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Ethan Hawke und Julie Delpy in "Before Midnight"

© Berlinale

"Before Midnight": Ethan Hawke und Julie Delpy in einer Liebe von gestern

Mit „Before Midnight“ beendet Richard Linklater seine Trilogie um Jesse und Céline. Und die Berlinale feiert etwas ermattet Halbzeit.

Zwei schmerzhaft schöne Stellen gibt es in „Before Midnight“, beide ereignen sich, wenn ausnahmsweise Stille herrscht, und auf verschwiegene Weise haben sie miteinander zu tun. Erst steht Ethan Hawke alias Jesse an der Abfertigungsschleuse des Kalamata-Flughafens auf dem Peloponnes und guckt lange seinem 13-jährigen Sohn hinterher. Aber der Junge, der zu seiner Mutter nach Chicago zurückfliegt, dreht sich nicht um. Und dann sitzt Jesse allein im Hotelzimmer und schaut auf die Tasse, in der der Teebeutel noch schwimmt, auf die noch vollen Rotweingläser, auf das noch unbenutzte Bett. Da ist Julie Delpy alias Céline zum zweiten Mal raus aus dem Zimmer – mit der Ansage, sie liebt Jesse nicht mehr.

Es ist Schluss mit lustig im letzten Stück der „Before Something“-Trilogie von Richard Linklater, außer Konkurrenz im Wettbewerb gezeigt. Jesse und Céline sind Anfang 40 und zwar nicht verheiratet, aber sie haben zwei zauberhafte Töchter und eine ziemliche Lebensstrecke hinter sich. Und weil Jesse Céline einen Umzug von Paris nach Chicago vorschlägt, um seinem Sohn näher zu sein, hängt der Feriensegen schief. Denn die taffe Céline hat einen tollen Job in Aussicht und keine Lust, ihren Töchtern demnächst die Schulbrote mit Erdnussbutter zu schmieren.

Über weite Strecken muss man sich „Before Midnight“ vorstellen wie „Szenen einer Ehe“ ohne Ring. Nach Verzauberung und Verheißung stehen die Zeichen auf Verbrauch und Vorbei. 1995 verleben der Interrailer und die Studentin eine hinreißende Streunernacht in Wien: Fortsetzung in einem halben Jahr, so hieß die Devise. 2004 besucht Céline in Paris eine Lesung Jesses, der mit ihrem Abenteuer von damals einen Bestseller landete. Nun verpasst er, neu entflammt, den Rückflug in sein amerikanisches Leben, absichtlich.

Und 2013? Nur numerisch lässt sich ein Neunjahresrhythmus konstruieren, denn längst haben Jesse und Céline ihre gemeinsame Geschichte, mit Wunden und Narben, Schuld und Streit, das bisschen Glück nicht zu vergessen. Jesse hat zugunsten von Céline seine Ehe zerstört, Céline kommt beruflich nicht so flott voran wie gewünscht. Richard Linklater zerlegt diese Bestandsaufnahme filmisch eher unehrgeizig in wenige lange Szenen, in denen Delpy und Hawke ihr gemeinsam erarbeitetes Dialogmaterial durchaus unterhaltsam ausbreiten. Gern in griffigen Onelinern, die im griffigsten Fall an Woody Allen erinnern. Bald aber wird die Sache säuerlich – als hätte Platon auch noch den Zank zwischen Sokrates und Xanthippe überliefert.

Und wenn jetzt erst Halbzeit wäre in der Linklater-Saga vor Folge 5, Jesse ist dann 59 und erörtert mit Céline die finanziellen Risiken des Vorruhestands? Bitte nicht, die in „Before Midnight“ angespielten Zeitreisefantasien sind lebensabendfüllend genug. Eine Zeitmaschine allerdings wünscht sich mancher Chronist auch angesichts des insgesamt dürftigen Wettbewerbsprogramms dieser Berlinale, die gerade erst Halbzeit feiert. Pardon: feiert?

„Vic + Flo“ zumindest sind zu beneiden, denn sie haben laut Filmtitel bereits „einen Bären gesehen“. Ein goldener war bislang wohl kaum dabei, allenfalls silberne – etwa für Paulina Garcías stimmungsaufhellendes Spiel in Sebastián Lelios chilenischem Frauenporträt „Gloria“ und vielleicht der Regie- oder Drehbuchpreis für den Rumänen Calin Peter Netzer („Child's Pose“). Schön wäre es, wenn auch in diesen Nebenkategorien noch ein echter Wettbewerb entstünde.

Ansonsten Fragen über Fragen. Wie kommt es zu einer derart mageren Ausbeute bei 6000 eingereichten Filmen – die schmalen deutschen Beiträge „Gold“ und „Layla Fourie“ eingeschlossen? Wie fühlt sich Wettbewerbs-Juror Andreas Dresen, der seine Filme längst lieber nach Cannes gibt? Und: Wie tickt ein Auswahlkomitee, das TotalTrash à la „The Necessary Death of Charlie Countryman“ für den Wettbewerb empfiehlt? Ethan Hawke sagte in einem „Tip“-Interview: „Drei Filme pro Tag – das ist besser als Prozac.“ Nun, er sagte es in sehr, sehr anderem Zusammenhang. Jan Schulz–Ojala

„Vic + Flo“ sind zu beneiden. Sie haben, laut Titel, schon einen Bären gesehen

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