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Vorbild, Nachbild. Mark Alexander zeigt im Bodemuseum seine Siebdrucke, darunter rechts „Red Mannheim I“. Daneben das historische Modell: der Mannheimer Hochaltar, geschaffen von Paul Egell im 18. Jahrhundert.

© Thilo Rückeis

Berlin Kultur: Nah an den Sonnengöttern

Klassische Museen zeigen ihre Sammlungen mitunter mit aktueller Kunst. Mark Alexander variiert ein Altar-Motiv im Bode-Museum.

Seine Bilder scheinen zu lodern. Statt Tinte hat der britische Künstler Mark Alexander dicke, rote Ölfarbe für seine Siebdrucke verwendet. Zehn Mann waren notwendig, um die riesigen Druckrahmen zu bewegen. Alexander wollte, dass seine Serie „Red Mannheim“ nach Zerstörung, nach Schmerz, nach Drama aussieht. Am oberen Rand einer Leinwand sind dicke dunkelrote Farbschlieren sichtbar. Eine Szene aus dem Thriller „Shining“, in der ein grotesker Blutschwall aus einem Fahrstuhl strömt, war dafür Vorbild. Das schildert der Künstler im Barocksaal des Bode-Museums, wo derzeit drei seiner Siebdrucke ausgestellt sind, im selben Raum wie das Werk, das Alexander inspiriert hat: der Mannheimer Hochalter von Paul Egell aus dem Jahr 1738. Genau zu erklären ist es nicht, aber allein die Bildtafeln mit den Aufschriften, „Mark Alexander, London 1966“ und „Paul Egell, Mannheim 1691–1752“ in einem Raum – das bewegt tief, für einen Moment.

Etliche Berliner Museen, ob auf der Museumsinsel, am Kulturforum oder in Dahlem, bringen derzeit historische Kunstwerke mit zeitgenössischen Positionen zusammen. Die Gründe dafür sind von Haus zu Haus unterschiedlich. Im Bode-Museum ist es eher Ausnahme denn Zukunftsstrategie. „Ich bekomme viele Anfragen von zeitgenössischen Künstlern. Meistens lehne ich ab“, sagt der Direktor des Hauses, Julien Chapuis. „Mark Alexanders Arbeit allerdings bereichert das Original, deshalb zeigen wir sie“, so Chapuis. Egells üppiger Rokoko-Altar ist acht Meter hoch, aus Lindenholz geschnitzt und enthielt ehemals eine Vielzahl von christlichen Figuren. Im Zweiten Weltkrieg wurde ein Großteil des Altars im Friedrichshainer Bunker zerstört, wohin er zum Schutz ausgelagert worden war. Nur die Rücktafel, die im Keller des Bode-Museums verblieben war, und zwei Kinderfiguren, wohl Adam und Eva im Paradies, konnten gerettet werden. „So wirkt der Altar noch stärker“, sagt Alexander. „Das Paradies ist zerstört, die Kinder sind allein.“

Zehn Jahre lang beschäftigte sich Alexander mit Egells Meisterwerk. Zum ersten Mal sah er es 2003 in der Werkstatt des Berliner Restaurators Bernhard Lankers, der gerade an dem Altar arbeitete. Alexander war fasziniert und blieb es. 2006 fotografiert er den Altar im wiedereröffneten Bode-Museum. Auf Basis der Fotos fertigte er eine Serie von Siebdrucken in Blutrot und Schwarz-Weiß, die zunächst in der St Paul’s Cathedral in London ausgestellt wurden.

