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Szene aus dem Belarus-Dokumentarfilm "Courage"

© Living Pictures Production

Belarus-Doku auf der Sommer-Berlinale: Gesichter der Revolution

Die Proteste in Belarus in Nahaufnahme: Aliaksei Paluyan und sein Dokumentarfilm „Courage“, der im Special-Programm der Sommer-Berlinale läuft.

Die Menschen auf den Straßen schwenken rot-weiße Flaggen, sie laufen auf die Einsatzkräfte zu, die sich ihnen in Kampfmontur entgegenstellen. Dann sausen die Knüppel nieder, die Protestierenden rennen, werden zu Boden gerissen, getreten. Eine Aufnahme zeigt die Person, gegen die demonstriert wird: Alexander Lukaschenko. Doch der Machthaber sieht jünger aus, schlanker, das Haar noch nicht ergraut.

Die Bilder, mit denen Aliaksei Paluyan seinen Dokumentarfilm „Courage“ eröffnet, ähneln denen aus Belarus im Spätsommer 2020. Doch sie sind gut 25 Jahre alt. Lukaschenko stand gerade zwei Jahre an der Spitze des Staates, schon damals wollten ihn die Menschen dort nicht mehr.

„Das, was letztes Jahr in Belarus passiert ist, ist nichts Neues“, sagt Paluyan im Gespräch per Videoschalte. Ihm gehe es darum, Kontinuitäten des Widerstands zu zeigen. Im Zentrum seines Films stehen drei Mitglieder der Minsker Theatergruppe Belarus Free Theatre, Maryna, Pavel und Denis, die Paluyan im vergangenen August begleitet hat. Man sieht sie in rohen Fabrikhallen proben, die Stücke sind reduziert in der Ausstattung, aber unmissverständlich in ihrer Haltung. Sie thematisieren die politische Kultur im Land, auch konkrete Entführungen und Hinrichtungen von Aktivisten.

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Paluyan begleitet die drei auf Demonstrationen. Immer mehr Menschen strömen auf die Straßen: Auf ihren Gesichtern zeichnet sich Hoffnung ab, Hoffnung auf einen Aufbruch – bis sie zusammenzucken, wenn Blendgranaten explodieren. „Wir haben in Hotspots gedreht“, erklärt Paluyan. Oft seien sie nur mit Glück einer Festnahme entgangen.

Nach einem Monat Drehzeit wird es gefährlich auch für Paluyan, er fürchtet um die Aufnahmen. „Das Risiko, das Ganze zu verlieren, war einfach so groß, dass ich Anfang September die Entscheidung getroffen habe, nach Berlin zu fliehen, um das Material zu kopieren“, erzählt auf er auf Deutsch mit weichem Akzent. Der 31-Jährige ist in Belarus aufgewachsen, vor neun Jahren zog er zum Filmstudium nach Kassel.

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Eigentlich wollte Paluyan noch im Herbst 2020 wieder nach Minsk zurückreisen. Doch nach der Festnahme der Bürgerrechtlerin Maria Kolesnikowa hatten die Repressionen eine neue Qualität erreicht, wovon am Freitag auch Oppositionsführerin Swetlana Tichanowskaja in Berlin berichtete. „Da wurde mir klar, dass es viel wichtiger ist, sich auf den Schnitt des Films zu konzentrieren.“ Er ist glücklich, dass „Courage“ nun auf Festivals gezeigt wird, wie jetzt in der Special-Reihe der Sommer-Berlinale. „Die Berlinale ist eine Bühne, auf der wir lauter werden, ja sogar schreien können. Ich glaube, es ist Zeit zu schreien, nicht nur zu sprechen.“

Darüber, was das für ihn als Filmemacher und für die Menschen aus seinem Umfeld bedeutet, will Paluyan nicht reden. Er sagt nur, dass er keine Wahl hatte: „Wenn du Künstler bist und in einem Land lebst mit so einem Traum, dann ist es nicht möglich, darüber nicht zu sprechen.“ So hat er auch seine Protagonist:innen ausgewählt. Maryna, Pavel und Denis seien ehrlich zu sich selbst. „Sie wussten, was es für Konsequenzen haben würde, und haben es trotzdem gemacht.“

Die Protagonisten des Films leben inzwischen im Exil

Pavel und Denis wurden im Februar verhaftet. 15 Tage saßen sie im Gefängnis. Danach wussten sie: Sie müssen Belarus verlassen. Nach Kiew. Maryna ist ihnen gefolgt. „Ich hätte nie gedacht, dass Menschen aus meinem Land fliehen würden“, sagt der Regisseur. „In ein Land hinein, in dem Krieg herrscht.“

Mit „Courage“ wirft der Dokumentarfilmer auch die Frage auf, was Kunst politisch bewirken kann. Seit 16 Jahren spielt das Belarus Free Theatre gegen Lukaschenko an. Immer mehr Ensemblemitglieder leben im Exil, der Machthaber jedoch bleibt derselbe. Ein bisschen fülliger, die Haare grau, und noch immer in Amt und Würden.
Ab 1. Juli startet der Film im Kino.

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