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Kunstwelt. Eine Frau fotografiert sich im Théâtre du Châtelet, einem der drei Spielorte von DAU in Paris. Die Installation gehört zum Projekt des russischen Filmemachers Ilya Khrzhanovsky.

© AFP

Behörden bemängeln Sicherheit: DAU in Paris: Vorerst gescheitert

Das DAU-Projekt will Paris erobern: Doch für die Premiere gibt es keine Genehmigung – und wieder großes Rätselraten.

Auch in der Hauptstadt Frankreichs hat DAU seine Probleme. Und Berlin braucht nicht unbedingt das Gefühl zu haben, provinzielle Beamte hätten mit kleingeistiger Paragrafentreue die Weltpremiere des größten Kunstereignisses aller Zeiten vereitelt. Auch die Pariser Präfektur kann Nein sagen, wenn DAU, das immersiv-kinematografisch-totale Crossmedia Event des russischen Regisseurs Ilya Khrzhanovsky in den Stadtraum eingreifen will. Der Bau einer Brückenkonstruktion, die das Théâtre du Châtelet und das Théâtre de la Ville verbinden sollte, wurde nicht genehmigt, auch nicht die Benutzung einer unterirdischen Fußgängerpassage.

Etwas hat sich verändert. Der in gewaltigen Dimensionen denkende Ilya Khrzhanovsky hat nach dem Berliner Aus begriffen, dass er seine Ansprüche und Wünsche zurückschrauben muss, wenn ds Projekt überhaupt noch in Kontinentaleuropa herauskommen soll. So mutet DAU-Paris, sofern beim verstolperten Auftakt überhaupt erkennbar, sehr kompakt und fast ein wenig unscheinbar an.

Lediglich ein kleiner Glaspavillon ist auf der Place du Châtelet errichtet worden. Dort holt der Besucher sein Visum ab, das er vorab im Internet beantragen muss. Für sechs oder 24 Stunden oder unbegrenzt soll es gelten und 35, 75 oder 150 Euro kosten. Ein Passbild muss hochgeladen werden. 36 Stunden vor der angekündigten Eröffnung funktionierte das stundenlang nicht. Es wird nicht besser: Am 24.1. melden zwei DAU-Mitarbeiter technische Probleme, man könne kein Publikum hereinlassen. Später erklärt die Präfektur, es gebe vorerst keine Genehmigung wegen Sicherheitsmängeln. DAU bleibt eine Behauptung.

Bisher war Folgendes in Erfahrung zu bringen, ähnlich wie beim geplanten Berlin-Durchgang: Beim Antrag auf das Visum sind intime Fragen zu beantworten. Ob man in der Liebe jemanden schon einmal Schmerz zugefügt habe, Fragen zum Glauben auch. Aus den Antworten wird ein Profil generiert, dem zufolge der Besucher von einem kleinen Bildschirmgerät durch die Theater geführt wird, vorbei an einer Silikonfigur, die erschöpft in ein Sofa gesunken ist, einem Büro mit Lenin-Porträt, vorbei an einem Sex-Shop, einer Wodka-Bar zu einer der mit silberglänzendem Vorhang kaschierten Kabinen, in denen ein individuelles Screening wartet. Ausschnitte aus dreizehn Spielfilmen sollen dort zu sehen sein, wenn es einmal läuft.

Beim Antrag auf das Visum sind intime Fragen zu beantworten

In die Räume im Verwaltungstrakt des Théâtre du Châtelet werden Klanglandschaften eingespielt, für die Brian Eno verantwortlich zeichnet: „Wir wollten einen lebenden Ort schaffen, mit Erinnerungen und Resonanzen von anderer Orte und Zeiten. Wir haben uns Kühlschränke, Maschinerien, Dynamos angehört, Geräusche, die man nicht Musik nennt. Und dann haben wir sie so verändert, dass ihr Sound fast schon zu Musik werden kann.“

Das sagt der Musiker bei einem Pressetermin am Vortag der beabsichtigten Eröffnung. Das seit Monaten anhaltende undurchsichtige Spiel mit spärlichen Informationen und Geheimniskrämerei ging weiter: Was gerade versprochen worden war, etwa eine Filmprojektion, wurde in letzter Minute wieder abgesagt. Das Team wirkte gestresst, die Installationen eher unfertig.

Wochenlang gab es nur homöopathische Informationshäppchen

In einem kurzen, etwas unzusammenhängenden Zusammenschnitt diverser DAU-Filme war eine vielversprechende Totale zu sehen. Da schritt ein Protagonist über einen Platz mit Bautrümmern, eine Glocke stürzte zu Boden und sprang in viele Teile, ein Kutschpferd scheute und sprang auf, um daraufhin in katatonische Starre zu verfallen, an dem die heftigen Peitschenhiebe des Kutschers nichts ändern konnten. Ein Bild wie für Nietzsches berühmte Umarmung der geschundenen Kreatur, eine glänzende Allegorie für das, was der historische Umbruch mit den Lebewesen macht. Aber wieder nur ein Teaser.

