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Das alte Hotel Adlon wurde 1919 zum Schauplatz eines brutalen Raubmords.

© Bundesarchiv

Berlin-Bücher: Der Dichter als Mörder

Tatort Adlon: Helmut Böger erinnert an eine spektakuläre Raubmordserie aus der Weimarer Zeit.

In den Vernehmungsprotokollen der Berliner Kriminalpolizei liest sich der Mord so: „Mit großer Geschwindigkeit, noch ehe der Geldbriefträger aufstehen konnte, warf ich ihm die Schlinge über den Kopf und zog sie mit aller Kraft zu. Der Geldbriefträger wälzte sich nun mit aller Kraft hin und her, warf die Beine über die Stuhllehne, er versuchte auch zu schreien, es gelang ihm aber nicht, es waren nur unartikulierte Laute.“ Mit einem wassergetränkten Taschentuch, das der Mörder seinem Opfer in den Mund stopfte, gab er ihm den Rest.

Eine brutale Tat, wie sie leider hin und wieder vorkommt. In einem Luxushotel wie dem Adlon erwartet man sie zunächst einmal nicht. Und genau dies hatte sich der Raubmörder Wilhelm Blume zunutze gemacht, als er sich am 2. Januar 1919 ans düstere Werk machte. Als Baron Winterfeldt hatte er dort Quartier genommen, sich selbst Beträge zugesandt und dem auserkorenen Opfer, dem Geldbriefträger Oskar Lange, durch kleine Aufmerksamkeiten wie Schinkenbrote und Zigarren jede Bedenken genommen, ihn in seiner Suite aufzusuchen. Dann, als der Anblick von Langes Taschen gute Beute versprach, schlug er zu.

Wenige Monate zuvor hatte Blume bei einer ähnlichen Tat zwei Menschen ermordet. Bei einer dritten, 1922 in Dresden, wurde er gefasst, und rasch war klar, dass er auch der Adlon-Mörder war. Eine die Menschen schockierende Mordserie fand damit ihre Aufklärung. Aus ihr destillierte der Journalist Helmut Böger eine sehr flüssig erzählte Räuberpistole aus der Zeit, die heute gern mit dem titelstiftenden Schlagwort „Babylon Berlin“ umschrieben wird. Er liegt damit, nach den Romanen von Volker Kutscher, der darauf basierenden TV-Serie und zahlreichen anderen den zwanziger Jahren verpflichteten Medienprodukten, voll im Trend. War ja auch eine spannende Zeit, die Gesellschaft im Umbruch, ein flirrendes, nur vermeintlich goldenes Jahrzehnt, das eben auch einen mörderischen Hochstapler wie Blume ausspie.

In einem Kapitel skizziert Böger die Zeitumstände, vor deren Hintergrund sich Blumes kriminelle Karriere entwickelte, konzentriert sich ansonsten aber auf die Taten, für deren Rekonstruktion er auf die Ermittlungsakten der Polizei, alte Zeitungsberichte und andere historische Quellen zurückgreifen konnte. Blume, so erfährt der staunende Leser, war nicht allein ein geldgieriger Räuber, sondern zugleich ein ehrgeiziger Dramatiker, der seinen leider ohne Zuspruch bleibenden Stücken mit dem geraubten Geld irgendwie die fehlende Öffentlichkeit verschaffen wollte – so hat er es jedenfalls in den Vernehmungen geschildert. Zumindest indirekt hat er es damit tatsächlich auf die Bühne geschafft, wie Böger schildert: Gerhart Hauptmanns unvollendetes Kriminaldrama „Herbert Engelmann“ war offensichtlich vom Fall Blume inspiriert, erst Carl Zuckmayer hat es 1952 vollendet und in Wien auf die Bühne gebracht. Das Publikum war begeistert, und sieben westdeutsche Theater nahmen das Stück in ihre Spielpläne auf. Es wurde sogar 1962 in der DDR, zu Hauptmanns 100. Geburtstag, vom Theater Putbus gezeigt. Die Gnade der Kritiker fand es allerdings nicht.

Helmut Böger: Mord im Adlon. Die wahre Geschichte eines mörderischen Hochstaplers. Elisabeth Sandmann Verlag, München. 136 Seiten, zahlreiche Abbildungen, 19,95 Euro
Helmut Böger: Mord im Adlon. Die wahre Geschichte eines mörderischen Hochstaplers. Elisabeth Sandmann Verlag, München. 136 Seiten, zahlreiche Abbildungen, 19,95 Euro

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