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Herrschaftlich. Die zentrale Erschließungsachse – die Haupttreppe hinauf in das überkuppelte Vestibül – ist nach der Sanierung wiederhergestellt.

© BBR/Jens Andreae

Berlin hat einen neuen Prachtbau: Staatsbibliothek Unter den Linden ist endlich saniert - ein Rundgang

470 Millionen Euro und mehrere Jahre kostete die Sanierung der Staatsbibliothek. Entstanden ist einer der schönsten Lesesäle der Nachwendezeit.

Ein Prachtbau im Herzen Berlins, 170 Meter lang, 107 Meter breit, seit Jahren Dauergroßbaustelle mit 470 Millionen Euro Bausumme. Wer würde da nicht spontan auf das Schloss tippen.

Tatsächlich ist die Schloss-Replik noch jeweils zehn Meter länger und breiter (und 174 Millionen teurer, wie wir seit Mittwoch wissen); die Rede ist jedoch von der Staatsbibliothek Unter den Linden.

Es fehlte Baustellenfläche

So lange leben die Berliner schon mit den Bauzäunen und Containern um die Stabi, dass sie diese bald vermissen werden. Die beengte Situation seit 2005 war auch ein Grund für die lange Bauzeit.

Man hatte nur ein Zehntel der notwendigen Baustellenfläche zur Verfügung, nicht zuletzt, weil neben den Baucontainern auch noch Container für die Interimsverwaltung aufgestellt werden mussten. Denn der laufende Betrieb sollte während der Bauzeit gewährleistet sein.

Der Architekt des Kaisers, Ernst von Ihne, hatte diesen letzten großen Repräsentationsbau der wilhelminischen Ära 1903 bis 1914 erbaut, im staatstragenden Stil der Neorenaissance. Vom Krieg stark in Mitleidenschaft gezogen, wurde der Bau zu DDR-Zeiten repariert und großenteils neu eingerichtet.

Einer der schönste Lesesäle der Nachwendezeit

Der zerbombte Große Lesesaal im Zentrum der Anlage wurde freilich abgerissen. An seiner statt entstand in den sechziger Jahren ein schmuckloser Magazinturm, der aus Kostengründen pragmatisch aus vier Standard-Betonsilos zusammengesetzt wurde, in die man Decken einzog.

Die Sanierungspläne sahen nun vor, diesen Turm abzureißen und wieder einen Allgemeinen Lesesaal zu errichten. Der Abriss des Betonungetüms im engen Innenhof war eine Herausforderung. Um den Bibliotheksbetrieb nicht zu stören, wurde er erschütterungs- und staubarm zerlegt.

Das 36 Meter hohe „Erweiterungsgebäude“ mit dem Allgemeinen Lesesaal und Tresormagazinen war die größte Neubaumaßnahme, für die komplizierte Pfahlgründungen notwendig waren. 2012 folgte die Eröffnung des mit einer schillernden Glasfassade verkleideten Saals, den Architekt GH Merz als hellen Raum mit luziden Lichtwänden völlig unwilhelminisch neu interpretierte.

Eine Rekonstruktion des achteckigen Originals hatte nie zur Diskussion gestanden. Es entstand einer der schönsten modernen Säle im Berlin der Nachwendezeit.

Zurückhaltend modern

Auch bei den Bestandstrakten hat man von der Rekonstruktion verlorener historischer Dekoration Abstand genommen. Das denkmalpflegerische Konzept sah vor, die Raumzuschnitte wiederzugewinnen, aber die Säle, in denen die historische Ausstattung verloren war, zurückhaltend modern zu gestalten.

Im Musiklesesaal wurde die Stuckdecke aufwendig restauriert und zum Teil ergänzt, aber nicht in der ursprünglichen goldprangenden Farbigkeit, sondern in gedecktem Weiß gehalten. Diskussionen gab es um die Denkmalwürdigkeit der Ausstattung aus DDR-Zeiten.

