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Folter-Proteste. Junge Syrerinnen demonstrieren gegen das Regime.

© Imago

Berichte aus der Hölle: Das erleiden Frauen in syrischen Gefängnissen

Knapp 8000 Syrerinnen befinden in den Fängen des Assad-Regimes. Im Buch „Stimmen gegen das Schweigen“ geben Ex-Gefangene Einblick in das Foltersystem.

Der Krieg in Syrien ist aus den Schlagzeilen der Zeitungen verschwunden. Das heißt aber nicht, dass das Bombardieren, Sterben, Foltern, Verhaften, und Verschwindenlassen von Menschen aufgehört hat. Der Horror geht weiter, Tag für Tag.

Das bestätigen die syrischen Menschenrechtsaktivistinnen und Feministinnen Joumana Seif und Wejdan Nassif, deren Buch „Stimmen gegen das Schweigen“ (Hirnkost Verlag, Berlin 2020, 126 Seiten, 12 €) gerade erschienen ist. Es ist ein Bericht aus der Hölle – von Frauen, die in die Fänge des Assad-Regimes geraten waren.

23 Frauen und vier Männer, die Zeugen der Gewalt gegen Frauen wurden, berichten über ihre Erfahrungen in syrischen Gefängnissen von 1980 bis 2017. Die Interviews wurden im Juli 2018 in der Türkei, in Frankreich, Schweden und Deutschland geführt.

2019 erschien ein Bericht des Syrian Network for Human Rights über die Gewalt an Frauen und darüber, wie sie als Waffe im Krieg benutzt wurden. Knapp 8000 Frauen befinden sich noch immer in Haft oder gelten als verschwunden, insgesamt sind es über 98 000 Menschen seit 2011.

„Doch es fehlten die Berichte von Frauen aus der Zeit von Hafiz al-Assad, dem Vater des jetzigen Machthabers“, erzählt die Anwältin Joumana Seif, die in Berlin am Europäischen Zentrum für Verfassungs- und Menschenrechte arbeitet, um die Täter von Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit zur Rechenschaft zu ziehen.

Vor Assads Machtübernahme waren Syrerinnen in NGOs aktiv

Seif ist durch ihren Vater, den Unternehmer, Parlamentsabgeordneten und Oppositionsführer Riad Seif, politisiert worden. Als dieser wegen Ideen zu Wirtschaftsreformen und zur Bekämpfung der Korruption von 2001 bis 2006 ins Gefängnis kam, stellte die junge Anwältin Joumana Seif die Verbindung zwischen Gefängnis und Opposition her.

„In der Zeit folgten uns die Geheimdienste überallhin, unsere Telefone wurden abgehört“, erzählt sie. Die Menschenrechtlerinnen und Menschenrechtler vom Damaszener Frühling 2000 tagten im Haus ihres Vaters. Schon in den achtziger Jahren sei mit Vergewaltigungen vor den Augen von Familienangehörigen gedroht worden.

Bevor sich Hafiz-al Assad 1970 an die Macht putschte, seien Syrerinnen in NGOs und in der Bildung aktiv gewesen, sie studierten und hatten kurz nach der Unabhängigkeit von Frankreich bereits das Wahlrecht.

Die Verhaftung als Drohmittel gegen den Mann

Doch Assad habe mit konservativen religiösen Führern ein Bündnis geschlossen, das die Frauen aus der Öffentlichkeit verdrängte und politische Aktivität in einem schlechten Licht erscheinen ließ, sagt Seif. In den siebziger Jahren waren es vor allem linke Gruppen, die gegen die Assad-Diktatur opponierten und Freiheit forderten.

Damals begann die Politik des erzwungenen Verschwindens. „Vor Assad ist man auch mal für ein paar Monate ins Gefängnis gekommen, dann war man wieder frei. Aber unter Assad wurde das anders. Mein Onkel wurde aus dem Bett heraus verhaftet und verschwand, als seine Tochter ein Jahr alt war. Mit 18 fragte sie nach ihrem Vater, da teilte man ihr mit, dass er exekutiert worden sei“, erzählt Seif.

