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Berlinale: Die Quote, in der Dauerschleife

Endlich eine Quote im Regie-Geschäft! Filmemacherinnen kämpfen für mehr Aufträge und Gelder. Besuch in ihrem Kugelzelt auf der Berlinale.

Was ist das da vor dem Ritz Carlton? Ein rundes Zelt aus Plastik stand die letzten Tage auf dem Potsdamer Platz, eine durchsichtige Kugel, ausgelegt mit roten Kissen. Darin: Frauen, die sich unterhielten und gestikulierten, sichtbar für jeden Passanten. Während die Premieren und Aftershow-Partys auf der Berlinale ach so exklusiv sind, sollte es hier fünf Tage lang um Transparenz gehen. Kommt hinein, wir laden euch ein! Herzlich willkommen! Wir erzählen euch mal was über das Filmgeschäft.

Eine der Frauen in der so genannten Bubble ist die Regisseurin Nina Grosse. Sie gehört zum Vorstand des Vereins ProQuote Regie, Fifty-Fifty ist das Ziel. Momentan besagt die Statistik, dass 42 Prozent der Filmhochschulabgänger weiblich sind, aber nicht einmal 15 Prozent aller deutschen Kino- und Fernsehfilme von Frauen gemacht werden. Ein Skandal – wenn auch kein neuer.

„40 Jahre sind vergangen, und wieder stehen wir da, und wollen die Quote“, sagt Nina Grosse. Es ist tatsächlich nicht leicht. Die Filmemacherinnen von damals finden es zum Lachen, weil sie die gleichen Forderungen viel radikaler stellten – und die Männer sagen: Ihr schon wieder! Was die genauen Gründe für die Unterrepräsentation von Frauen auf den Regiestühlen sind, weiß die Initiative noch nicht. Studien sollen Antworten geben, hoffentlich bald.

Und so wurde sie zur Mädchenrechtlerin

Beobachtungen, die sie bislang gemacht haben? „Gestern war eine Freundin bei einem Empfang und stand dort mit zwei Regisseurinnen und zwei Regisseuren“, erzählt Nina Grosse. „Die beiden Männer sprachen darüber, wie sie die Berlinale nutzen, um sich neue Jobs zu angeln. So ein Gespräch habe ich zwischen Frauen noch nie gehört.“ Das heißt nicht, dass die Männer etwas Falsches tun. Sie und ihre Kolleginnen müssten vielmehr aktiver werden, selbstbewusster auftreten, sich besser vernetzen. Sie müssen die Spielregeln der Männer verstehen. Noch tougher sein, heißt es, Kopf hoch. Den Job will ich!

Halbzeit in der Bubble, hin und wieder schaut ein Neugieriger herein. Oft sind die Frauen aber unter sich, immer darauf bedacht, dass eine der beiden Türen geschlossen ist. Sonst schwindet die Luft in der Kugel und sie fällt in sich zusammen. Gerade kommt Tatjana Turanskyj und legt ihre Wollmütze ab. Sie nennt sich Feministin, seitdem sie neun ist, vielleicht sogar schon mit fünf. „Für ein Mädchen gehört sich das nicht“, hat ihr Opa oft gesagt. Mädchen müssen so und Jungen so sein. Warum, hat sie nie verstanden. Also beschloss Tatjana Turanskyj, Mädchenrechtlerin zu werden.

Starke Frauen, die alles können? Och nö

„Gefühle interessieren mich bei der Debatte nicht“, stellt die Berliner Regisseurin klar – letztes Jahr hatte sie mit ihrem Forums-Beitrag „Top Girl oder la déformation professionelle“ für Furore gesorgt, ein Film über den Alltag einer Sexarbeiterin und alleinerziehenden Mutter, mit Julia Hummer in der Hauptrolle. Sich ungerecht behandelt, übergangen, nicht sichtbar fühlen, das sei nicht der Punkt. „Es ist ein banaler Arbeitskampf“, sagt die 48-Jährige. „Es geht um Gleichberechtigung bei Aufträgen, die auch von öffentlichen Geldern finanziert werden.“

In Dauerschleife laufen Slogans über den Bildschirm an der Decke: Ich bin für die Quote, weil sie überfällig ist. Ich bin dafür, weil Selbstverpflichtung nicht funktioniert, weil Männer Männer fördern. Stopp. Der Bildschirm wird schwarz. Ein Video aus den 70er Jahren startet, eine Umfrage unter Männern. Ob ihre Frauen Auto fahren dürften? Nee, da sind die Herren dagegen. Frauen sollten sich lieber um die Kinder kümmern. „Tja“, sagt Nina Grosse. „So sah unsere Sozialisation aus.“

Bestürzung ja, aber niemand ist zuständig

Klar, heute sind die Zeiten anders, Frauen können studieren, arbeiten, Karriere machen. In der Debatte stellt sich auch die Frage: So viele fabelhafte Frauen, die alleine sind. Macht ihr Erfolg sie einsam? Fürchtet Mann die unabhängige Frau von heute? Regisseurin Imogen Kimmel, ebenfalls Verfechterin der Quote, weiß nicht, ob das so ist. Sie bemerkt nur die Verängstigung älterer Kollegen. „Es ist weniger Geld da, es gibt es diesen irren Nachwuchs, und jetzt kommen auch noch die Frauen.“

Vor zwei Jahren hat sich Kimmel zum ersten Mal bewusst mit dem Thema Quote auseinandergesetzt. „Es gibt ein unglaubliches Einzelkämpfertum“, sagt sie. „Wenn du etwas nicht geschafft hast, dachtest du immer, du seist eben nicht gut genug.“ Leistung, darauf wurde geschaut, doch jetzt zeigen sie und ihre Kolleginnen der Branche die Zahlen, schwarz auf weiß. Bestürzt sei dann jeder. Bloß zuständig fühlt sich keiner.

Dieselben Steine für jeden, bitte

Auch wenn nur drei der 19 Wettbewerbsfilme dieses Jahr von Frauen stammen, spricht Dieter Kosslick von einem Festival der „starken Frauen in Extremsituationen“. Bei einer Podiumsdiskussion zur Quote, ein paar hundert Meter von der Bubble entfernt, geht bei Kosslicks Motto ein Raunen durch den Saal. Och nö. „Das ist auch wieder ein Klischee, findet Tatjana Turanskyj. „Ich möchte nicht nur noch selbstoptimierte Frauen sehen, die alles erreichen können.“

Was sie stattdessen wollen? Isabel Coixet, Regisseurin des Eröffnungsfilms „Nobody Wants the Night“, hat es so gesagt. Es sollen ruhig Steine im Weg liegen, oft sind es wahre Felsbrocken beim Filmemachen. Aber es sollen dieselben sein wie bei den Männern.

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