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Der Wettbewerbsfilm „Wheel of Fortune and Fantasy“ porträtiert Frauen (Fusako Urabe, Aoba Kawai) in der japanischen Gesellschaft.

© Neopa/Fictive

Berlinale Glosse (9): Ein Feuerwerk für das Kino

Objektiv glücklich. Unser Autor verliebt sich unterm Sternenhimmel in die Liebe. Fast egal, dass irgendwo im Hintergrund noch ein Eigentor fällt.

Mir ist gleich klar, dass dieser Abend stressig wird. Ich muss meine Mülltonne im Kleingarten noch wegbringen, dann kurz die Nase beim Corona-Test reinhalten, schnell zur Museumsinsel zum Public Viewing, irgendein japanischer Liebesfilm – und dann fix zur zweiten Berlinale-Halbzeit ans Ostkreuz flitzen. Fußball ist auch noch; aber wen kümmert das, wenn es um die Liebe geht? Um einen Film, in den ich mich gleich am Anfang vergucke.

Am Ende fragt man sich natürlich, ob ein paar schöne Momente diese Hetzerei wirklich wert sind. Es ist Mitternacht im süßen Schrammelkino Pompeji, als irgendwo am Ostkreuz ein Feuerwerk in die Luft steigt. Gerade habe ich fünf Kurzfilme gesehen, die man in Kürze so erzählen kann: Luftaufnahmen in der afrikanischen Wüste zeigen die Spuren eines Bombenangriffs, die Sprecherin beschreibt einen „Jahrestag der Rekonstruktion eines seltsamen Objekts“.

In barocken Schlössern in Irland und Frankreich holen Besucherinnen und Besucher ihre Instrumente raus – sie spielen Dudelsack, hauen auf Bongos, schuhplattlern. Ein chinesischer Opa hat seinen Enkel zu Gast, auch seine Eltern sind zum Essen da – nach und nach werden alle gezeigt, wie sie einschlafen.

Drei violett schillernde Bildschirme, die minutenlang gefilmt werden, färben sich gelb; zwei gelbe dafür violett. Ein Mann im Wald sammelt Wasser, während zwei andere Männer auf einer Lichtung miteinander schlafen. „Habt Ihr noch Fragen zu den Filmen?“ Ich antwortete mir schnell: Abspann. Gute Mitternacht!

Dialoge halten die Handlung magisch fest

Es war stressig genug, überhaupt hierherzukommen. In Mitte fährt kein Taxi mehr herum, seit die Touristen lieber ihre eigenen Kieze bereisen. Also spurte ich durch den Lustgarten zum Stadtschloss, vor dem ich dann blöd rumstehe wie die Schlossfassade hier in der Gegend. Als ich am Fernsehturm endlich ein Taxi erhasche, jagen wir durch die Stadt – auf einer Leinwand hinter der East Side Gallery fällt ein Eigentor. Spurt ins Schrammelkino, Corona-Test gezeigt. Vorspann.

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Meditative Farbverläufe in Edgar Jorge Baralts Kurzfilm "Ventana".
Meditative Farbverläufe in Edgar Jorge Baralts Kurzfilm "Ventana".

© Edgar Jorge Baralt

Eigentlich wollte ich beim ersten Film ja früher los. Aber „Wheel of Fortune and Fantasy“ ließ mich nicht gehen, obwohl der japanische Regisseur die Bilderstrecken sehr rar über zwei Stunden gestreut hat: ein Gespräch zwischen zwei Freundinnen im Taxi, ein Mann und eine Frau im Büro, zwei fremde Frauen am Bahnhof. Aber die Dialoge halten die Handlung magisch fest – so wie die Menschen sich aneinander.

Hat man Sex beim ersten Date? Die meisten Männer wollen Sex beim dritten Date. Ich wusste nicht, dass Reden so erotisch ist. Er hat Angst vor der Liebe bekommen. Weißt du eigentlich, wie sehr es mich verletzt hat, dich zu verletzen? Unsere Körper passen perfekt zusammen. Hast du einmal versucht, dich mir zu stellen? Objektiv gesehen müsste ich glücklich sein. Ist er unverzeihbar – der bloße Gedanke? Ich bin wütend auf mich, weil ich das Nötige ungesagt ließ. Hast du sie geliebt?
Ich weiß nicht, wie man diesen Film nicht lieben kann. Auch wenn ich ihn am Ende verlassen muss. Ich renne los, ohne einen Blick zurück.
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