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Regisseur Burhan Qurbani hat vor "Berlin Alexanderplatz" die Filme "Wir sind jung, wir sind stark" und "Shahada" gedreht.

© REUTERS

Berlinale-Regisseur Burhan Qurbani: „Ich bin totaler Verfassungspatriot“

Der Filmemacher Burhan Qurbani über Migranten, die deutsche Verantwortung und seinen Wettbewerbsbeitrag „Berlin Alexanderplatz“, der in der Gegenwart spielt.

2010 lief auf der Berlinale sein Hochschul-Abschlussfilm "Shahada" im Wettbewerb: Burhan Qurbanis Erstling kam schlecht weg, ein harter Start. Aber der 1980 als Sohn afghanischer politischer Flüchtlinge in Erkelenz geborene Filmemacher hat sich nicht beirren lassen. 2015 wurde er mit "Wir sind jung, wir sind stark", der die Angriffe auf Asylbewerber-Wohnheime in Rostock-Lichtenhagen rekapituliert, für den Deutschen Filmpreis nominiert. "Berlin Alexanderplatz" ist sein dritter Spielfilm. An diesem Mittwoch feiert er Weltpremiere im Wettbewerb der 70. Berlinale.

Herr Qurbani, bei unserem Interview gemeinsam mit Ihren Regiekollegen Sebastian Schipper und Johannes Naber …

… ach ja, Schipper und ich, was haben wir uns gefetzt. Es war mein lustigstes Interview ever. So etwa um den Drehbeginn von „Berlin Alexanderplatz“ herum sah ich Bilder seines Films „Roads“, der ja ebenfalls einen schwarzen Hauptdarsteller hat, einen Geflüchteten: Ich dachte nur, oh nein, Schipper macht den gleichen Film!

Warum soll es nicht viele Filme über Geflüchtete geben?

Es kann nicht genug geben, klar. Aber als Filmemacher möchte ich dem Zuschauer gerne etwas zeigen, was er noch nicht kennt. Wir sind medial so abgestumpft, dass wir das menschliche Leid aus den Augen verlieren. Wie viel Aufmerksamkeit und Empathie haben wir noch?

Im Kino kann man sich genau darauf konzentrieren.

Kino ist gelebte Lebenszeit. Ich stecke in der Haut eines anderen, das Handy ist abgeschaltet, ich bin fokussiert. Ein Riesenprivileg. Deshalb wird das Kino überleben. Das klassische Fernsehen nicht, aber das Kino als hermetische Situation schon, weil es auch ein sozialer Ort ist. Manchmal verbrüdert man sich sogar mit Fremden. Letztes Jahr habe ich mir „Blade Runner“ angeguckt und mir extra eine Mitternachtsvorstellung rausgesucht, in der Hoffnung, ich wäre allein. Aber da war noch ein Typ, hinter mir, und es baute sich eine seltsame, fast erotische Verbundenheit auf. Jede Bewegung, jeder Atmer, jedes Aufstöhnen, man bekommt alles mit. Wenn ich beim Kochen online eine Serie binge, passiert das bestimmt nicht.

Ist „Berlin Alexanderplatz“ deshalb drei Stunden lang?

Adaption ist immer eine Behauptung, aber bei Döblins Roman und seiner Tiefenbeleuchtung von Personen und Verhältnissen braucht das in jedem Fall seine Zeit. Und ich bin ein langsamer Erzähler. Ich bin gerne bei den Schauspielern und möchte ihnen bei ihrer Reise ins Gesicht schauen, um sie zu verstehen.

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Sie haben Döblins Roman fürs Abi gelesen. Später haben Sie ihn freiwillig wiedergelesen. Eine Hassliebe, sagen Sie.

Mit der Lebensrealität eines 17-Jährigen hat der Roman nichts zu tun. Mit 17 bin ich damit beschäftigt, ob ich beliebt bin, ob ich gerade verliebt bin, ob ich cool bin. Franz Biberkopf und sein Freund Reinhold sind nicht cool. Und dann der Wahnsinn von Döblins Sprache! Inzwischen ist Schreiben mein Beruf und ich weiß seine Kaskaden an Ideen, Wörtern und Geschichten ganz anders zu schätzen. Erst recht den Rhythmus, in den er das bringt. Wenn ich das Buch heute aufschlage, muss ich mich immer zwingen, mit dem Lesen wieder aufzuhören.

Was war der Moment, zu sagen, ich verfilme „Berlin Alexanderplatz“ zum dritten Mal, nach Piel Jutzi und Fassbinder?

Ich wohne seit zehn Jahren an der Hasenheide und wollte lange einen Film über die Jungs drehen, die dort mit Drogen dealen. Die Hasenheide ist ein bürgerlicher Park, wer dort spazieren geht, in dem verankert sich das Bild von schwarzen Männern als Dealern. Ich fand es schrecklich, dass dieses Stigma nicht aufzulösen ist. Aber dann hat es „Klick“ gemacht: Das ist doch Franz Biberkopf! Ein Kleinkrimineller aus dem Subsubproletariat, vom Rand der Gesellschaft, der aus dem Gefängnis kommt und von der Mittelschicht komplett ignoriert wird.

