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„Acht Bilder zum Nachdenken, ob’s so weitergeht“. Als Flick 2003 seinen Leihvertrag mit den Staatlichen Museen unterschrieb, brachte er diesen Zyklus von Martin Kippenberger von 1983 mit. Nun hat er entschieden, dass es nicht mehr weitergeht.

© picture-alliance /dpa

Berlin verliert Flick Collection: Abriss eines Traums

Aus nach 17 Jahren: Friedrich Christian Flick zieht seine bedeutende Sammlung von Gegenwartskunst aus Berlin ab.

Ein Grollen kündigte schon länger diesen Erdrutsch an. Die Stiftung Preußischer Kulturbesitz informierte am Freitag offiziell darüber, was viele bereits befürchteten: Friedrich Christian Flick zieht seine Sammlung mit Auslaufen des Leihvertrags im Herbst 2021 aus dem Hamburger Bahnhof ab. Der Grund: Gleichzeitig endet für die Stiftung Preußischer Kulturbesitz der Mietvertrag für die Rieck-Hallen, in denen die Sammlung Flick mit wechselnden Ausstellungen untergebracht war. An einem anderen Ort war Flick offensichtlich nicht interessiert.

Alle Versuche – auch von Seiten des Landes Berlin – , die österreichische CA Immo AG als Vermieterin von einer Verlängerung zu überzeugen, scheiterten. Die Wiener Immobiliengesellschaft, die das Grundstück in der Zwischenzeit von der Deutschen Bundesbahn erworben hatte, will es wirtschaftlich verwerten, sprich: Neubauten darauf setzen, wie sie rundum in den letzten Jahren hinter dem Hauptbahnhof entstanden sind. Der Abriss der ehemaligen Lagerhallen ist damit nicht mehr aufzuhalten.

Friedrich Christian Flick, der den Umbau der Hallen durch das Berliner Architekturbüro Kühn Malvezzi für 8 Millionen Euro damals finanzierte, um für seine Kunst ein adäquates Haus zu haben, zog daraus die Konsequenz. Ohne die Rieck-Hallen zeigte er sich an einer Verlängerung des Leihvertrags nicht mehr interessiert. Selbst der Versuch, ihm einen kompakten Neubau anzubieten, der auf kleinerer Grundfläche vier „Hallen“ übereinander stapelt, konnte ihn wohl nicht umstimmen. Die Folge: Flick holt die bei Übergabe vor 16 Jahren 2500 Exponate umfassende Sammlung wieder zurück in die Schweiz. Jene 286 Werke, die der Unternehmer 2008 und 2016 den Staatlichen Museen schenkte, aber werden bleiben.

Für Berlin und die Stiftung Preußischer Kulturbesitz ist der Abzug ein höchst schmerzlicher Verlust. Mit Flick hatte der Hamburger Bahnhof endlich geschafft, was er als Behauptung bereits im Titel trug: ein Museum der Gegenwart zu sein. Auch wenn 2021 zentrale Arbeiten und ganze Werkgruppen von Absalon, David Claerbout, Stan Douglas, Dan Graham, Rodney Graham, Candida Höfer, Paul McCarthy, Jason Rhoades, Pipilotti Rist, Thomas Schütte, Diana Thater und Franz West nicht mitgehen werden, ist der Vorgang ein Imageschaden für die Staatlichen Museen. Es entsteht der Eindruck, während vorne neue Häuser gebaut werden – im November fand der erste Spatenstich für das Museum des 20. Jahrhunderts am Kulturforum statt – wird hinten abgerissen.

Der Hamburger Bahnhof, insbesondere die Rieck-Hallen, waren die Zugmaschine, die in den nuller Jahren rund um die Heidestraße ein lebendiges Kunstquartier entstehen ließ: Ateliers, Galerien, sogar eine Kunsthalle eröffneten auf dem Gelände. Allerdings passierte dort schon bald, was sich vielerorts, in London, New York, beobachten lässt. Der Spur der Künstler folgten die Investoren und damit die Kündigungen. Bis heute wird das Terrain unter der Überschrift „Wohnen am Kunstcampus“ beworben. Ab Herbst 2021 wird nur noch der Hamburger Bahnhof als letzter Standort diese Bezeichnung rechtfertigen. Auch er befindet sich auf Gelände, das heute der CA Immo gehört. Allerdings besteht hier offensichtlich kein Anlass zu Sorgen. Das historische Gebäude steht den Staatlichen Museen aufgrund einer unbefristeten  Nutzungsvereinbarung gegen Betriebskostenübernahme zur Verfügung.

