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Berlinale-Direktor Dieter Kosslick während der Programmpressekonferenz zum Internationalen Filmfestival 2017.

© imago/Seeliger

Berlinale-Chef Dieter Kosslick: "Bei uns gibt es keine Fake News!"

Was sagt der Berlinale-Chef über Mexiko und die USA, den Jury-Präsidenten, 60.000 Kids im Publikum und ein Traumschloss für das Filmfest der Zukunft? Dieter Kosslick antwortet auf unsere Stichworte.

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Dieter Kosslick, was sagen Sie...

... zu dem Bus aus Keramik, der auf Ihrem Konferenztisch steht?
Ein Gastgeschenk aus Mexiko, zwölf schwarze Apostel, die vom Teufel kutschiert werden. Wir haben in Morelia im November die Berlinale präsentiert – Mexiko wird im Filmmarkt das „Country in Focus“ sein. Auf das Land kann man dieser Tage nicht genug schauen. Einer der wohl härtesten Filme dieses Jahres kommt auch von dort und läuft im Special. Im Dokumentarfilm „La libertad del diablo“ erzählen Opfer und Täter des Drogenkriegs.

... über Amerika und Donald Trump?
Bei uns gibt es keine Fake News! Nein, an diesem Präsidenten müssen wir uns nicht extra abarbeiten, auch wenn man unser Programm so lesen könnte. Zu seiner Homophobie bieten wir schon lange den Gegenentwurf: all die LGBT-Filme im Panorama und den Teddy-Award, den dieses Jahr Monika Treut bekommt. Trump ist doch nur ein Homunculus, der Repräsentant des Kapitals. Genauso haben sich Marx und Engels damals in London das Gesicht des Kapitalismus vorgestellt. Davon erzählt Raoul Pecks Film „Der junge Marx“. Seitdem versuchen viele Menschen, den Turbo-Manchester-Kapitalismus einzudämmen und die Welt gerechter zu machen. Und dann kommt so eine Kreatur der Börse und will alles ausradieren, wofür die Berlinale steht: Vielfalt.

... zur Welthaltigkeit des 67. Jahrgangs?
Die Themen könnten aus der „Tagesschau“ stammen. Zum Beispiel der Kolonialismus und die Folgen: „Viceroy’s House“ handelt vom Unabhängigkeitskampf Indiens vor 70 Jahren, mit zwölf Millionen Flüchtlingen und über einer Million Toten. Das waren die Briten. Überall im Programm finden sich solche Rückkopplungen in die Geschichte. Wann ist was schiefgelaufen? Früher waren es die Kolonisatoren, heute sind es die Investoren: Eine ökonomische Globalisierung kann es nur dann geben, wenn ihr eine kulturelle Globalisierung vorausgeht. Sonst bringt sie nur katastrophale Ausbeutung und Umweltzerstörung, wie man etwa im brasilianischen Film des Regisseurs Marcel Gomes’ „Joaquim“ sehen kann. Dennoch haben wir ein lebensbejahendes Programm: Die Protagonisten suchen nach neuen Perspektiven und Lösungen.

... zum Schwerpunkt Europa?

Viele europäische Filme werfen einen besonders gründlichen Blick auf die Lage des Kontinents. Ildiko Enyédi aus Ungarn und Agnieszka Holland aus Polen kommen mit erstaunlichen Geschichten über ihre jeweilige Heimat. Die eine spielt im Schlachthaus, in der anderen rächt sich eine Frau an der Männergesellschaft in der Provinz. Wenn es nicht so makaber wäre, könnte man sagen, dass die neue Repression und Depression große Kunst hervorbringt, die noch dazu Humor hat. Und zum allerersten Mal in der 67-jährigen Berlinale-Geschichte präsentiert der unverwechselbare Aki Kaurismäki einen Film im Wettbewerb!

... über den einzigen US-Film im Bärenrennen, „The Dinner“ von Oren Overman?
Ein Kammerspiel über verdrängte Verbrechen, gespenstisch aktuell. Wir hatten ursprünglich drei US-Wettbewerbsbeiträge, zwei sind uns leider abhanden gekommen. Martin Scorsese hätte „Silence“ sehr gern hier gezeigt, wir waren uns einig. Dann sollte der Film aber auch außerhalb Amerikas schon vor dem Festival starten. Bei Denzel Washingtons „Fences“ über eine schwarze Arbeiterfamilie in den 50er Jahren war es ähnlich.

... über die Deutschen im Wettbewerb?
Volker Schlöndorffs „Return to Montauk“, dem Andenken von Max Frisch gewidmet, Andres Veiels Dokumentarfilm „Beuys“, Thomas Arslans Vater-SohnRoadmovie „Helle Nächte“ – drei starke Filme von drei großen deutschen Regisseuren. Apropos Beuys: Es gibt zwei weitere Filme über bildende Künstler, „Final Portrait“ mit Geoffrey Rush als Giacometti und „Maudie“ über die naive Malerin aus Kanada, mit einer großartigen Sally Hawkins. Das sind Gegenpole zu all den Filmen über das Ende der großen Utopien und Ideologien: Porträts von Menschen, die ihre eigenen Visionen entwickeln. Es ist an der Zeit, dass wir uns auf uns selbst besinnen.

... über Helene Hegemanns „Axolotl Roadkill“. Warum zeigt die Berlinale ihn nicht?
Er läuft beim Festival in Sundance. Wir zeigen ausschließlich US-Produktionen aus Sundance. Wir hätten ihn sonst im Panorama gezeigt. Aber herzlichen Glückwunsch!
... über den Erfolg deutscher Regisseurinnen, der nicht auf der Berlinale stattfindet?
„Toni Erdmann“ war nicht fertig und Maren Ades letzter Film „Alle anderen“ lief auf der Berlinale, sie wurde nicht erst in Cannes entdeckt. Ich finde es gut, wenn deutsche Filme auch bei anderen Festivals laufen.