Und der dazugehören will, indem er anständig wird.
Walter Benjamin nannte das die Hybris von Franz Biberkopf, am Ende ist der Roman eine Utopie. Benjamin sprach auch von Biberkopfs Hunger nach Schicksal. Er will mehr als nur ein Bett und ein Butterbrot. Solche Sätze spukten in meinem Kopf, und ich dachte, wenn die Jungs aus der Hasenheide im Rahmen von „Berlin Alexanderplatz“ auftauchen, kann man sie nicht ignorieren, wie es bei einem gewöhnlichen Film über sie wohl der Fall wäre. Das Publikum lebt und leidet drei Stunden lang mit einem von ihnen und hat danach hoffentlich einen anderen, nicht stigmatisierten Blick auf die schwarzen Männer in der Hasenheide, im Görlitzer Park oder am RAW-Gelände.

Francis (Welket Bungué) wird wie in Döblins Roman gegen seinen Willen in kriminelle Aktionen hineingezogen.
Francis (Welket Bungué) wird wie in Döblins Roman gegen seinen Willen in kriminelle Aktionen hineingezogen.

© Wolfgang Ennenbach/Sommerhaus/eOne/Berlinale/dpa

Wie recherchiert man denn in der Dealer-Szene?
Man kann schon mit ihnen ins Gespräch kommen und lernen, wie es abläuft, die Infrastruktur. Schon die ältere schwarze Dame hat mich beeindruckt, die den Dealern Essen bringt, im Einkaufswagen oder in einem Kinderwagen. Wir haben auch mit der Polizei gesprochen, mit Flüchtlingsorganisationen, mit Geflüchteten. Wir dachten dann aber, wir erweisen ihnen einen Bärendienst, wenn „Berlin-Alexanderplatz“ ein Film über das Flüchtlingsthema wird, denn wir hätten nicht die Zeit, es auszuerzählen. Wie ist es, fremd zu sein im eigenen Land, darum geht es bisher in meinem kleinen Oeuvre. Darum, die eigene Position zu finden, und um die Hoffnung auf Heimat.

Wie haben Sie die Döblin-Erben überzeugt, Ihnen die Filmrechte zu geben?
Mit dem jüngsten Sohn Stephan Döblin hatte ich einen langen Briefverkehr. Er wollte das Erbe seines Vaters in guten Händen wissen. Es gehört Mut dazu, einem nicht sonderlich bekannten Regisseur so viel Vertrauen zu schenken. Ich glaube, er konnte mit unserer Idee von der Jetzigkeit des Stoffes etwas anfangen. Auch unser Francis kommt mit einer großen Last auf der Seele nach Berlin. Er hat seine Heimat, seine Sprache, sein Selbstverständnis, seine Würde verloren und will sich all das zurückzuholen. Darum geht es im Kern, weshalb Stephan Döblin es wohl im Sinne seines Vaters fand, dass wir den Stoff in die Community der Zufluchtsuchenden einbetten.

"Ich konnte das Vaterunser aufsagen, bevor ich die arabischen Gebete lernte"

In die Welt geworfen. Francis (Welket Bungué) ist aus Guinea-Bissau nach Berlin geflohen und gerät an die Dealer in der Hasenheide.
In die Welt geworfen. Francis (Welket Bungué) ist aus Guinea-Bissau nach Berlin geflohen und gerät an die Dealer in der Hasenheide.

© Frédéric Batier/Sommerhaus/eone Germany

Heinrich George im Film von 1931, Günter Lamprecht bei Fassbinder, jetzt Welket Bungué: Im Kino ist Biberkopf immer schöner geworden.

Wir haben zwei Jahre gecastet, in vielen Ländern. Es stand fest, dass Francis aus der Subsahara kommt, aber auch ein Afrodeutscher hätte ihn spielen können. Anfangs sollte er Ähnlichkeiten mit Döblins Held haben: um die 40, untersetzt, grobschlächtig, nicht besonders hell im Kopf. Aber Film funktioniert anders als ein epischer Roman, deshalb waren wir so frech, uns peu à peu davon zu befreien.

Sie haben Welket Bungué 2017 auf der Berlinale im Wettbewerbsfilm „Joaquim“ gesehen.

Viel entscheidender war es, ihn als Menschen kennenzulernen. Es hat gedauert, zum Glück arbeite ich mit Leuten, die schlauer sind als ich. Auch Albrecht Schuch, der Darsteller des Reinhold, wusste schneller als ich, dass er der Richtige ist. Jella Haase als Mieze und Albrecht hatten wir schon früher gefunden, beide hatten den Mumm, schauspielerisches Neuland zu betreten. Albrecht spielt sich ja sprichwörtlich um Kopf und Kragen.

