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Szene aus "Sameblod" von Amanda Kernell.

© Sophia Olsson

Berlinale NATIVe: Gespräch mit Amanda Kernell: Die Sache mit dem Motorradlärm

„Die Kolonisierung ist nicht zu Ende“. Amanda Kernell und ihr beeindruckendes Spielfilmdebüt „Sameblod“ über die indigene Volksgruppe der Samen in Schweden.

Die alte Dame will nicht. Sie sitzt im Auto ihres Sohnes, das sie in den Norden bringt, Wälder ziehen vorüber und einzelne Seen, Berge, und die 78-Jährige sträubt sich mit wortloser Vehemenz gegen jeden Meter, der sie dem Ziel näher bringt. Dort weigert sie sich auszusteigen, ihre verstorbene Schwester liegt aufgebahrt in einer Kapelle, im Gewand der Sami und mit geflochtenem Haar. Zur Trauergemeinde hält die weißhaarige Dame Abstand. Ihr Trotz, den der Sohn nicht versteht und die Enkelin auch nicht, weil es doch interessant sein dürfte, mehr von diesen Leuten und ihrem von uralten Traditionen geprägten Leben zu erfahren, ihr Widerwille ist unversöhnlich.

Der Zorn dieser Dame ist dunkel und mystisch in „Sameblod“, Amanda Kernells beeindruckendem Film über eine Sami, die in den 30er Jahren im Norden Schwedens lernen muss, dass sie nur um den Preis der kulturellen Entwurzelung dazugehören kann und erst als Greisin wieder in ihre Heimat zurückkehrt, traumatisiert. Sie will dann auch gleich wieder aufbrechen, zurück in den Süden, woher sie komme, wie sie den drei Frauen sagt, die als Touristinnen im selben Hotel abgestiegen sind. Die Sami, so klagen sie, würden so wenig Rücksicht nehmen. Kaum sei man zu Bett gegangen, knatterten die mit ihren Motorrädern durchs Gelände. Ja, sehr laut.

Von schwedischer Seite lieber vergessen: der Rassismus gegenüber den Samen

Einige aus ihrer Familie hätten sehr hässlich über Sami geredet, sagt Amanda Kernell. Vor allem die Älteren. Dabei, so sagt die schwedische Regisseurin, seien sie selbst Sami gewesen. Und sie fragte sich, ob man wirklich zu einer neuen Person werden und sämtliche Verbindungen zur eigenen Herkunft kappen könne. „Sameblod“ versucht, eine Antwort auf diese Frage zu formulieren. Es ist ihr Kinodebüt nach mehreren Kurzfilmen.

Auch die Szenen mit Maj Doris Rimpi als störrischer Großmutter waren zunächst ein Kurzfilm, um Geld für das eigentliche Vorhaben eines unverfälschten Sami-Films aufzutreiben. Wer würde schon unbesehen in das Projekt einer Anfängerin investieren, die in einem seltenen südsamischen Dialekt und mit Laiendarstellern drehen wollte? Außerdem rührte der Film etwas auf, das auch von schwedischer Seite lieber vergessen wäre: der Rassismus gegenüber den Samen.

Schweden gründete 1921 als erstes europäisches Land ein Staatliches Institut für Rassenbiologie, seine Wissenschaftler trieben die Rassenlehre voran, die später von den Nationalsozialisten in ihre Herrenmenschenideologie integriert wurde. Noch heute lagern zigtausende Bilder in den Bibliothekskellern der Universität Uppsala und gelegentlich kommen Sami, um nach Aufnahmen ihrer Vorfahren zu suchen.

Identitätssucherin. Die Regisseurin Amanda Kernell.
Identitätssucherin. Die Regisseurin Amanda Kernell.

© Isabell Höjman

Amanda Kernell, deren Vater samischer Herkunft ist, führte für ihren Film viele Gespräche mit Verwandten und Zeitzeugen, um dem Ursprung des Selbsthasses auf die Spur zu kommen. Sie hörte oft den Satz: „Das ist doch keine Geschichte, das ist nichts.“ Als wäre überwunden, was ihnen angetan wurde, die sie als Kinder von ihren Eltern getrennt und auf ferne Sonderschulen geschickt worden waren. Warum sich beklagen?

Aus dieser Abwehr bezieht „Sameblod“ eine poetische Kraft. In einer Szene muss Elle Marja sich entkleiden, um sich von einem Arzt vermessen zu lassen, während vor den Fenstern der Schule die Jungen des Dorfes herumlungern.

„Die Kolonisierung ist nicht zu Ende“, meint Kernell. In der Schule würden schwedische Kinder einen einzigen Satz über Samen lernen: Ein Volk, das in vier Ländern lebt. Noch immer gäbe es blutige Konflikte mit Landbesitzern, über deren Grund die Rentierherden streifen. Stolperfallen würden ausgelegt, die Selbstmordrate sei erschreckend hoch. Die alten Reflexe funktionierten, nach denen eine 14-jährige Sami wie Elle Marja, die von Lena Cecilia Sparrok grandios gespielte Heldin, sich „Lappen-Schlampe“ rufen lassen muss.

Wie Sparrok dieses Mädchen spielt in ihrem grollenden, unverwüstlichen Stolz, ist ein Ereignis, das „Sami Blood“ zuletzt beim Filmfestival in Göteborg große Anerkennung bescherte. Alle zehn Jahre werde ein Sami-Film gedreht, sagt Kernell, ihrer sei der vierte.

Den Eintritt in die schwedische Gesellschaft erkaufen

Er steht für eine Wende im Selbstverständnis des nordischen Volkes. So verzichtete die Regisseurin fast vollständig auf folkloristische Elemente. Sie wollte, dass ihre samischen Schauspielerinnen mit einem Messer umzugehen wussten, und auch andere Details sollten stimmen, ohne sie allerdings zu erklären. Wie die Sache mit dem Motorradlärm, der bloß Folge des Arbeitsrhythmus der Sami-Hirten ist, die ihre Kälber zur Markierung in den Abendstunden zusammentreiben. Mehr als für das, was ihrer Heldin normal vorkommen musste, wollte Kernell den Blick für Dinge einfangen, die Elle Marja interessierten. Der schöne Junge mit dem offenen Hemdkragen, Tanzfeste unter Lampions, Seifenduft, das hochgesteckte Haar der Lehrerin.

Das Mädchen wird am Ende zu einem drastischen Mittel greifen, um sich den Eintritt in die schwedische Gesellschaft zu erkaufen. Die Härte gegenüber sich selbst lässt einen die entschlossene Miene von Lene Cecilia Sparrok so schnell nicht wieder vergessen. Als die Laiendarstellerin nach Lektüre des Drehbuchs für die Rolle zusagte, meinte sie, dass sie nicht weinen werde, wie im Skript verlangt. Kernell bot an, dass man sich mit künstlichen Tränen behelfen könne. Nein, meinte Sparrok, sie lüge auch nicht. „Wenn es wehtut, soll es wehtun.“

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