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Mensch und Tier in der Kommandozentrale der Gewalt: Szene aus dem Wettbewerbsfilm «Everything Will Be Ok».

© dpa/CDP/Anupheap Production/Berlinale

Berlinale-Wettbewerb: Mein Führer, das Schwein

In Rithy Panhs Doku-Essay "Everything Will Be Okay" reißen tierische Knetfiguren die Weltherrschaft an sich - und zeigen die Absurdität menschlichen Handelns.

Tiere sind auch nicht die besseren Menschen. In Rithy Panhs Kreuzung aus Doku und Essayfilm „Everything Will Be OK“ übernehmen sie die Weltherrschaft, nur um die gleichen, äh, Unmenschlichkeiten zu begehen.

Erst lassen sie Denkmäler einreißen – Freiheitsstatue, Pyramiden, Pantheon, alles liegt darnieder. Ein Bruchteil von Stalins Schnauzer ragt noch aus dem Sand. Dann errichten sie ihre eigenen Statuen, und zwar von ihrem Anführer, einem Wildschwein mit imposanten Hauern. In den Händen hält es seine Instrumente der Macht: ein Smartphone und ein Buch, das an Mao Tse Tungs „Rote Bibel“ erinnert, nur mit einem goldenen Schweinskopf vorne drauf.

Sie bauen Konzentrationslager, zwingen die Gefangenen zur Arbeit, erniedrigen, experimentieren, exekutieren. Für das an George Orwell gemahnende Szenario findet der kambodschanische Filmemacher, Jahrgang 1964, eine einzigartige Filmsprache

Rithy Panh, der einst vor den Roten Khmer nach Frankreich flüchtete, ließ Hunderte Knetfiguren formen und bemalen, die er in maßstabsgetreuen Dioramen anordnet. Die Kamera gleitet durch diese Miniaturlandschaften, zeigt die Schweine, Hunde, Löwen, Elefanten, Affen, Krokodile in Nahaufnahme. Sie halten Waffen in den Händen, manchmal auch Seile, an denen sie die Menschen führen.

„Everything Will Be OK“ ist aber kein Trickfilm im althergebrachten Sinn, es kommt auch keine Stop-Motion-Technik zum Einsatz. Die Knetfiguren stehen einfach herum. So detailreich sie gestaltet sind, haftet ihnen dabei der sanfte Charme des Naiven an – was angesichts der Gräueltaten, die sie verüben, gleichzeitig beunruhigend wirkt.

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Wie sich herausstellt, handeln sie nach menschlichem Vorbild. In einer Halle, die wie eine Mischung aus Schaltzentrale und Maschinenraum anmutet, schauen sich die Tiere die gesammelten Ungeheuerlichkeiten an, die die Menschen im 20. Jahrhundert zu verantworten hatten. Rithy Panh zeigt Archivaufnahmen von Hinrichtungen, Kriegsverbrechen, Mord und Totschlag, Gewalt an Tieren: Schlachtungen, das Entsorgen männlicher Küken, Tierversuche, teilweise per Splitscreen sechsfach parallel.

Der kambodschanische Regisseur Rithy Panh vor dem Berlinale Palast.
Der kambodschanische Regisseur Rithy Panh vor dem Berlinale Palast.

© REUTERS/Christian Mang

Da ist man versucht, dem Film nur noch durch die vorgehaltenen Finger zu folgen, ähnlich wie vor zwei Jahren bei Rithy Panhs Reigen der Vernichtungs- und Leichenbilder „Irradiés“, mit dem er den Berlinale-Dokumentarfilmpreis gewann.

Aber auch auf der Tonspur lauert das Grauen. Wenn es nicht gerade bellt, grunzt, knurrt und brüllt, sind Schmerzensschreie zu hören. Oder die Axtschläge der Wilderer, die die Beine eines erlegten Elefanten zerhacken. Eine Frauenstimme, die sich anfangs als „das Archiv“ vorstellt, erzählt dazu die „moralische Fabel“ vom Lauf der Welt. Der Text, verfasst von Christophe Bataille - mit dem Autor hat Rithy Panh zwei Bücher geschrieben -, pendelt zwischen Poesie und Philosophie und trägt endgültig zur Überforderung des Publikums bei.

["Everything Will Be Ok" läuft auf der Berlinale am 13.2., 18 Uhr (Cubix 9), 14.2., 12 Uhr (Cubix 9), 16.2., 15 Uhr (Akademie der Künste) und 20.2., 18 Uhr (Cubix 5 und 6)]

Raubbau an der Natur, Fleischkonsum, Kapitalismus, Überwachung, Machtmissbrauch der sich für den Filmemacher allerdings auch in Maskenpflicht und Impfgebot zu manifestieren scheint, Totalitarismus, Faschismus: Rithy Panh versammelt in seinem „Worst-of Menschsein“-Szenario jede Menge Feindbilder. Er kombiniert sie mit den Knet-Tableaux, um die Absurdität des menschlichen Handelns vor Augen zu führen.

Eine durch und durch pessimistische Weltsicht. Hoffnung, dass es irgendwann okay werden könnte, macht der Regisseur einem nicht. Wenn nicht einmal die Tiere es besser machen und ihrerseits die Menschheit unterjochen?
Mehr zur Berlinale finden Sie auf www.tagesspiegel.de/berlinale

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