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Zu den Waffen, Bürger! Die Rolle des Yoav ist das Spielfilmdebüt für den 26-jährigen Tom Mercier.

© Grandfilm

Berlinale-Gewinner „Synonymes“: Der Himmel sieht aus wie ein Pariser Altbau

Nadav Lapid gewann mit „Synonymes“ dieses Jahr den Goldenen Bären. Der Film erzählt vom tragischen Begehren eines jungen Israelis. Nun kommt er in die Kinos.

„Ist das der Tod?“, fragt der junge Mann, als er langsam wieder zu sich kommt, denn er sieht Engel. Aber es ist nicht der Himmel, in dem Yoav (Tom Mercier) aufwacht, sondern ein Pariser Altbau, und die Engel sind Émile (Quentin Dolmaire) und Caroline (Louise Chevillotte), zwei hübsche Pariser Bohemians, die den halb erfrorenen Fremden in der Badewanne gefunden, durchs Treppenhaus in die eigene Wohnung getragen und zum Leben erweckt haben.

„Ich bin Yoav, ich habe nichts mehr“, stellt sich die Hauptfigur von Nadav Lapids „Synonymes“ den beiden schließlich vor. Ein verzweifelter Satz, der aber aus dem Mund Yoavs eigentümlich erleichtert klingt. Nichts mehr zu haben ist schließlich Voraussetzung für jene Wiedergeburt, um die es Yoav geht: Franzose will er werden, mit Haut und Haaren, Israel entkommen, nicht bloß räumlich, sondern ganz und gar.

Seine Schutzengel statten ihn dafür mit dem Nötigsten aus. Der orangegelbe Mantel, mit dem Yoav von nun an ziellos durch diesen Film läuft, ist als Fashion-Uniform der angemessene Look für einen, der zwischen obsessivem Wunsch nach Neuanfang und soldatischer Vergangenheit zerrissen ist. Noch die gestelztesten Begriffe, die Yoav in seinem Wörterbuch entdeckt, sucht er in seine Sprache einzubauen. Und selbst die Erinnerungen an den Wehrdienst verlieren, einmal ins Französische gewendet, vielleicht ihren Schrecken.

Als „Synonymes“ im Februar den Goldenen Bären auf der Berlinale gewann, kam das für einige überraschend. Dabei war Regisseur Nadav Lapid eigentlich einer der größeren Namen im diesjährigen Wettbewerb. Sein erster Langspielfilm „Policeman“ um eine Eliteeinheit der israelischen Staatspolizei und eine linksextreme Terrorzelle, gewann 2011 den Jury-Preis in Locarno, der Nachfolger „The Kindergarten Teacher“ lief vier Jahre später in Cannes und wurde erst kürzlich mit einem US-amerikanischen Remake geadelt.

Seit seinem Debüt ist Lapids Kino eines der Physis. Nicht weil es sonderlich reich an Action wäre, eher weil es Subjektivität immer vom Körper her denkt anstatt von psychologischen Motivationen. In „Policeman“ gibt es eine schöne Szene, in der Protagonist Yaron auf einer Gartenparty jeden seiner männlichen Freunde mit einer Kombination aus Handshake und Umarmung begrüßt. Schon die Tonspur, die das ritualhafte Klatschen von Männerhänden auf Männerrücken betont, sagt dabei mehr über Männlichkeit aus als manch ein ganzer Film, der Ähnliches versucht.

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Auch in seinem neuen Film hält sich Lapid nicht damit auf, Yoavs biografischen Hintergrund auszuerzählen, lässt sich vielmehr vollends vom Körper Tom Merciers leiten. Für „Synonymes“ gilt ganz besonders, was sonst gern mal so dahingesagt wird: Dieser Film ist in der Tat ohne seinen Hauptdarsteller nicht vorstellbar ist. Direkt aus der Schauspielschule kommend, ist Mercier in seinem ersten Spielfilm ein einziges Spektakel.

Die radikale Flucht nach vorn, ästhetischer wie erzählerischer Movens von „Synonymes“, äußert sich in jeder seiner Gesten, in jeder Handlung, in jedem französischen Satz, den er mit bizarrem Ernst deklamiert. Die Konsequenz, mit der Yoav sich dem Hebräischen verweigert und eine Fremdsprache nachträglich zur Muttersprache machen will, übersetzt Mercier in eine neurotische Performance, in der sich das ersehnte neue Ich im gelben Mantel und der Körper voller Geschichte, der in diesem Mantel steckt, stets zu gleichen Teilen spürbar sind.

