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Berlin leuchtet. Produzentin Ada Solomon gewann mit einem rumänischen Polit-Porno den Goldenen Bären.

© Tobias Schwarz/AFP-Pool/dpa

Berlinale Glosse (7): Liebe, Ex und Zärtlichkeit

Der Gewinnerfilm startet als Porno, die Preisgala findet keinen Höhepunkt. Unser Autor sucht bei der Berlinale nach einem Neuanfang - auf seiner Haut.

Es braucht immer einen krassen Start. Das hier war schon mal keiner. Noch mal von vorne!

Nach einer Woche Berlinale fängt mein Körper an zu stinken. Bei der Preisverleihung auf der Museumsinsel liegt ein kleines Beauty-Set zum Mitnehmen auf jedem Stuhl. Den Eyeliner hab ich zur Seite gelegt, im Kino sieht man sich selten in die Augen.

Maskuliner Duft von Zedernholz

Gleich am nächsten Morgen habe ich das Duschgel „Barber Club“ ausprobiert. Es verspricht einen „maskulinen und holzigen Duft mit einer Zedernholznote“. Vielleicht stimmt ja was mit meiner Nase nicht, aber ich rieche jetzt wie eine Corona-Teststation.

Im diesjährigen Gewinnerfilm geht’s am Anfang gleich zur Sache. Eine Frau nimmt einen Penis in den Mund; viele Nahaufnahmen später ergießt sich der Samen in ihrem Po. Ich umschreibe das hier sehr zurückhaltend – Sex braucht keinen Eyeliner.

Der Sexualmoral geht's an die Unterwäsche

In „Bad Luck Banging or Loony Porn“ geht es nicht um Liebe, Ex und Zärtlichkeit; der Film will mit Satire der verlogenen Sexualmoral in Rumänien an die Unterwäsche. Zwischendurch dreht er sich um militarisierte Politik, motorisierten Straßenverkehr und feministische Gesellschaftskritik, in sanften Bildern wird das raue Stadtleben von Bukarest gezeigt. Bis zum abrupten Höhepunkt am Schluss. Auch ein Ende kann krass sein.

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Die Preisverleihung fand so schnell kein Ende, das war ja klar. Aber einige der langen Dankesreden haben mich kurz gerührt. Die in New York wohnende Instagram-Ikone Dasha Nekrasova, vor 30 Jahren in Minsk geboren und mit ihrem ersten Film gleich eine Berliner Gewinnerin, ruft auf Russisch in die Nacht: „Freiheit für Belarus!“

Vorkämpferin für Belarus. Regisseurin Dasha Nekrasova gewann den Preis für den besten Erstlingsfilm.
Vorkämpferin für Belarus. Regisseurin Dasha Nekrasova gewann den Preis für den besten Erstlingsfilm.

© Axel Schmidt/Reuters/Pool/dpa

Der ungarische Regisseur Dénes Nagy, der einen dunklen Kriegsfilm gedreht hat, der ein berührender Antikriegsfilm ist, erzählt von seinem Vater, der die Dreharbeiten des Sohnes niemals gut genug fand – dann schaut er zu ihm hoch in den Himmel: „Happy Birthday, Dad!“ Und natürlich die Produzentin des rumänischen Gewinner-Pornos Ada Solomon, die feixend ihr Lebensmotto vorträgt: „Was dich nicht tötet, macht dich stärker!“

Bodentemperatur: 11,8 Grad Celsius

In diesem Sinne wurde ich stärker und stärker in der Preisnacht der Berlinale, von Anfang an um 20 Uhr („Komm'se rin, Sie sind der erste. Wir polieren grad noch die Bären.“) bis zum Abspann mit Überlänge um 1 Uhr morgens. Gemessene Bodentemperatur in Berlin: 11,8 Grad Celsius. Die nächsten Abende werden sicher hitziger.

Mal was Neues anfangen. Das sollte man immer im Leben. Ich nehm trotzdem wieder mein altes Duschbad mit Zitrone. Und verdufte.
Okay, der Schluss war jetzt nicht krass genug. Noch mal von vorne!
Ende.
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