Berlinale-Kolumne, Tag 8: Wie lange lebt das Kino noch?
Im Keller der Berlinale wird ein Kino begraben. Unser Autor hat sich reingeschlichen. Und einen Film über das Ende des Films gesehen.
Keine Partys, für die Autoscooter in Clubs eingebaut werden. Keine Stars, die nach Mitternacht ihre Stöckelschuhe neben die Tanzfläche feuern. Keine Abschlussgala mit goldenem Glanz und glamouröser Gloria – die Berlinale muss sich im Pandemie-Winter nach zwei Dritteln selbst abfrühstücken. Hat trotzdem gut geschmeckt bisher. Das Kino lebt noch. Und mit „Alcarràs“ hat ein Film gewonnen, in dem fast immer die Sonne scheint. Was will man mehr gerade? Außer vielleicht: fast immer Sonnenschein.
Blickdichte Bauzäune - keiner soll den Abriss sehen
Okay – aber so wenig Licht? Kabel hängen aus Wänden, Kinostühle stehen im Gang, am roten Teppich liegen abmontierte Lampen. Nur die Zahl am Kino 2 leuchtet fahl im Keller. Letztes Lebenszeichen der Berlinale, die einmal im Sony Center geglänzt hatte. Ich bin allein hier unten; irgendeine Türklinke ließ sich runterdrücken, vorbei an verwaisten Tresen, runter auf stillen Rolltreppen. Abandoned Berlinale. Hier unten wird das CineStar abgerissen. Keiner soll es sehen durch blickdichte Bauzäune, abgeklebte Fenster. Keiner soll es hören: Die Arbeiten ruhen während des Festivals. Kinos sterben leise.
Vielleicht ist es gekonnte Selbstironie: Direkt neben dem toten Kino lebt das kleine Arsenal; hier läuft gerade ein Film über den Abriss eines Kinos. Das Scala in Bangkok war das letzte seiner Art, über Jahrzehnte von bis zu 1200 Menschen pro Vorstellung bevölkert. Nun stehen Arbeiter barfuß auf Gerüsten, bauen Leuchter ab, reißen Leinwände runter, montieren die Buchstaben des Palastes entzwei. Sie selbst haben hier als Vorführer oder Verkäufer gearbeitet, gekocht, gelacht. Jetzt reißen sie ihr eigenes Leben ab. „Ich hab nichts anderes gelernt“, sagt einer. Nach der Finanzkrise gab es kein Popcorn mehr; als Streamen zur Industrie wurde, kam manchmal nur noch einer. Wer stellt für einen die Klimaanlage an?
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Ich war mal 50 Stunden in Bangkok. Eine rasende, schwülheiße Welt. Der letzte Familienurlaub mit meinen Eltern; wir saßen 30 Stunden im Flugzeug. Die Reise war das letzte Geschenk der DDR-Fluggesellschaft Interflug, für die meine Mutter Reisen in die nicht so weite Welt des Sozialismus verkauft hatte. Dann war die Mauer auf, wir nahmen als letzten Freiflug den längsten: 8600 Kilometer.
50 Stunden in Bangkok - alles verknäult
Wir hatten nur Westgeld für zwei Nächte. Nach der Landung überholte sich die Zeit: Menschen auf Mopeds, Augenblicke – alles verknäult. In der hektischen Hitze entdeckte ich einen Kapitalismus, der sich sicher war, nicht an sich selbst zu sterben. Das Schöne glänzte im Hässlichen, duftete wie die Orchideen, die meine Mutter mit auf den Rückflug nahm. Jeder einzelne Orchideenstiel steckte in einem kleinen Fläschchen mit Wasser. Welch ein Ringen gegen die Vergänglichkeit!
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Wie vergänglich ist Kino? Die Filmszene stürzt sich ins Streaming, doch das hat sich längst algorithmisch aufgebläht. So viele Sofas gibt es gar nicht, um darauf zu sitzen und alle Serien zu gucken. Der alte Film hofft auf das große Geschäft, bis es platzt – erfindet sich bis dahin das Kino neu?
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Am 30. April 1991 hob die letzte Interflug-Maschine von Schönefeld ab. Meine Mutter bekam ein symbolisches Ticket mit Trauerschleife, „für langjährige treue Dienste und das Durchhalten bis zum bitteren Ende“. Sie wurde arbeitslos, der letzte Iljuschin-Flieger verkauft – für eine West-Mark.
Das Scala in Bangkok bevölkern jetzt Spatzen und Katzen. Alte Filmrollen liegen auf einem Haufen; darin aufgerollte Träume. Und Staub. Man sollte das Leben genießen, bis man in Asche geht. Der Bär der Berlinale ist noch ganz goldig.
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