureller und sozialer Prozesse. Dass sich das Berliner HKW, in dem die Arbeit von und mit Künstlern wesentlich ist, in solcher Umgebung bestens aufgehoben fühlt, versteht sich von selbst.

Es sind sehr unterschiedliche Ansätze, die die drei aus Berlin aufgebotenen und von den Kuratoren Marion von Osten und Grant Watson ausgewählten Beiträge präsentieren. Die Kuratoren selbst haben sich im Nachlass des Bauhaus-Direktors von 1928 bis 1930, des Schweizers Hannes Meyer, umgetan und Fundstücke arrangiert. Die Künstlerin Alice Creischer visualisiert die Erinnerungen des mit Meyer 1930 in die Sowjetunion übersiedelten und lebenslang dort gebliebenen Philipp Tolziner in einer poetischen Installation; und die Kuratorin und Dozentin Doreen Mende, aufgewachsen in der DDR, fand in den Unterlagen des wie Tolziner in die Sowjetunion gegangenen, später dann in der DDR aktiv am Baugeschehen beteiligten Konrad Püschel die unbekannte Episode seiner offiziellen Abordnung zum Wiederaufbau Nord-Koreas nach dem verheerenden „ersten heißen im Kalten Krieg“.

Kunst gegen Diktatur. Bauhaus-Schüler auf einer 1. Mai-Demo in Moskau, 1931.
Kunst gegen Diktatur. Bauhaus-Schüler auf einer 1. Mai-Demo in Moskau, 1931.

© Katalog Bauhaus-Archiv 1989

Creischer bildet, wenn man so will, die Lebenslinien des von der Geschichte der stalinistischen Repression furchtbar in Mitleidenschaft gezogenen Tolziner in einem zarten Geflecht von Reisig nach, gelagert in gläsernen Krügen, übergehend in zwei Betonblöcke als Erinnerung an standardisierte Wohnbauten und auslaufend in einen ornamentalen Papierstreifen. Der Bauhaus-Student und politische Anhänger des überzeugten Kommunisten Meyer geriet für ein volles Jahrzehnt in den Gulag, den er als Entwerfer von Lagerbaracken, Wachttürmen und der Villa des Kommandanten überlebte. Was für eine Sub-Geschichte des Bauhauses!

Was Mende gefunden hat und als eine Art Bildergeschichte parallel zu Creischers Installation ausbreitet, fügt der landläufigen Vorstellung des Bauhauses eine Facette hinzu. Püschel wurde als überzeugter DDR-Bürger nach Nord-Korea entsandt, wo er in der kriegszerstörten Region von Hamhung den Wiederaufbau anleitete, in eben jenen seriellen, ökonomischen Weise, die gerade Meyer gefordert und gelehrt hatte.

Hannes Meyer, der ungeachtet seiner Stalin-Treue die Sowjetunion 1936 verließ und nach einem Intermezzo in Mexiko schließlich in die Schweiz zurückkehrte, wollte seine Dessauer Zeit in einem eigenen Buch darstellen, zu dem er ein vollständiges Layout entwarf. Es blieb ungedruckt, so dass die Kuratoren die im Nachlass bewahrten Blätter zu einem schönen Tableau geordnet haben, einer Art Wandzeitung, ergänzt um vier Vitrinen mit Literatur von und über Meyer. Der Verfasser unzähliger Entwürfe, aber weniger ausgeführter Bauten ist die Zentralfigur von „Bauhaus imaginista“, das die Geschichte eines bitteschön kommunistischen Bauhauses erzählen will.

Worauf das Projekt zielt, bleibt unklar

Die am Eröffnungstag vorgestellten Einzelbeiträge runden sich zu einer Art Forschungsprojekt, unterstützt durch die Materialien, die Tatjana Efrussi und Daniel Talesnik in einer Präsenzbibliothek auf den Stufen einer Multifunktionstreppe ausbreiten. Efrussi studiert in Paris und promoviert parallel in Kassel über Hannes Meyer, während der in Santiago de Chile aufgewachsene Talesnik nach langen Studienjahren in New York bereits ein umfangreiches wissenschaftliches Œuvre zur Moderne vorzuweisen hat. Einen ausführlichen Vortrag zu Hannes Meyer steuerte zudem der frühere Berliner Kultursenator Thomas Flierl bei, der sich seit Jahren als Privatgelehrter mit der Arbeit der aus Deutschland in die Sowjetunion gegangenen Architekten beschäftigt.

Indessen wurde nicht ganz klar, worauf das Projekt zielt. Annonciert ist es als Auseinandersetzung „mit geopolitischen sowie sozial- und designgeschichtlichen Aspekten“; es seien „zeitgenössische Praktiker*innen dazu eingeladen“ worden, „auf diese persönlichen Archive“ besagter Bauhäusler „zu reagieren und Lektüren des Materials zu produzieren, durch die sie sich in Beziehung zu dem sozialistischen Hintergrund der Architekt*innen und zu deren Arbeit in der Sowjetunion setzen“. So steht’s in der reichlich aufgeplusterten Projektankündigung von Goethe, HKW und „Bauhaus Kooperation“.

Wenig Neuentdeckungen

Nun ist das Leben und Scheitern der Bauhäusler in Stalins Sowjetunion zweifellos ein spannendes Kapitel – aber zuallererst für solide Forschung. Und die ist hinsichtlich Meyers längst über das Stadium der Neuentdeckung hinaus; man nehme nur den Katalog der bahnbrechenden Ausstellung des Berliner Bauhaus-Archivs von 1989. Die hingegen von „Bauhaus imaginista“ betriebene Vermischung mit subjektiven Ansätzen fördert keine Erkenntnisse, sondern illustriert vorhandene Befunde. Und wo sie Unbekanntes aufdeckt – wie Konrad Püschels nordkoreanische Aufbauhilfe –, verdankt sie sich keiner künstlerischen Intervention, sondern bewährter Archivsuche.

In der vielstimmigen Kulisse der Moskauer „Garage“ wird die kopfstarke Berliner Reisegruppe wohl kaum den ganz großen Eindruck hinterlassen. Dazu ist ihr Thema zu speziell – zumal in einem Land und seiner avantgardistischen Kunstszene, die allem Neuen nachjagt, aber an der Aufarbeitung der als bleiern verhassten Vergangenheit kein sonderliches Interesse zeigt. Für sie ist die Geschichte der furchtbar gescheiterten Bauhaus-Idealisten lediglich eine Episode. Die energiegeladene Moskauer Gegenwart, für die gerade die „Garage“ steht, ist übermächtig.

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