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Kultur: Bellen und beten

Träume von der Neuen Welt: Mit "Banga" hat die Rockpoetin Patti Smith ihr erstes Album seit fünf Jahren veröffentlicht

Der Kaiser schläft. Sein Diener sitzt an der Bettkante, zwei Wachen haben sich vor dem Zelt postiert. Über allem schwebt ein weißer Engel. Mit dieser Szenerie unter dem Titel „Konstantins Traum“ stellte der italienische Maler Piero della Francesca Mitte des 15. Jahrhunderts einen Wendepunkt in der Geschichte des Christentums dar: Dem römischen Kaiser erschien vor der Schlacht gegen Maxentius im Jahr 312 im Schlaf ein am Himmel schwebendes Kreuz. Dazu ertönte eine Stimme, die prophezeite: „In hoc signo vinces“ (In diesem Zeichen wirst du siegen). So geschah es, und der Siegeszug der christlichen Religion begann.

„Konstantins Traum“ ist Teil eines berühmten Freskenzyklus in der „San Francesco“-Kirche von Arezzo – und neuerdings wohl das erste Renaissance-Fresko, das es zu einer eigenen Rock-Vertonung gebracht hat. Etwas über zehn Minuten meditiert Patti Smith in ihrem Song „Constantine’s Dream“ über das Werk und seinen Erschaffer. Es wird gekniet, gebetet, geträumt und kühn assoziiert in diesem größtenteils gesprochenen Text, der von einem dräuenden Soundtrack unterlegt ist. Smith, die ihre erste Platte einst mit den legendären Worten „Jesus died for somebody’s sins but not mine“ eröffnete, führt in diesem apokalyptisch anmutenden Stück ihre lebenslange Auseinandersetzung mit dem christlichen Glauben fort. Gleichzeitig schlägt die 65-jährige Sängerin mit diesem in ihrer Tradition der Lang-Improvisation stehenden Lied einen Kreis zum Beginn ihres Albums „Banga“, das am Freitag erscheint. Piero della Francesca starb 1492, also im Jahr der Amerika-Reise von Christoph Kolumbus, und um die new world geht es auch im Auftaktsong „Amerigo“, benannt nach Amerigo Vespucci, dem Kolumbus-Konkurrenten und Namensgeber des neuen Kontinents.

„Banga“ steckt voller derartiger Bezüge und kleiner Rechercheaufträge an die Hörerschaft. Auch das kennt man von Patti Smith, die sich zu Beginn ihrer Karriere als Dichterin und Malerin verstand und eher zufällig in die Welt der Rockmusik geraten ist. Arthur Rimbaud und William Blake sind seit jeher ihre Idole. Da verwundert es nicht, dass es in ihren Texten nicht nur um die Liebe geht. So ist der Titel ihres zehnten Studioalbums ebenfalls eine literarische Referenz. Banga heißt der Hund von Pontius Pilatus in Michail Bulgakows Roman „Der Meister und Margarita“. Der nur knapp dreiminütige Titelsong ist das lärmigste Stück der Platte. Mit der schnell runtergeschrubbten Akustikgitarre, der sirenenheulenden E-Gitarre und dem rausgebrüllten Wort „Banga“ erinnert er an die rohe Energie von „Rock N Roll Nigger“ oder „High On Rebellion“. Sogar Hundegebell ist zu hören – eingejault von Patti Smith’ Sohn Jackson. Der Gitarrist und Ehemann von Ex-White-Stripes-Drummerin Meg White hat genau wie seine Schwester, die Pianistin Jesse Paris, an der Platte mitgewirkt.

Auch das restliche Personal bestand aus alten Vertrauten: Gitarrist Lenny Kaye, Schlagzeuger Jay Dee Daugherty – beide aus der 1975er-Urbesetzung der Patti Smith Group – sowie Bassist Tony Shanahan, der seit ihrem Comeback 1996 dabei ist. Außerdem schaute ihr alter Freund und Television-Gitarrist Tom Verlaine bei den Aufnahmen in den New Yorker Electric Lady Studios vorbei. Er ist auf der Single „April Fool“ zu hören. Der von einem schönen Hammond-Orgel-Intro eröffnete Up-Tempo-Song würde sich auch auf einem Album von Lucinda Williams gut machen. Es ist das radiokompatibelste der elf neuen Stücke, zu denen sich ein leicht kitschiges (Kinderchor!) Cover von Neil Youngs „After The Gold Rush“ gesellt.

„Banga“ enthält die typische Smith-Mischung aus rockigen, ruhigen und experimentellen Stücken. Das Songwriting, das größtenteils die Bandmitglieder verantworten, ist durchweg solide. Gelegentlich gibt es kleine Überraschungen wie die stark an The Cult erinnernden Gitarren in „Fuji-san“, die sanfte Amy-WinehouseHommage oder das jazzige Arrangement von „Tarkovsky (The Second Stop Is Jupiter)“, das ein Motiv aus einem obskuren Sun-Ra-Stück aufnimmt.

Mit ihrem Gesang hält Patti Smith alles zusammen. Ihre Stimme ist über die Jahre ein wenig tiefer, voluminöser geworden. Wenn sie zu einer ihrer schamaninnenhaften Beschwörungen ansetzt, entfaltet sie eine fast hypnotische Wirkung. Das kommt nicht von ungefähr, denn die Sängerin achtet sehr auf ihr Instrument. Dem „Rolling Stone“ verriet sie kürzlich: „Man muss sich schonen und viel aufgeben: Tomaten. Chili. Alkohol. Rotwein. Kaffee. Alles Saure schadet.“ Auch sonst geht Smith äußerst diszipliniert an ihre Musik heran, die sie als „harte Arbeit“ bezeichnet.

Da kann es schon mal ein bisschen dauern, bis sie ein neues Album fertig hat. So sind seit dem letzten Album „Twelve“, einer Coverversionen-Platte, fünf Jahre vergangen und seit „Trampin’“ sogar schon acht. Untätig ist Smith indes nie. Sie malt, fotografiert und schreibt. Mit dem Buch „Just Kids“ ist ihr 2010 sogar ein Bestseller gelungen. Die Erinnerungen an ihre Zeit mit Robert Mapplethorpe im New York der späten Sechziger und frühen Siebziger sind ihr erfolgreichstes Werk überhaupt. Das Buch gewann den National Book Award und soll verfilmt werden. Smith arbeitet selbst am Drehbuch. Außerdem schreibt sie schon eine Weile an einem Kriminalroman, der in London spielt. Vielleicht inspiriert der sie auch gleich zu neuer Musik – eine Thriller-Vertonung wäre mal was anderes. Und ein Hund könnte dabei auch mitspielen.

Konzert: 11.7., 20 Uhr, Tempodrom

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