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Der Obdachlose. Musikfan Elvis lebt unter einer Autobahnbrücke.

© Thekla Ehling/Unafilm

"Draußen" in der Berlinale Perspektive: Haste was, biste was

Perspektive Deutsches Kino: Zwei Kölner Regisseurinnen erzählen im Dokumentarfilm „Draußen“ von den Schätzen der Obdachlosen.

Im Wohnzimmer von Elvis sieht es tiptop aus. Die Musiksammlung ist sortiert, das Bett gemacht, jedes Ding hat seinen Platz. Ein Griff und der Stetson sitzt auf dem Kopf. Nur, dass der grauhaarige Cowboy mit den Totenkopfringen unter einer Autobahnbrücke lebt. „Ich habe Ordnung im Blut, seit ich im Heim aufwuchs“, sagt er. Sein größter Schatz sind seine geliebten Elvis-Alben.

Was haben die, die nicht einmal vier Wände haben? Das ist die Frage, mit der sich die Kölner Regisseurinnen Johanna Sunder-Plassmann und Tama Tobias- Macht dem Thema Obdachlosigkeit nähern. Sonst ist es Gegenstand von Sozialreportagen, die die auf der Straße Gestrandeten als Opfer zeigen. In „Draußen“ ist das anders. Da sind Matze, Peter, Sergio und Elvis nicht die von der Gesellschaft aussortierten Penner. Da sind sie stolz genug, um Sätze wie „Ich möchte nicht anders leben“ zu sagen. Da sind sie Helden, auch wenn Tobias-Macht sie doch lieber „Antihelden“ nennt.

Elvis-CDs, Hut, Cowboystiefel entwickeln in der starken Dokumentation, die in der Perspektive Deutsches Kino läuft, ein Eigenleben. Genauso wie das Fahrtenbuch und die Machete von Matze, der überall in Deutschland unter Tarnfleckfolie im Wald campiert und Zweige für sein Lager abschlägt. Oder der Schottenrock und das abgegriffene Jugendfoto von Peter, das ihn als strahlenden Karnevalsprinzen zeigt.

Die Habseligkeiten werden zur Installation

Die Regisseurinnen arrangieren die Dinge räumlich, binden sie an Fäden, stellen sie hin, hängen sie an Wände, an Bäume und beleuchten sie dramatisch wie eine theatralische Installation. Jeder Schlafplatz der vier Protagonisten erfährt in einer Nachtszene (Kamera: Sophie Maintigneux) diese artifizielle Metamorphose zum musealen Stillleben.

Die Regisseurinnen. Tama Tobias-Macht und Johanna Sunder-Plassmann (r.).
Die Regisseurinnen. Tama Tobias-Macht und Johanna Sunder-Plassmann (r.).

© Thekla Ehling/Unafilm

Sofort drängt sich angesichts dieser Ästhetisierung von Armut die Frage auf, ob das moralisch zulässig ist. Ein Einwand, der für die Mittdreißigerinnen, die beide ein Filmstudium an der Kölner Kunsthochschule für Medien absolviert haben, nicht zieht. Sicher stellten sie die Habseligkeiten der Obdachlosen aus, sagt Tama Tobias-Macht, die, bevor sie 2005 der Liebe wegen nach Deutschland kam, in ihrer Heimatstadt Jerusalem Fotografie studierte. „Aber das macht deren Leben ja nicht weniger schwer.“ Tatsächlich ist die Verlorenheit des aus Kasachstan stammenden Ex-Knackis und Junkies Sergio nicht geschönt, nur weil er es selber mit lakonischem Lächeln erzählt. Johanna Sunder-Plassmann berichtet, dass ihren Protagonisten die Idee, ihr Leben über ihre wenigen Besitztümer zu erzählen, sofort gut gefallen hat. „Keiner hat sich über das eher intellektuelle Konzept gewundert, es hat ihnen sofort gefallen.“

Ein Jahr hat die Suche nach den Protagonisten gedauert, in deren Verlauf die Frauen viele Besuche und lange Gespräche ohne Kamera in Kölner Anlaufstellen für Obdachlose geführt haben. Die hätten häufig negative Erfahrungen mit Reportern gemacht, die die Armen besonders zur Weihnachtszeit als Objekte ihrer rührseligen Geschichte missbrauchten, erzählen sie. Entsprechend kühl waren zuerst die Reaktionen der Betreuer und Betroffenen. „Und die Leute einfach auf der Straße anzuquatschen, funktioniert nicht“, sagt Sunder-Plassmann, die das nach ein paar Abfuhren schnell wieder aufgegeben hat. Bei dem Thema liegt der Verdacht ja auch nahe, dass es frei nach Susan Sontag nur darum geht, „das Leiden anderer zu betrachten“.

Das Prinzip ähnelt dem von Orhan Pamuks "Museum der Unschuld"

Besonders wenn, wie in diesem Fall, die Filmemacherinnen auch noch aus der Kunst- und Museumsecke kommen. Johanna Sunder-Plassmann hat als Ausstellungsgestalterin in Istanbul das „Museum der Unschuld“ des Schriftstellers Orhan Pamuk aufgebaut. Das vereint Alltagsgegenstände aus dem Istanbul der Fünfzigerjahre, die zugleich ein Kaleidoskop der Gesellschaft jener Jahre sind. Genau diesen Ansatz, zu ergründen, was Dinge über eine Person und eine Zeit erzählen, hat sie nun wieder angewandt.

Das Lager. Peter (l.), Sergio und die ausgeleuchtete Installation ihrer Habseligkeiten.
Das Lager. Peter (l.), Sergio und die ausgeleuchtete Installation ihrer Habseligkeiten.

© Thekla Ehling/Unafilm

Tama Tobias-Macht beackert als Fotografin wie als Filmemacherin schon seit 2001 das Thema „Heim“, das Städte genauso wie Häuser oder Zimmer einschließt und in die Frage mündet, wie Räume Identitäten bestimmen. Die Idee, die Frage auf Menschen ohne architektonisch definierten Raum runterzubrechen, war da nur konsequent. Ebenso wie die Verbindung des Ansatzes „Dinge“ und „Räume“, der den beiden eingefallen ist, nachdem Tobias-Macht die Doku geschnitten hat, die ihre Kollegin über ihr Istanbul-Projekt gedreht hat.

Die Absicht der beiden, die Obdachlosen durch ihre Dinge zu „erzählen“ und sie so aus der gesellschaftlichen Unsichtbarkeit zu holen, geht in den Interview- und Alltagsszenen der auf ihre Art eindrucksvollen Männer auf. Den Installationen ist der Wille zur Kunst allerdings etwas überdeutlich anzumerken, sie sind ein Fremdkörper, was den Mut zum künstlerischen Dokumentarfilmexperiment nicht schmälert.

Wohnungen von Schriftstellern und Gelehrten würden musealisiert, weil deren Stifte und Bücher als bedeutsam für Geschichte und Gesellschaft erachtet würden, sagt Tama Tobias-Macht. „Wir zeigen, dass die Sachen der Armen und damit auch sie wichtig sind.“ Johanna Sunder-Plassmann nickt. „Die Obdachlosen sind Überlebenskünstler, von denen jeder lernen kann.“ Gunda Bartels

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