[Cinema Paris, Filmtheater am Friedrichshain; OmU: Delphi Lux, Filmrauschpalast, fsk, Rollberg, Wolf (auch OmenglU), Zukunft]

Einen wirklichen Plot im Sinne einer dramaturgischen Struktur besitzt „Synonymes“ kaum, eher laufen verschiedene Fäden nebeneinander her, und Lapid nimmt mal diesen, mal jenen wieder auf. Yoav beginnt eine Affäre mit Caroline, bietet Möchtegern-Schriftsteller Émile seine Erinnerungen als Geschichten an, verdingt sich als Aktmodell und heuert bei der israelischen Botschaft als Security an. Außerdem lernt er Yaron (Uria Hayek) kennen, der Frankreich für eine Bastion des Antisemitismus hält, sich in der Metro schon mal die Kippa aufsetzt und Passagieren aggressiv die israelische Nationalhymne ins Gesicht summt.

Selbst in diesen Momenten, in denen der latent absurde Humor sich zum Exzess ausweitet, wechselt „Synonymes“ niemals in den abgesicherten Modus der Parodie, lässt keinen Meter ironische Distanz zu. Das Lachen, und es lässt sich viel lachen in diesem Film, bleibt stets auf einen bitteren Kern bezogen: Identitäten mögen Fiktionen sein, aber sie schaffen Realität, lassen sich nicht so einfach wechseln wie Klamotten, und als Israeli in Paris ist man noch immer in erster Linie Israeli. Sich neu zu erfinden, das scheint Privileg einer hippen Paris-Bohème zu sein, als deren Vertreter Émile und Caroline Yoav immer wieder auf dessen Herkunft zurückwerfen.

Mitrailleuse und Marseillaise

Im Zuge aktueller Debatten um die Israel-Boykott-Bewegung BDS wird sich kaum vermeiden lassen, dass „Synonymes“ hierzulande auch in Bezug auf Antisemitismus und israelische Politik diskutiert wird. Dabei ist der Film mit Anspielungen zwar nicht zimperlich, entzieht sich zugleich aber gekonnt klaren politischen Zugriffen. Das hat viel damit zu tun, dass Lapids Kino eben eines der Physis und nicht des Diskurses ist, und in Yoavs Körper fließt zusammen, was der Diskurs häufig trennen zu können glaubt: das Trauma einer nationalen Identität, an deren Ursprung sich eben kein feierlicher Revolutionsmythos, sondern Verfolgung und Vernichtung findet; und das Trauma eines jungen Mannes, der von seinem Land mittels dreijähriger Wehrpflicht vor allem zum Soldaten gemacht wurde.

In zwei der bizarrsten und zugleich tollsten Szenen von „Synonymes“ bringt Lapid das tragische Frankreich-Begehren Yoavs auf den Punkt. In einer Rückblende durchlöchert Yoav bei einer Maschinengewehr-Übung in der Wüste eine Zielscheibe, und zwar im Takt des Chanson-Klassikers „Je ne veux pas travailler“ – die Kameraden sollen das Lied erraten. Im emphatischen Französisch, mit dem er Émile und Caroline von dieser Erinnerung erzählt, klingt das Wort Maschinengewehr, mitrailleuse, tatsächlich mehr nach einem Instrument als nach einer Waffe. In einer späteren Sequenz meldet sich Yoav in seinem Integrationskurs freiwillig, um den Text der Marseillaise vorzutragen. Beim Refrain wendet er sich von der Lehrerin ab und seinen Mitschülern aus aller Herren Länder zu: Aux armes, citoyens! Zu den Waffen!

Mitrailleuse und Marseillaise: das geballerte Chanson und die Hymne im Einbürgerungskurs, Frankreich als kulturelle Fantasie und als Nation, die noch immer vom „unreinen Blut“ singt, das die eigenen „Furchen tränkt“. Wie sollen sich hier Wurzeln schlagen lassen? Am Ende steht Yoav wieder im Pariser Altbau, klopft an Émiles Tür und bekommt keine Antwort, und auch als er seinen soldatischen Körper mit aller Kraft gegen sie wirft, geben die Himmelspforten nicht nach. Yoav bleibt bis auf Weiteres im Treppenhaus, und vielleicht für immer.

Till Kadritzke

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