Wochenlang war die Pariser Öffentlichkeit vom DAU-Management mit homöopathischen Informationshäppchen kurz gehalten worden. Deshalb war die Aufregung groß, als „Le Monde“ wenige Tage vor der Eröffnung in einer dreiseitigen Recherche das DAU-Projekt, das sich für Berlin, Paris und London das Motto „Freiheit, Egalité, Brotherhood“ gegeben hatte, journalistisch aufschlüsselte und die Berliner Debatte aufnahm.

Die Installation wirkt jetzt klein, fast unscheinbar

So erfuhr man in Frankreich von Khrzhanovskys robustem Umgang mit den am Filmprojekt beteiligten Darstellern. „Wir verstehen nicht, warum sich öffentliche Einrichtungen an einem Projekt beteiligen, das Prostituierten Gewalt antut und sie alkoholisiert“, sagte die Stadträtin Madeline Da Silva, die das Frauenkollektiv „Nous Toutes“ unterstützt. „Was mich interessiert“, so zitiert das Blatt Hanna Schygulla, die der deutschen Filmversion ihre Voice-Over-Stimme verliehen hat, „ist der Widerstand der menschlichen Natur innerhalb einer KZ-Welt. Aber in wie fern Ilya Spaß dabei hatte, ein solches Regime zu reproduzieren, diese Frage müsste er sich mal stellen.“

Zum Umfeld des russischen Regisseurs hat „Le Monde“ den Neu-Pariser Chris Dercon befragt, der DAU in seiner kurzen Intendanz an die Volksbühne hatte holen wollen: „Ilya mag es, sich mit problematischen Charakteren und Borderlinern zu umgeben“, sagte der Direktor der staatlichen Museen in Paris. Manche, die eine unerklärliche Begeisterung in den Augen junger Mitarbeiter erkannten, redeten von DAU als einer Sekte, aber Ilya Permyakov, Philosoph und Cutter, korrigiert: „DAU ist keine Sekte, ich würde es eher eine Geheimgesellschaft nennen.“

Es darf – oder soll – also weiter spekuliert werden. Die Veranstalter behaupten, etwa 2000 Besucher gleichzeitig beherbergen zu können. Aber der kurze Rundgang durch die Räumlichkeiten macht klar: Das ist logistisch nicht möglich. Auch das Gespräch mit einem Imam, Priester, Rabbi oder Schamanen, das Teil der DAU-Erfahrung sein soll, kann für eine solche Zuschauermenge unmöglich stattfinden, selbst wenn jedes Gespräch nur fünf Minuten dauert.

Den Film würde man schon gerne einmal sehen, in Gänze

Die im Stil der Stalinzeit drapierten Räume im Verwaltungstrakt des Théâtre du Châtelet, zwei Installationen in den beiden Foyers des Théâtre de la Ville, das ist es schon. Zusätzlich gibt es im Centre Pompidou eine kleine Rauminstallation. Die Pariser Situation war für das Projekt dabei eher günstig. Die beiden Theaterhäuser werden einer grundlegenden Sanierung unterzogen und haben seit Monaten keinen Spielbetrieb mehr. Die schönste und größte Location ist der bis auf die Grundmauern entkernte, vierstöckige Theaterraum des Théâtre de la Ville. Sandfarbene Sitzkissen liegen auf kahlen Betonrängen, ein Raum für Träume, fürs Unfertige, für Konzerte und die Filmprojektionen, die den Kern von DAU ausmachen sollen: die Spielfilme und mehrere Serien rund um die Figur des Nobelpreisträgers und Physikers Lev Landau, die Khrzhanovsky während mehrerer Jahre mit dem deutschen Kameramann Jürgen Jürges in Charkiw drehte, in einer Parallelwelt von 400 Statisten und einer Gruppe privilegierter Künstler und Wissenschaftler. Ilya Permyakov fragt sich: „Was passiert, wenn sich ein Intellektueller, ein an sich netter Mensch, aus dem Sozialen heraushält? Wenn er in seiner Blase bleibt, schweigt und den unbesetzten sozialen Raum anderen überlässt? Und welchen Kräfte und Mächte kommen dann ins Spiel?“

Beteiligt waren auch der Physiker Carlo Rovelli und die Regisseure Anatoly Wassiljew und Romeo Castellucci. Die Verbindung von Wissenschaft und Kunst ist ein zentrales Anliegen des Projekts. DAU scheint die mentale Schnittmenge zwischen dem 43-jährigen Regisseur und dem legendären Physiker Lev Landau zu sein. Dessen Obsessionen bewegten sich Khrzhanovsky zufolge zwischen Wissenschaft, Erotik und Spiritualität. Deshalb sollen Geistliche das Publikum beim Gang durch das Pandämonium stalinistischer Überwachung begleiten. Deshalb wechseln sich ausführliche Sexszenen mit wissenschaftlichen Diskussionen ab.

Man sähe schon gern einmal den ganzen Film im Kino. Doch da ist nur diese eine starke Szene, dieses kleine Licht, das aus der trüben Undurchsichtigkeit hervorschimmert.

Eberhard Spreng

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