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Die Liedermacherin Bettina Wegner 1974 in ihrer Wohnung. Jetzt war sie auf der Berlinale zu Gast.

© Günter Gueffroy/dpa-Zentralbild/dpa

Berlinale-Kolumne, Tag 6: Singen und berlinern mit Bettina Wegner

Das hätte Honecker nicht gefallen: Im International, seinem einstigen Premieren-Kino, wurde zur Festival-Halbzeit Liedermacherin Bettina Wegner gefeiert.

Wie jetzt, schon Halbzeit? Bier und Bratwurst haben sie im Kino ja nicht. Aber im Berlinale Palast bekam ich noch eine Stehplatz-Karte fürs Stadionerlebnis. Ich wollte gerade ein kräftiges „HaHoHe“ anstimmen, da kamen Leute mit Logentickets auf mich zu; sie hielten mich für einen Ordner: „Wo ist Reihe 5?“ „Die vierte Reihe“, antwortete ich wahrheitsgemäß. Im Premierenpalast haben sie die erste Reihe abgebaut, ohne umzunummerieren. Zahlensalat als Halbzeitsnack.

Im Kino International an der früheren Stalinallee gibt es eine Stuhlreihe mit Beinfreiheit. Hier guckte früher Erich Honecker dem Staat genehme Filmpremieren. Dem Staat genehme Lieder probte in dem Kino der Oktoberklub, ein Singverein der nur so genannten Freien Deutschen Jugend.

Verurteilung wegen „staatsfeindlicher Hetze“

Mit ihrem DDR-Bekenntnissong wurde ich im Kinderferienlager gequält: „Sag mir wo Du stehst – und welchen Weg Du gehst.“ Mein Weg führte mich dann zum Glück weg von der FDJ. Viele waren da längst abgehauen. Aus dem Land, das ihre Heimat war. Bis heute geblieben ist.

„Es sind so viele von uns weggegangen / ach, hätte niemals niemand damit angefangen“, singt Bettina Wegner, die Gitarre in der Hand, ihre Stimme auf dem Herzen. Ihre beste Freundin, die Lyrikerin Sarah Kirsch, war zermürbt von Zensur in den Westen gegangen. Und Bettina Wegner, die feste freie Stimme aus Pankow, sang: „Wenn ich nach einer angstdurchträumten Nacht erwache / da kommt es manchmal, / dass ich weinend lache / weil ich vermisse, was ich einmal hatte / die Schutzhaut, meine harte, meine glatte / die ist zerrissen und blieb irgendwo.“ Ich sitze in Reihe sieben und muss weinen. Wie wenig Beinfreiheit hatten meine Eltern?

Als Kind berlinerte sie. „Es gab Taschengeld: fuffzich Pfennje. Für jedet Berliner Wort wurd mir een Pfennich abjezogen. Hab ick also keen Taschenjeld mehr jeseh'n. Hab ick mir jesacht: Kannste ooch berlinern.“ Der Film ist so gefühlvoll wie Wegners Lyrik von ihren Reisen zwischen Ost und West, Liebe und Ehrlichkeit.

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Man hört Tonprotokolle ihrer Verurteilung wegen „staatsfeindlicher Hetze“. Sie erzählt von ihrer ersten Liebe Thomas Brasch, der sie verließ als sie ein Kind bekam, wie sie durch ihr Baby erwachsen wurde, ihre große dritte Liebe verlor, weil sie eine Affäre mit Oskar Lafontaine hatte. Dazu viele Lieder, Straßenbilder aus dem Ost-Berlin der Achtziger und dem West-Berlin von heute. Irgendwann durfte sie nur noch da auftreten, wo nicht ihre Heimat war.

Sie ging dann doch rüber nach Frohnau. Und sang sich selbst hinterher. „Ich meine alle, die euch wirklich brauchen / und jetzt in ihrer Trauer untertauchen / die euch noch folgen werden auf die gleiche Reise / und die hier bleiben, sterben still und leise / an euch, an uns und an sich selber auch.“

Die bisherigen Berlinale-Kolumnen von Robert Ide:

Hier im „International“ hat sie mit Jugendlichen einen Singeklub begründet; die Jungs sangen Bob Dylan, sie von der Liebe. Später hieß die Veranstaltung „Eintopp“. Der Partei schmeckte das nicht – der Oktoberklub kam. Heute darf jeder frei tanzen, wie er will. Am Ende zeigt der Film feiernde Jugendliche im Mauerpark, unterlegt mit Bettinas Liedern.

Das „International“ erhebt sich zu Ovationen. Und Bettina Wegner sagt: „Heute geben mir junge Leute Hoffnung, die freitags die Schule schwänzen um was zu verändern.“ Die 73-Jährige will singen, so lange sie kann, „und Menschen treffen“. Dann bricht sie die Fragerunde berlinisch ab: „Leute, ick muss jetze echt uffs Klo.“ Halbzeit eben.

Berlin ist heute ein Eintopp. Darüber hab ich glücklich geweint bei der Berlinale. Besser als bei Hertha: Dit is allet nur zum Heulen.

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