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Wir-Gefühl. Benjamin Millepied bei einer Probe zu seinem Bach-Programm in Antwerpen. Seit 2012 ist der 1977 geborene Franzose mit Natalie Portman verheiratet.

© Filip van Roe

Benjamin Millepied: "Black Swan"-Choreograf kommt nach Deutschland

Benjamin Millepied war Ballettchef der Pariser Oper und choreografierte für Hollywood. Jetzt gastiert er beim Movimentos-Festival in Wolfsburg. Eine Begegnung.

Von Sandra Luzina

Benjamin Millepied ist auf dem Sprung. Der französische Choreograf hat zwar selber vorgeschlagen, das Interview wenige Stunden vor der Premiere von „Bach Studies“ an der Oper in Antwerpen zu führen. Doch als er in die Kantine stürmt, ist ihm eine gewisse Unruhe anzumerken. Gleich muss er zu einer letzten Bühnenprobe. In Erzähllaune ist er nicht gerade, doch er gerät schnell ins Schwärmen über Bach. Mehrere Jahre hat er sich mit dessen Musik auseinandergesetzt. „Bach ist zeitlos. Für mich ist er der größte aller Komponisten.“

Für die „Bach Studies“ kombinierte er geistliche Musik und Kammermusik, er verwendet so berühmte Werke wie die Partita Nr. 2 für Violine, aber auch mehrere Bach-Bearbeitungen von Leopold Stokowski. „Jedes Stück, das ich ausgewählt habe, zeigt eine andere Facette von Bachs Schaffen“, sagt er. „Und ich nähere mich der Musik jedes Mal auf unterschiedliche Weise.“ Natürlich hat er auch die musikalischen Strukturen analysiert. „Ich benutze die Tänzer, um den Kontrapunkt zu visualisieren, auf sehr fließende und anschauliche Weise.“

Die Choreografien des Films "Black Swan" stammen von ihm

Benjamin Millepied, der 1977 in Bordeaux geboren wurde, hat sein ganzes professionelles Tänzerleben in den Vereinigten Staaten verbracht. Zehn Jahre lang tanzte er als Erster Solist beim New York City Ballet. Heute wird er als der „amerikanischste“ unter den französischen Choreografen bezeichnet. Er spricht amerikanisches Englisch ganz ohne Akzent. Doch mit einem Fuß steht er immer noch in der europäischen Kultur.

Der Name Millepied wurde einem großen Publikum durch den Psycho-Thriller „Black Swan“ bekannt; er entwarf die Choreografie und spielte auch eine kleine Rolle in dem Film, der ein düsteres Bild vom Tänzerleben zeichnet. Bei den Dreharbeiten lernte er seine künftige Frau kennen. Seit 2012 ist Millepied mit Hollywood-Star Natalie Portman verheiratet. Das Paar hat zwei Kinder.

Für Schlagzeilen sorgte Millepied auch im Februar 2016, als er nach nur 14 Monaten als Direktor des Balletts der Pariser Oper das Handtuch warf. Er war mit einem ambitionierten Reformprogramm angetreten, über die Gründe seines Rücktritts ist viel spekuliert worden. „Ich bin nicht bitter“, betont er. „Ich habe dort viel gelernt, aber es stellte sich heraus, dass der Job nicht zu mir passte. Ich war dabei, mich selbst zu verlieren. Du musst eher ein Politiker sein, wenn du das Ballett der Pariser Oper leitest. Das habe ich gehasst. Deswegen bin ich gegangen.“

Das L. A. Dance Project hat Millepied 2012 gegründet

Nach dem Pariser Intermezzo wurde ihm klar, dass er sich zukünftig ganz auf die Arbeit mit dem L.A. Dance Project konzentrieren will, für das er ehrgeizige Pläne hat. Das ist mehr als nur eine freie Company. Gegründet hat er LADP 2012 als kreatives Zentrum, in dem Künstler verschiedener Disziplinen zusammenarbeiten. Die zwölf Tänzer haben einen unterschiedlichen Hintergrund, manche kommen vom Ballett, andere vom zeitgenössischen Tanz. „Ich versuche, Bewegungen zu kreieren, die den Tänzern eine gewisse Freiheit geben, ich will ihnen nicht einen Stil aufzwingen.“

Die „Bach Studies“ waren Millepieds erste abendfüllende Produktion. Entstanden sind sie als Koproduktion zwischen dem L.A. Dance Project" und dem Ballet Vlaandern. Millepied hat dabei zunächst mit seinen Tänzern in Los Angeles geprobt und die Choreografie dann in Belgien vollendet. Der transatlantische Dialog hat funktioniert.

Millepied ist begeistert von der flämischen Ballettcompagnie. Die Tänzer bringen die stilistische Vielseitigkeit Millepieds gut zur Geltung. Die Choreografie ist abstrakt und zugleich emotional aufgeladen. Auch Pietà-Motive werden angedeutet. Millepied gelingen berührende Ensembleszenen, wo die Tänzer sich stützen und Trost spenden. Und erhebende Momente, so der Höhenflug einer Tänzerin, die alle irdische Mühsal abzustreifen scheint.

Millepied konnte namhafte Mitarbeiter gewinnen. Die raffiniert geschnittenen Kostüme in Schwarz und Weiß entwarf der italienische Modedesigner Alessandro Sartori, Kreativdirektor des italienischen Labels Ermenegildo Zegna. Die beweglichen Lichtskulpturen entwarf das Londoner Künstlerkollektiv UVA (United Visuel Artists). Das L.A. Project, das nun zum ersten Mal in Deutschland beim Movimentos-Festival in Wolfsburg gastiert, zeigt ein dreiteiliges Programm. Neben „Bach Studies“ (Part 1) sind „Orpheus Highway" zu Musik von Steve Reich und „Homeward" zu sehen.

Staatliche Förderung erhält er in den USA für seine Kompanie nicht

Millepied sieht das LADP nicht allein als Plattform für seine eigenen Choreografien. Ihm ist es wichtig, auch moderne Klassiker wiederzubeleben. „Man muss sie auf intelligente Weise neu einstudieren und in Programmen präsentieren, die sie zum Leuchten bringen.“

Der Choreograf ist offenkundig glücklich über seine Rückkehr nach L.A., auch wenn es nicht leicht ist für die Company, ökonomisch zu überleben. Staatliche Förderung gibt es nicht. Doch im Fundraising kennt er sich bestens aus. Die Company wird durch Sponsoren wie Van Cleef & Arpels unterstützt und veranstaltet Galas. Den Großteil des Budgets erwirtschaftet sie durch den Tourbetrieb.

Schließlich lässt sich ihm noch etwas über seine Mutter Catherine Millepied-Flory entlocken. Sie entspricht ganz und gar nicht dem Klischee einer Ballettmutter, versichert er: „Ich hatte Glück!“ Als er klein war, lebte die Familie in Dakar in Senegal. Seine Mutter leitete dort eine Schule für zeitgenössischen und afrikanischen Tanz. Der kleine Benjamin spielte Trommel und begann zu tanzen, als er gerade erst laufen lernte.

Er hatte einen ganz natürlichen Zugang zum Tanz, noch bevor er klassischen Ballett studierte: „Ich denke, diese ursprüngliche Weise, in der ich auf den Tanz angesprochen habe als kleiner Junge, ist so spezifisch für einige meiner Arbeiten als Choreograf. Es ist kein Ballett und kein zeitgenössischer Tanz, es navigiert zwischen beidem."

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