... den Gemischtwarenladen im Hauptprogramm: immer mehr Arthouse, eine Doku, Animations, sogar ein Superheldenfilm?
Genrefilme im Wettbewerb haben sich bei allen Festivals bewährt. Und wir sind inzwischen mutig genug, am zweiten Festival-Freitag spätabends den besten X-Men-Film „Logan“ zu zeigen. Ein sehr intelligenter Film: So könnte es ausgehen, wenn es uns nicht gelingt, die Populisten in ihre Schranken zu weisen. Es wäre doch schade, wenn ein Festivalprogramm nur aus ähnlichen Filmen besteht. Aber okay, wenn Sie so wollen, ich würde eher Kolonialwarenladen sagen.
... zum Jury-Präsidenten Paul Verhoeven?
Wir hatten in den Vorjahren die Amerikaner James Schamus, Darren Aronofsky und Meryl Streep. Nun wollten wir einen Europäer. Wer passt zu uns, wer passt zum Programm? Im Wettbewerb weht bisweilen ein rauer Wind. Paul Verhoeven verfügt von „RoboCop“ über „Basic Instinct“ und „Starship Troopers“ bis zu seinem neuesten Autorenfilm „Elle“ über eine unglaubliche Bandbreite an filmischem Können. Er saß genau hier an diesem Tisch und sagte nach 20 Minuten: Wenn die Berlinale so aussieht wie dein Zimmer, dann passe ich zu euch. Ich weiß nicht, ob er nun meinen Gymnastikball meinte oder die teuflischen, mexikanischen Apostel.

..zur Ehrenpreisträgerin Milena Canonero?
Den Namen kennen erst mal wenige – anders als ihr Werk. Sie ist eine der besten Kostümbildnerinnen der Welt, von Kubricks „Clockwork Orange“ bis zum „Grand Budapest Hotel“- Filme, die wir zu ihren Ehren in der Hommage zeigen. Zur Preisverleihung gibt’s „Shining“. Die Berlinale identifiziert sich nicht nur über die ganz großen Namen von Regisseuren oder Schauspielern, sondern möchte auch andere Gewerke beim Film würdigen. Aber keine Sorge, es laufen genug bekannte Stars über den Teppich, Kristin Scott Thomas, Richard Gere, Penelope Cruz, Robert Pattinson...

... zum 40. Geburtstag von Generation, dem Kinder- und Jugendprogramm?
Letzte Woche im Kulturausschuss des Bundes staunten die Politiker wieder: Ist das wahr, 60 000 Kids gehen bei euch in 10 Tagen ins Kino? Es ist wahr. Wir haben das ursprüngliche Kinderprogramm um 14plus erweitert, arbeiten pädagogisch, mit den Schulen, mit einer Kinderjury, es ist ein eigenes riesiges Festival. Mit einem Publikum, das wir für voll nehmen, das Filme in der Originalsprache sieht, bei den Kleinen mit Einsprechern. Dafür werden wir auch kritisiert, aber die Kids, die in dieser Welt leben, wollen ernst genommen werden. Wenn das Kino eine Zukunft hat, dann findet man sie bei den begeisterten Kindern im Zoo-Palast und im Haus der Kulturen der Welt.

...über das weltweite Berlinale-Netzwerk?
Ich nenne es unser Mycel, wie das Wurzelgeflecht bei Pilzen, das untergründig gedeiht. Rund 5 000 junge Filmemacher aller Disziplinen haben seit 2002 an den Berlinale Talents teilgenommen. Diese 5000 aus 15 Jahren bilden längst ein eigenes Netzwerk und kommen gern wieder. Diesmal laufen 93 Filme, an denen ehemalige Teilnehmer mitwirken. Und der World Cinema Fund fördert Projekte aus Regionen, die eine schwache filmische Infrastruktur haben und daher wenig Chancen auf Realisierung hätten. Dadurch entstehen auch neue Verbindungen zu Filmkulturen. Alain Gomis’ Wettbewerbsfilm „Félicité“ von Alain Gomis etwa wurde so unterstützt.

... zur Zukunft am Potsdamer Platz?
Der Musicalpalast steht jetzt übers Jahr leer, der Vertrag der Stageholding geht bis 2022. Unser Mietvertrag, auch fürs Büro, läuft nur bis Ende 2018. Wir brauchen 4000 Quadratmeter Bürofläche, möglichst zusammenhängend, wir sind eine große Firma. Wir verhandeln, dass wir bis 2022 zu erschwinglichen Mieten bleiben können. Parallel müssen wir mögliche Alternativen ins Auge fassen: Zum Beispiel ein neues Gebäude neben dem Gropius-Bau, wo jetzt der Parkplatz ist. Dort stand bis zum Krieg das Völkerkundemuseum, da ist die Berlinale doch der legitime, lebendige Nachfolger! Auch Kulturstaatsministerin Monika Grütters hält es für einen interessanten Gedanken: ein großes Filmhaus für Berlin, mit Festivalkino, Filmhochschule, Kinemathek, Arsenal, ein Ort, den man übers ganze Jahr als eine Art Filmschule fürs Publikum bespielen könnte. Partizipation, ein audiovisuelles Humboldt-Forum, da kommen einem tausend Ideen. Mein Vertrag läuft jetzt bis 2019, aber da wäre ich gern noch dabei.

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