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Seeschneckenfischerin vor der Insel Sado, aus Ulrike Ottingers Film „Unter Schnee“.

© Ulrike Ottinger

Berlin: Haus der Kulturen der Welt: Auf großer Fahrt

Die Künstlerin und Filmemacherin Ulrike Ottinger eröffnet die Asien-Pazifik-Wochen. Mit ihrer Ausstellung "Floating Food" und dem Japan-Film "Unter dem Schnee" ist sie die große Expediteurin zu den Rändern der Wahrnehmung unserer Welt.

Noch hat man die schwimmenden Salatbeete beim Festival „Überlebenskunst“ in Erinnerung, nun bildet das Wasser im Foyer des Hauses der Kulturen der Welt (HKW) ein Becken, mit Brücke und schwimmenden Gaben, und der blaue Teppich, auf den man tritt, hat Wellenmuster. Wasser: Lebenselixier, Verbindungsmedium, Transportstrecke, aber auch todbringendes, unbezähmbares Element. Der verregnete Sommer, das verseuchte Wasser um Fukushima, Hokusais Wellenbilder im Gropius-Bau. Und die Architekturgalerie Aedes beschäftigt sich unter dem Titel „Water – Curse or Blessing?“ gerade mit Projekten in Asien, die für Singapur 2050 eine Zukunft mit Ressourcennutzung und Wasserschutz entwerfen.

Dass die Asien-Pazifik-Wochen sich diesmal als „Co-Gastgeberin“ die Filmemacherin und Künstlerin Ulrike Ottinger ins Haus geholt haben, diese ihre Ausstellung unter das Motto „Floating Food“ gestellt hat und zugleich ihren Japan-Film „Unter Schnee“ präsentiert, in dem es um das gefrorene Wasser und seine Erscheinungsformen geht, scheint einem geheimen Plan zu folgen. Ottingers Installation im HKW ist Wunderkammer und Kinolabyrinth, heilige Halle und Sehnsuchtsort zugleich. Ein abgedunkelter Raum, den man durch einen Opernvorhang betritt, vorbei an Schullandkarten, die Ottinger mit Postkarten aus aller Welt zum privaten Expeditionsatlas verfremdet. Die Freundesgrüße verbinden sich mit der Expedition Adelbert von Chamissos, die auf den Karten eingezeichnet ist. Im Hauptraum dann Filmausschnitte und aus Dahlem entliehene Ruderboote, Requisiten wie das Schamanenkostüm aus „Johanna d’Arc of Mongolia“ oder die schwarze Madonna aus „Dorian Gray im Spiegel der Boulevardpresse“, ein Altar mit Mützen, Masken, Rudern, Fotos und Opfergaben als „Gästebuch der Weltreligionen“. Das klingt esoterisch und exotisch, doch in der magischen Assoziationswelt der Ulrike Ottinger fügen sich die vielen Elemente zu einer einzigen sinnlichen Erfahrung. Bei ihren Filmen vergisst man Zeit und Raum, lässt sich bannen vom Flusslauf des Schischgid, wie in den Aufnahmen, die auf Ottingers Reise zu mongolischen Rentiernomaden entstanden. Am besten lagert man sich auf das Wogenbett in der Mitte des Raums und folgt der Künstlerin auf ihren Reisen.

Das Reisen in Gedanken, Büchern und Bildern, die grenzenlose Neugier und die keineswegs naive Haltung, ihre Geschichten von Begegnungen und Zufällen treiben zu lassen, machen Ulrike Ottinger zur großen Expediteurin zu den Rändern der Wahrnehmung unserer Welt. Ob es die Südostpassage nach Fall des Eisernen Vorhangs ist oder in „Unter Schnee“ das japanische Grenzland Echigo, wo der Schnee meterhoch liegt und die Menschen 22 Wörter für ihn wissen, von „Schnee Nr. 1“, dem ersten Schnee, über „Blütenschneegestöber“ und „Reispuderschnee“, der schnell und direkt fällt – Ottinger agiert wie ein Pauspapier, das Eindrücke aufnimmt und in ihrer Pracht und Farbigkeit bewahrt.

Dass Rituale und Gebräuche so unterschiedlich nicht sind auf der Welt, dass Formen ebenso wiederkehren wie Formeln, und die Menschen – durch das Wasser – verbunden sind in einer langen Kette des Handels und Austauschs, ist eine zentrale Erfahrung, die Ottinger von ihren Reisen mitgebracht hat. Und die sie in dem Begleitbuch wunderbar reflektiert. So schneidet sie Marktszenen oder Essensrituale von Odessa bis Japan, von China bis Mexiko gegeneinander und wagt Kombinationen, wo die Ethnologie die Hände über dem Kopf zusammenschlagen würde. Etwas von dieser Gedankenfreiheit, dieser Neugier, diesem Sinn für das Leben der Objekte wünscht man auch den Berliner Planern, wenn es um das Thema Humboldt-Forum geht. Das Beste wäre, diese Ausstellung einzupacken und am Schlossplatz auf Dauer wieder aufzubauen. Eine anregendere, persönlichere Einstimmung in die Kulturen der Welt kann man sich nicht denken.

„Floating Food“: Eröffnung 7.9., 19 Uhr, HKW, bis 30.10. „Unter Schnee“: Welturaufführung 9.9., 20 Uhr, HKW, Filmstart 15.9. Ab 18.9. zeigt das Arsenal Filme von Ulrike Ottinger, der Neue Berliner Kunstverein präsentiert ab 26.11. ihr malerisches Frühwerk. Asien-Pazifik-Wochen: 6. bis 17.9., HKW. Highlights: Performance Nan Jombang Dance Company (7. u. 8.9., 20 Uhr), Konzert Ubiet (10.9., 20 Uhr), Kochduell „Cook to Cook“ (10.9., 20 Uhr). Abschlussfest „Nice to meet you“ (17.9., 19 Uhr)

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