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Magnetisch. Henriette Confurius spielt Twenty-Something Ava.

© Fox

Berlin-Film „Golden Twenties“: Zwischen Neugier auf das Leben und Zwängen des Lebenslaufs

Driften durch Berlin: Sophie Kluges Debütspielfilm „Golden Twenties“ betrachtet die diffuse Sphäre zwischen Jugend und Erwachsensein.

„Und weißt du, was du jetzt machen willst?“ Ava, Mitte 20, hat ihr Studium abgeschlossen und ist zurück nach Berlin gezogen, erst mal wieder zur Mutter. Der Donner der Frage, die ihr in „Golden Twenties“ mit größter Selbstverständlichkeit von einem Mittfünfziger gestellt wird, hallt den ganzen Film lang nach, auch wenn das Unwetter nicht direkt über Ava tobt, sondern noch weit genug weg ist. „Ich wollte jetzt eigentlich bald mal ins Bett“, antwortet sie vorerst.

Ava ist nicht verzweifelt, hat das Leben ja noch vor sich, sucht aber nach einem nächsten Schritt. Die Goldenen Zwanziger, auf die der Titel von Sophie Kluges Langfilmdebüt anspielt, sind in Zeiten des Bachelor-Master-Schnelldurchlaufs ein seltsamer Limbo. Nach einem erfolglosen Bewerbungsgespräch landet Ava über Kontakte ihrer Mutter als Hospitantin am Theater – und direkt in einem Probealltag, der von Allüren, Misstrauen und Konflikten geprägt ist. Als latent cholerischen Regisseur, den niemand so richtig für voll nimmt, hat Kluge Filmemacher Nicolas Wackerbarth gecastet – ein charmanter Kniff, hatte der in „Casting“ doch seinerseits den Backstagebereich des Theaters als sozialen Raum ausgelotet.

Zwar lässt sich „Golden Twenties“ in diesen Sequenzen zu ein paar gezielten Seitenhieben auf die Berliner Kulturszene hinreißen, doch laufen sie nicht auf platte Pointen hinaus oder weiten sich zu Zeitdiagnosen aus. Hier wie in anderen Räumen, durch die sich Ava bewegt, übersetzt Kluge die selbstbewusste Unsicherheit ihrer Protagonistin in eine konzentrierte, aber nie strenge Bildsprache. Selten lässt der Film Ava in einer Totale vereinsamen, selten aber auch schenkt er ihr ein souveränes Close-up. Avas Welt, das ist eine diffuse Sphäre zwischen Jugend und Erwachsensein in halb nahen Einstellungen.

Hospitantin im eigenen Leben

Für Reinhold Vorschneiders Kamera ist diese Ava einerseits ein Magnet, es gibt kaum eine Szene, in der Henriette Confurius (vor allem bekannt aus Dominik Grafs „Die geliebten Schwestern“) nicht im Bild ist, mit Argusaugen ihre Umgebung scannt. Andererseits sucht sie in diesem Bild noch ihren Platz, scheint stets nur dabei statt mittendrin. So entsteht allmählich ein dem Sujet angemessener Rhythmus, eben kein souveräner Flow, sondern ein unsicheres Driften, gefangen zwischen der Neugier auf den Lauf des Lebens und den Zwängen des Lebenslaufs.

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[Kant Kino, Kulturbrauerei, UCI Mercedes-Platz, OmenglU: fsk, Hackesche Höfe]

Die Theaterproben sind für „Golden Twenties“ dabei nicht nur beliebiges Beispiel für die Zukunftssuche unter prekären Bedingungen, sondern dienen dem gesamten Film als Metapher: Ava ist nicht nur Hospitantin am Theater, sondern auch in ihrem Leben. Sieht den Profis dabei zu, wie das funktionieren könnte: der Mutter bei ihrer Affäre mit einem Typen, der nur geringfügig älter ist als Ava selbst; der besten Freundin bei ihrem neuen Pärchenleben mit einem ziemlichen Trottel; und Schauspieler Jonas beim Flirten, das bald ihr selbst gilt. Und ahnt bald, dass auch die scheinbar längst Angekommenen vielleicht noch immer proben.

Ein erstaunlich bescheidener Film

„Golden Twenties“ ist ein erstaunlich selbstbewusster, zugleich bescheidener Film. Zwar ist er nicht frei von Momenten, die ein wenig arg nach Skurrilitätsbonus schielen – etwa wenn etwa Blixa Bargeld als Nachbar der Mutter auf dem Balkon Arien schmettert. Doch scheint er insgesamt viel weniger in die eigenen Ideen verschossen als etwa Jan-Ole Gersters Slacker-Film „Oh, Boy“ – und so sehr bei sich, dass man auch mit der Tatsache, dass die Regisseurin die Tochter des großen Denkers Alexander Kluge ist, nicht mehr anstellen muss als sie zu erwähnen.

„Golden Twenties“ lässt sich zum Glück auch nicht auf Thesen reduzieren, das Persönliche ist ja ohnehin politisch: Kluge beobachtet mit wachem Blick den Eintritt einer jungen Frau in eine Welt, in der Geschmeidigkeit einerseits allerorts eingefordert, allzu beliebiges Mäandern aber schnell sanktioniert wird – in der man stetig Unabhängigkeit zu behaupten hat und dabei doch hoffnungslos abhängig bleibt. „Ist schon wichtig, dass nicht die anderen entscheiden, sondern du“, rät der Vater einmal, und darin steckt schon das ganze Drama.

Till Kadritzke

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