Man entschied sich letztlich gegen deren Erhaltung und für moderne Einbauten wie in allen Sonderlesesälen, also ringsum an den Wänden eine „Buchschale“ mit Regalen aus dunkel gefärbtem Pappelschichtfurnier. Kirschholz hatte man dem Architekten aus Kostengründen ausgeredet.

Eine bewusst moderne Zutat also, die freilich in ihrer Stadtbücherei-Schlichtheit mit der kaiserzeitlichen Architektur recht stark kontrastiert. Lediglich im Handschriftenlesesaal konnten die bauzeitlichen Regale erhalten und aufgearbeitet werden.

Im Brunnenhof rauscht nun wieder die Fontäne

Ein besonderes architektonisches Anliegen war die Wiederbelebung der nach dem Krieg zugebauten zentralen Erschließungsachse, die den Weg vom Haupttor über den Brunnenhof, die prunkvolle Haupttreppe hinauf durch das überkuppelte Vestibül bis zum Hauptlesesaal zum Ereignis macht.

Im Brunnenhof rauscht nun wieder die Fontäne. Besonders stolz sind die Bauleute, dass es gelungen ist, mit einigem Aufwand den 110 Jahre alten Weinstock, der sich die Fassaden hochrankt, über die Bauzeit zu retten.

In der Treppenhalle wurde eine Zwischendecke entfernt. Das fehlende klassizistische Kassettengewölbe ersetzte HG Merz kongenial durch einen modernen, diagonal gerippten Entwurf. Das Vestibül bekam eine neue Kuppelkonstruktion mit dem historischen Schmuckring aus farbiger Majolika.

Hier wie an vielen Stellen ergaben sich während des Baus unvorhersehbare Schwierigkeiten. Mal erwiesen sich dicke Wände als aus Sparsamkeitsgründen hohl gebaut. Mal musste die Hälfte der 1000 Metallbaluster nachgebaut werden, weil der Eisenstab im Inneren korrodiert war.

An den mächtigen Stahlfachwerkträgern quer über das Treppenhaus, die ein viergeschossiges Buchmagazin tragen, zeigten sich Risse. Die Ersatzträger mussten in Einzelteilen durch die Fassade gefädelt und unter den Magazingeschossen zu neuen Trägern verschraubt werden.

Mit neuen Anlagen für Installationen, Klima und Brandschutz sowie mit einer durchs ganze Haus geführten Buchtransportanlage wurde das Haus heutigen Anforderungen angepasst.

Vernünftig über die Bühne gegangen

Sicher: Die Bauzeit hat sich durch den gesundheitsbedingten Ausstieg des Architekten HG Merz – er blieb als künstlerischer Leiter im Boot – und die diversen bautechnischen Überraschungen verzögert. Auch die Kosten sind während der langen Bauzeit gestiegen. Doch insgesamt ist das vom Bundesamt für Bauwesen BBR gesteuerte Projekt mit einem Quadratmeterpreis von 4500 Euro vernünftig über die Bühne gegangen.

Übrigens: Barbara Schneider-Kempf, die Generaldirektorin der Staatsbibliothek zu Berlin, bedankte sich bei der Schlüsselübergabe mit einer langen Liste von Beteiligten – mit Ausnahme des Architekten. Das wirft ein Schlaglicht auf den Niedergang des Architekten vom Baukünstler zum Dienstleister. Unter den Architekten werden in der Öffentlichkeit nur mehr die internationalen Stars wahrgenommen – und jene, deren Projekte finanziell aus dem Ruder gelaufen sind. Immerhin, die Kulturstaatsministerin würdigte angemessen die Arbeit des Büros HG Merz, das zweifellos besondere Anerkennung verdient.

Nun erfolgt noch der Rückbau vieler Provisorien und die Einrichtung eines kleinen Museums im Bereich des bisherigen Interimseingangs an der Nordseite als „nachlaufende Baumaßnahmen“. Sowie der Umzug und die Organisation von vielen Regalkilometern an Buchbeständen. Im nächsten Jahr soll das Haus den Nutzern wieder zur Verfügung stehen.

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