Er hat jetzt körperliche Handicaps.

Albrecht kam von „Systemsprenger“ in eine Probe, er war müde und ausgelaugt, hing in den Seilen. Er sprach ganz leise, saß da mit verzerrtem Körper – und Welket und ich wussten, das ist es. Ist es zu theatral? „Berlin Alexanderplatz“ soll überspitzt sein, opernhaft. Vielleicht ist das mein Stil, ich möchte es authentisch und glaubwürdig, aber gleichzeitig theatral.

Sie sagen, „Berlin Alexanderplatz“ ist kein Film über das Thema Flüchtlinge. Aber das Thema liegt Ihnen am Herzen.

Meine Eltern kamen vor knapp 40 Jahren mit zwei Koffern nach Deutschland. Sie haben viel mitgebracht, was nicht in diesen Koffern war, Spuren ihrer Kultur, ihrer Gedanken, ihrer Geschichte. Auf verdünnte Weise ist das in mir drin und ich gebe es an diese Kultur weiter, indem ich es in meine Filme einflechte. Das gehört zur globalen Wanderung. Die sogenannten Wirtschaftsflüchtlinge, Kriegsflüchtlinge, demnächst die Klimaflüchtlinge, es wird nicht aufhören. Es ist eine Multigenerationen-Aufgabe, damit einen gesunden Umgang zu finden.

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Worin genau besteht die Aufgabe?
Die Schauspielerin Anne Ratte-Polle sagte kürzlich bei der Verleihung des Bayerischen Filmpreises: Wir befinden uns wieder in den 20er Jahren eines neuen Jahrhunderts, lasst uns nicht die Fehler vom letzten Mal wiederholen. Nehmen wir doch mal die Deutungshoheit über das Wort „Patriot“. Darf man so ein mächtiges Wort den Rechten überlassen? Ich bin totaler Verfassungspatriot. Unser Grundgesetz gehört zu den schönsten, poetischsten, klügsten juristischen Texten der Welt. „Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.“ Ich kenne keine andere Verfassung, die mit so einem Artikel anfängt. Meine Filme sind öffentlich gefördert, also vom Steuerzahler finanziert. Das heißt, ich habe neben dem Bildungsauftrag auch einen demokratischen Auftrag, den zum antifaschistischen Widerstand.

Sie sagen auch, ein Hauptthema der Deutschen sei die Frage der Schuld, die Verantwortung. Hat Sie auch das an Döblin gereizt?

Döblin schöpft aus einem katholisch religiös-moralischer Bilderkanon. Das hat sich in den Film vererbt. Er ist mir nicht fremd. Ich wurde muslimisch erzogen, wuchs aber in einem katholischen Dorf im Westerwald auf. Ich konnte das Vaterunser aufsagen, bevor ich die arabischen Gebete gelernt habe, ich bin ein verkappter Katholik. Und ich ärgere mich, wenn es heißt, es sei jetzt mal genug mit der Erinnerungskultur. Meine Eltern hatten nichts mit dem Zweiten Weltkrieg und dem Holocaust zu tun, dennoch bin ich im Bewusstsein dieser Schuld aufgewachsen. Sie ist Teil unserer Kultur, unserer Identität im globalen Dorf. Gerade diese Sensibilität gegenüber der eigenen Schuld macht uns Deutsche doch so weltoffen. Es ist ein hoher, krasser Wert. Wie gefährlich, wenn wir ihn für einen kleinen, national verengten Blick aufgeben würden.

Jella Haase spielt Mieze, die große Liebe von Francis (Welket Bungué)
Jella Haase spielt Mieze, die große Liebe von Francis (Welket Bungué)

© Stephanie Kulbach/Sommerhaus/eOne/Berlinale/dpa

Als Sie 2010 mit „Shahada“ das erste Mal am Wettbewerb teilnahmen, wurde der Film harsch kritisiert. Ein Trauma?
Ich bin damals mit meinem Abschlussfilm kindlich und mit offenem Visier in die Berlinale gegangen. Meine Arbeit war bis dahin etwas Intimes, jetzt lag sie auf dem Seziertisch. Es hat total wehgetan, aber ich bereue nichts, es war ein geiles Abenteuer. Heute denke ich an all das nicht, sondern weiß, meine Schauspieler und mein Team haben alles gegeben. Ich bin gewappnet, „Berlin Alexanderplatz“ bis aufs Blut zu verteidigen. Fassbinder ist auch verrissen worden. Sollen Sie kommen.
26.2., 15.30 Uhr (Berlinale Palast), 27.2., 9.15 Uhr (Friedrichstadtpalast, 27.2., 15 Uhr (Haus der Berliner Festspiele), 1.3., 17.15 Uhr (Berlinale Palast). Im Kino startet "Berlin Alexanderplatz" am 16. April.

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