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Bénédicte Savoy

© David Ausserhofer

Bénédicte Savoy in der Berlinischen Galerie: Eine Frau reißt Fenster auf

Die Berliner Kunsthistorikerin Bénédicte Savoy beschäftigt sich seit Jahren mit der Frage der Rückgabe kolonialer Kunst. Jetzt reist sie selbst nach Benin und Dakar.

Dass sich 95 Prozent des historischen materiellen Erbes außerhalb Afrikas befinde, damit könne doch kein Mensch zufrieden sein. So einfach sagt sie das, so klar, dass selbst die größten Kritiker des radikalen Restitutionsvorhabens von Emmanuel Macron, der im Herbst 2017 die Rückgabe afrikanischer Kunst innerhalb von fünf Jahren ankündigte, zustimmen müssten. Die französische Kunsthistorikerin Bénédicte Savoy ist bekannt dafür, dass sie Wahrheiten schnörkellos ausspricht. Mit ihrer Geradlinigkeit hat die TU-Professorin schon Institutionen ins Wanken gebracht. Ihr Austritt aus dem Beratergremium des Humboldt-Forums aus Protest gegen mangelnde Provenienzforschung löste eine öffentliche Debatte über den Umgang mit Ethnologischen Sammlungen aus.

In der Berlinischen Galerie im Gespräch mit Ulrike Knöfel, Kulturredakteurin beim Spiegel, sagt die Französin einen Satz nach dem anderen, den man unterschreiben möchte. Zum Beispiel, wie sie den Begriff „Shared Heritage“, mit dem die europäische Museen auf ihren Besitztümern beharren, auseinandernimmt. „Geteiltes Erbe, das funktioniert beim Originalobjekt nicht,“ entlarvt sie den Topos als Kommunikationsstrategie. „Ich kann nicht teilen, wenn es bei mir ist. Erbe, das ist der Punkt, an dem sich immer alle streiten.“ Also alles Heuchelei, wird Savoy suggestiv gefragt. Vielleicht auch Naivität, Blindheit, Plumpheit, lautet die Antwort. „Aber jetzt können wir mit geöffneten Augen durch die Welt gehen“, folgt als Satz, der wieder durchbläst. Das Publikum hängt an Savoys Lippen und erlässt ihr die Differenzierung, dass an den Museen die Zeichen längst erkannt worden sind, eine jüngere Kuratorengeneration neue Wege sucht.

Warum sie diesen Wahnsinnsauftrag angenommen hat?

Savoy stellt sich den Fragen am Vorabend ihrer Abreise nach Benin und Dakar, wo sie sich zusammen mit dem ebenfalls von Macron berufenen senegalesischen Wissenschaftler und Musiker Felwine Sarr darüber informiert, wie Kunstwerke aus der Kolonialzeit übergeben, wo sie bleiben können. Das macht diesen Abend zu einem besonderen Moment. Bis November sollen die beiden Experten ihre Empfehlungen formulieren. Warum sie diesen Wahnsinnsauftrag angenommen hat? Die Antwort ist wieder entwaffnend: „Weil ich 45 Jahre alt und in der Mitte meines Lebens angekommen bin.“

Zwanzig Jahre lang hat die Kunsthistorikerin zum Thema entzogene Kunst geforscht, Napoleons Raubzüge untersucht, sich mit der Emotion derjenigen beschäftigt, denen Kulturgüter genommen wurden. Nach all der Theorie ist es Zeit für die Praxis. „Da kann man nicht Nein sagen.“ Mit Macrons Ankündigung zu restituieren, der vom Direktor des Quai Branly signalisierten Bereitschaft mitzuziehen, habe sich ein historisches Fenster aufgetan, so Savoy. Sie klettert nun durch.

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