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Auf Sinnsuche. Die Brüder Joé (Sergi López) und Homer (Olivier Gourmet) unterwegs in Kroatien.

© Peripher

Belgischer Film „Stromaufwärts“: Die Klippen des Lebens

Auf der Suche nach dem verstorbenen Vater. Die belgische Regisseurin Marion Hänsel erzählt in „Stromaufwärts“ von einem Bruderkonflikt.

Es zeugt von einem hintergründigen Humor, dass ausgerechnet der aufbrausende Speditionsunternehmer in Marion Hänsels „Stromaufwärts“ Homer heißt. Besser passen würde dieser Name zu seinem Halbbruder Joé, einem ruhigen, sanftmütigen Schriftsteller. Die beiden befinden sich auf einer Erkundungstour über das Wasser. Den Strom des Lebens fahren sie hinauf, um mehr über dessen Ursprung zu verstehen: Sie sind auf dem Weg zu ihrem Vater. Im Gegensatz zu Joé wuchs Homer ohne ihn auf, er hatte Mutter und Sohn gleich nach der Geburt verlassen. Erst nach seinem Tod erfahren die Brüder voneinander. Bei einer gemeinsamen Bootsreise durch Kroatien wollen sie mehr über den anderen und die Umstände des väterlichen Selbstmords herausfinden.

Die belgische Filmemacherin Marion Hänsel lotet in ihren Filmen mit Vorliebe menschliche Tiefen aus, Plots interessieren sie weniger. Zuletzt zeigte sie das in „Zärtlichkeit“ (2013), auch hier spielten Olivier Gourmet und Sergi López mit, die Hauptdarsteller von „Stromaufwärts“. Gourmet kennt man vor allem aus den Filmen der Dardenne-Brüder.

Intensive Gespräche in den Kojen

Wie in Hänsels bisherigen Filmen bezieht auch „Stromaufwärts“ seine Spannung aus den Gesichtern der Protagonisten. In halbnahen Einstellungen zeigt die Regisseurin ihre Protagonisten, lässt ihre Mimik sprechen und ihre Körper. Von Beginn an zeichnen sich ihre unterschiedlichen Gemüter ab: Missmutig blickt Homer (Gourmet) drein, die Mundwinkel heruntergezogen. Nervös zieht er an der Zigarette; sein Argwohn gegenüber allem und jedem spiegelt sich in seiner permanenten Anspannung wider. Sein Halbbruder (López) ist das genaue Gegenteil, ein Mensch, der in sich ruht. „Ich schreibe, weil ich dann nicht reden muss“, meint er einmal zu Homer.

Wenn sich die Kamera nicht gerade an die Brüder heftet, zeigt sie das kleine Boot, das sich zwischen den hohen Klippen über den türkisblauen Fluss schlängelt, und die Landschaft in Panorama-Aufnahmen. Die Trockenheit der malerischen Region wirkt streckenweise lebensfeindlich. Schauplatz des Films bleibt gleichwohl das Boot. Nachts, wenn Homer und Joé in ihren Kojen liegen, werden die Gespräche intensiv, wenn auch nicht wortreicher. Der tote Vater, den er nie kannte, beschäftigt Homer: „War er ein guter Vater? Ich will ihn nicht vermisst haben, wenn er ein Mistkerl war.“ Umso bitterer die Erkenntnis für Homer, dass der Vater in seinem Leben zwar nicht anwesend war, ihm aber die Affinität zum Alkohol und die aufbrausende, mitunter aggressive Art vererbt hat.

In der Nähe eines Klosters stoßen die beiden Reisenden schließlich auf den Iren Sean (John Lynch), einen Geschäftspartner des Vaters, der ihnen mehr über dessen Vergangenheit erzählen kann. Doch im Zentrum der Geschichte stehen weiterhin die beiden Brüder. Der eine hatte keinen Vater und litt an dem Verlust, der andere litt an dessen Anwesenheit.

Am Ende der Odyssee in die Vergangenheit, nach Gefühlsausbrüchen und gemeinsam überstandenen Verletzungen nähern sich die Brüder einander schließlich an. Warum Joé nicht mal ein Buch über ihn schreibe, fragt Homer ihn. „Bin ich nicht gut genug, um darin vorzukommen?“, hakt er nach und zeigt hinter der rauen Oberfläche den verletzlichen Jungen.

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Anne-Sophie Schmidt

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