Von solchen unmenschlichen Praktiken berichten auch die Frauen im Buch. „Sie umstellten meine Schule mit Panzern; ich erinnere mich bis heute, dass ich gerade eine Prüfung im Fach Bürgerkunde hatte. Als sie mich vor ein Feldgericht stellten, war ich 15 Jahre und vier Monate alt“, schreibt Lama aus Aleppo, die 1981 verhaftet wurde und neun Jahre im Gefängnis saß.

Die Verhaftung als Drohmittel gegen den Mann, Entfremdung von den Kindern, Androhung von Vergewaltigung vor Familienangehörigen, Ungewissheit, Diskreditierung und Rufmord sind bis heute gängige Foltermethoden des Assad-Regimes. Mit der Revolution von 2011 wurde alles noch schlimmer. Jetzt wurden sogar Frauen verhaftet, die humanitäre Hilfe leisteten.

Während der Revolution erfindet das Regime neue Praktiken

Zwar hat Baschar al-Assad 2004 die UN-Anti-Folter-Konvention ratifiziert, das hinderte das Regime jedoch nicht daran, das System der Folter weiter zu perfektionieren. „Am meisten spürte ich Erniedrigung und Schmach, weil ich gefoltert wurde, ohne zu wissen, was ich getan hatte. Sie haben mir nie gesagt, warum“, schreibt Lama.

Während der Revolution erfindet das Regime neue Praktiken. „Sie verbrannten mir die Füße, damit ich ,nicht mehr an den Demonstrationen teilnehmen kann‘, wie sie sagten“, berichtet die 23-jährige Jana, die 2014 verhaftet und gefoltert wurde.

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Es ist streckenweise hart, diese Berichte über psychische und sexualisierte Gewalt zu lesen. Aber es ist wichtig, dass die Frauen öffentlich über ihr Leid und die Gewalt, die ihnen angetan wurde, sprechen können, dass sie Gehör finden. „Wir mussten viele Stellen in den Protokollen wieder streichen, weil die Frauen immer noch Angst haben und es schwer zu ertragen ist“, berichtet Seif.

Familien helfen den Ex-Gefangenen oft nur wenig

Mit der Entlassung aus dem Gefängnis ist es für viele Frauen jedoch nicht vorbei, wenn sie in Syrien bleiben. Oft bedeutet die Zeit danach den Übergang in ein noch größeres Gefängnis.

„Alle um dich herum bilden einen Kreis von Unterdrückung, angefangen vom Regime bis hin zur Opposition, auch die Familie, die Sippe, die Verwandten und die Freunde. Sie beeinflussen sich fortwährend gegenseitig“, erzählt Ayat. Oft ist die Familie mehr auf die Familienehre und ihren Ruf bedacht als darauf, der Ex-Gefangenen zu helfen.

Co-Autorin Wejdan Nassif kann dies aus eigener Erfahrung bestätigen. Sie saß als Studentin über vier Jahre bei Damaskus im Gefängnis. „In der syrischen Gesellschaft sollen die Frauen ruhig sein und sich aus der Politik heraushalten. Aus Angst hat keiner mit mir gesprochen“, sagt sie heute.

Zivilgesellschaft kann eine wichtige Rolle spielen

2011 habe sie Hoffnung geschöpft, Briefe an ihre Freundin in Frankreich geschickt, um aus dem Alltag der „Intifada“, wie sie es nennt, zu erzählen. Daraus entstand ihr Buch „Briefe aus Syrien“. Seit 2014 lebt sie in Frankreich, arbeitet mit Geflüchteten und schreibt weiter Bücher.

„Die Frauen sind die Opfer des Regimes und des patriarchalischen Systems. Wir müssen eine Lösung für den Konflikt finden“, sagt Nassif. Für beide ist der Sturz des Regimes und die Verfolgung der Verbrechen Voraussetzung für einen Neuanfang.

„Die Geflüchteten in Europa und Kanada haben nun in ihren Aufnahmeländern eine andere Gesellschaft erlebt, sie lernen, wie eine Gesellschaft funktionieren kann“, sagt Nassif, das gebe ihr Hoffnung. „Die Zivilgesellschaft kann eine wichtige Rolle spielen. Die syrischen Frauen sind stark, wenn die Umstände gut sind“, ergänzt Seif.

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