Der Weggang der Flick-Collection muss als weiterer Beleg für den sukzessiven Wandel der Kreativstadt Berlin in eine Investorenhochburg gesehen werden. Damit stellt sich die Frage, warum die Preußenstiftung und der Bund nicht früher die Zeichen der Zeit erkannt und durch Ankauf zumindest die Rieck-Hallen gesichert haben. Der Abriss jener weiter vorne gelegenen Kompartimente, in denen Thomas Demand, Olafur Eliasson und Tacita Dean ihre Ateliers hatten, um Platz für die „Europacity“ zu schaffen, fand bereits vor sieben Jahren statt. Ihre mediokren Neubauten standen als sichtbare Warnung direkt vor der Tür.

Bei den Staatlichen Museen versucht man nun den Scherbenhaufen zusammenzukehren. Stiftungspräsident Hermann Parzinger spricht sein Bedauern aus, dankt dem Sammler und kündigt an, für die verlorenen Ausstellungsflächen Ersatz zu schaffen. Generaldirektor Michael Eissenhauer verweist in der offiziellen Mitteilung auf die Schenkungen, die den Staatlichen Museen erhalten bleiben. Nationalgalerie-Direktor Udo Kittelmann, der im Herbst seinen Posten aufgibt, ohne dass bisher ein Nachfolger benannt worden wäre, gibt dagegen die Warnung aus, dass die Folgen „in ihrer gesamten Tragweite zum jetzigen Zeitpunkt noch gar nicht absehbar“ seien.

Gleichwohl waren erste Veränderungen auch innerhalb des Hauses schon früher zu spüren. Die Kuratoren präsentierten zwar regelmäßig großartige Ausstellungen aus dem reichen Bestand der Flick-Collection etwa zu Martin Kippenberger, Wolfgang Tillmans und Roman Signer. Doch mussten sie erleben, wie das ein oder andere prominente Stück aus dem umfangreichen Werkblock von Bruce Nauman schon vorher Berlin verließ. Deutlich sichtbar wurde dies vor zwei Jahren bei der Retrospektive „Disappearing Acts“ im Schaulager Basel und anschließend im New Yorker Museum of Modern Art, wo das bislang im Keller der Rieck-Hallen gezeigte Tunnel-Modell oder die Bronzeskulptur „Four Pairs of Heads“ nicht mehr von Friedrich Christian Flick als Leihgabe kamen. Stattdessen waren andere Besitzer namentlich ausgewiesen.

Der heute 75-Jährige hatte damit begonnen, seinen Nachlass zu ordnen und sich von Teilen seiner Sammlung zu trennen, da seine Kinder nicht das gleiche Interesse für Kunst teilen. Dass er die Werke stattdessen womöglich ans Kunsthaus Zürich geben könnte, wo im kommenden Jahr ein Erweiterungsbau von David Chipperfield eröffnet, wollte das Schweizer Museum allerdings nicht bestätigen. Stattdessen verwies es auf die drei Privatsammlungen Emil Bührle, Hubert Looser und Merzbacher, für die der Neubau – neben Räumen für Wechselausstellungen – geplant ist.

Besteht also noch Hoffnung? „Wir haben vereinbart, weiterhin in Kontakt zu bleiben,“ so Michael Eissenhauer. „Die Nationalgalerie steht für Werke der Friedrich-Christian-Flick-Collection an ihren Standorten immer offen.“ Ganz offensichtlich spielt der Generaldirektor damit auf das künftige Museum des 20. Jahrhunderts an. Bisher war hier immer nur von den Sammlungen Marx und Pietzsch, eher weniger von der Sammlung Marzona und gar nicht von Flick die Rede gewesen. Gut möglich, dass diese tönende Stille den Sammler verärgert hat, der bei der Eröffnung 2004 von der Politik und dem Regierenden Bürgermeister Wowereit noch hofiert worden war. Die damaligen Proteste im Vorfeld, dass die Sammlung unter anderem mit Geld des Flick-Konzerns aus Zwangsarbeit bezahlt sei, ebbten dadurch bald ab. Die beeindruckende Sammlung brachte die Kritiker endgültig zum Schweigen.

Siebzehn Jahre später muss die Stadt nun den Verlust verschmerzen. Sie verliert damit nicht nur zahlreiche mobile Werke, sondern auch Bruce Naumans begehbare Skulptur „Room with My Soul Left Out, Room That Does Not Care“ am Ende der Rieck-Hallen. Die ins Untergeschoss reichende Installation, die den Besucher über dem Schlund schaudern lässt, ist einer der bedeutendsten zeitgenössischen Künstlerräume. Er verschwindet mit dem Abriss der Hallen endgültig.

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