„Es war mein Traum, die Arbeiten neben dem Original zu zeigen“, sagt Alexander. „Aber es geht mir nicht darum, ins Museum zu kommen“, sagt er. Seit seinem Studium an der Ruskin Drawing School in Oxford adaptierte er immer wieder Meisterwerke, etwa die Sonnenblumen von Van Gogh oder dessen „Porträt von Dr. Gachet“. Oft in Schwarz und in Serien. Nachdem Alexander ein Porträt von Ludwig XIV. als Sonnengott gesehen hatte, arbeitete er acht Jahre lang wie besessen an einem goldenen Schutzschild, mit seinem eigenen Kopf im Zentrum und lodernden Sonnenstrahlen drumherum. Immer fand er großzügige Unterstützer, Heiner Bastian spendierte ihm ein Atelier in Berlin-Mitte, danach lud ihn die Sammlerfamilie de Rothschild nach London ein. Alexanders Drang, ein Meisterwerk zu schaffen, fasziniert, so anachronistisch er scheinen mag. Dazu gehört auch die Erfahrung, ständig daran zu scheitern. „Egells Altar ist einzigartig, meine Bilder sind nur ein bescheidener Versuch, etwas hinzuzufügen“, so der Künstler.

Ähnlichen Respekt vor dem Original hat die Zeichnerin Julia Oschatz, die derzeit in der Gemäldegalerie Zeichnungen und Videos in einem selbstgebauten Sperrholz-Display zeigt. Die 44-Jährige bezieht sich in ihrer Installation auf das Gemälde „Die niederländischen Sprichwörter“ von Pieter Bruegel dem Älteren, das in einem der Nachbarräume hängt. Bruegel zeigt einen Dorfplatz und allerlei Figuren. 100 Sprichwörter sind bildhaft dargestellt. Êtwa dieser Satz: „Wer durch die Welt will, muss sich krümmen.“

„In dem Gemälde erkenne ich die Welt, obwohl es schon 500 Jahre alt ist“, sagt Oschatz. Die Künstlerin spinnt die Geschichten der skurrilen Bruegel’schen Figuren in Zeichnungen, Radierungen und Videos weiter. Bei ihr haben Bruegels Figuren oft ein Loch im Kopf, durch das der Betrachter die Perspektive der Figur einnehmen kann. Ein bisschen wie in einem Ego-Shooter. Auch Oschatz hat sich zuvor mit den Alten Meistern beschäftigt. In einer Serie bezieht sie sich auf Gemälde von Künstlern wie Velázquez oder Goya aus dem Prado in Madrid. „Ich betrachte die Bilder wie die Tagesschau“, sagt Oschatz. Vorwissen über christliche Ikonografie und Geschichte blendet sie bewusst aus. Sie will dazu animieren, Bildinhalte – wie ein Kind – als Realität anzunehmen, und eine bewusstere Rezeption zu ermöglichen. Julia Oschatz stellt übrigens auf Einladung des Kupferstichkabinetts in der Gemäldegalerie aus. Das Kupferstichkabinett sammelt und erforscht druckgrafische Werke vom Mittelalter bis zur Gegenwart. Unterschiedliche Bildfindungsstrategien auch in Ausstellungen zusammenzubringen, ist für das Haus die logische Konsequenz.

Bereits 2011 brachte der Niederländer Willem de Rooij Vogeldarstellungen aus dem 17. Jahrhundert und hawaianische Federköpfe aus dem 18. und 19. Jahrhundert in die Neue Nationalgalerie, den Kunsttempel der Moderne. Hier schwang die Frage mit, was Museen überhaupt sammeln, aber es ging auch um die Auflösung der Dichotomien alt und neu, wertvoll und wertlos, europäisch und außereuropäisch. Ist die Integration von zeitgenössischen und historischen Positionen das Ausstellungsmodell der Zukunft?

„Das hat nur dann Sinn, wenn ein Kunstwerk in Bezug auf den klassischen Bestand einer Sammlung eine erweiternde, sinnstiftende Bedeutung erfährt“, sagt Udo Kittelmann, Direktor der Nationalgalerie. „Ich habe in den letzten Jahren nur wenige überzeugende Beispiele gesehen.“ Dass die historischen Sammlungen alleine nicht mehr attraktiv genug sind, glaubt er hingegen nicht. Das Aufpeppen mit junger Kunst hätten die Alten Meister nicht nötig. Schließlich wussten sie genau, wie man klotzt, statt zu kleckern.

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