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Gib mir eine Uniform. Beatriz Gonzáles setzt sich in ihren Gemälden – hier „Los Papagayos (1986/87) – mit der gewalttätigen Vergangenheit Kolumbiens auseinander.

©  Óscar Monsalve

Beatriz González in den Kunst-Werken: Wenn Farben lügen

Beatriz González’ Bilder erinnern an Pop-Art. Aber es geht um das Morden in ihrem Heimatland Kolumbien. Ihr Werk ist erstmals in Berlin zu sehen.

Zwei Gestalten schleppen ein Bündel, das an einer Stange baumelt. Dieses Motiv hat Beatriz González in vielen verschiedenen Varianten realisiert, nun ist es in Serie im Eingangsbereich der Kunst-Werke (KW) in der Auguststraße plakatiert. Aber erst in der Ausstellung wird klar, wofür es steht. Es ist González’ Chiffre für das Morden in Kolumbien, einem Land, das 50 Jahre lang in bewaffnete Konflikte zwischen Regierung, Guerillas und Drogenhändlern verstrickt war. Ein Thema, das auch die Kunst der 80-jährigen Malerin Beatriz González geprägt hat.

In Deutschland und Europa ist die in Bogotá beheimatete Künstlerin kaum bekannt, obwohl sie in ihrem Land mehrere Künstlergenerationen geprägt hat. Er habe das Werk von González bei einer Reise durch Kolumbien kennengelernt, erzählt KW-Direktor Krist Gruijthuijsen. Als er vor zwei Jahren seinen Posten antrat, war die Idee einer González-Werkschau bereits da. Als er davon erfuhr, dass María Inés Rodríguez, Direktorin des Museums für zeitgenössische Kunst in Bordeaux, an einer González-Retrospektive für Europa arbeitete, lud er sie zur Kooperation ein. Nach Bordeaux und dem Nationalmuseum Sofia Reina in Madrid ist Berlin nun die dritte Station. Außerhalb Kolumbiens war González Werk noch nie derart umfassend zu sehen.

Farben der Kindheit

Beatriz González wurde 1938 in Bucaramanga im Osten Kolumbiens geboren. Auch wenn Kunsthistoriker in ihren Bildern die bunten, an der Werbewelt geschulten Farben der amerikanischen und britischen Pop-Art zu erkennen glauben, betont sie immer wieder, dass es die Farben ihrer Kindheit sind, des Sonnenuntergangs und der Kirchen in Bucaramanga, die sich in ihrer Malerei niederschlagen. Leuchtendes Orange, Lila und Grün sind tief in ihr und ihrer kolumbianischen Heimat verankert. Sie mag ähnliche Methoden verwenden wie ihre Pop Art-Kollegen im Westen, aber es geht ihr nicht um die Konsumkultur der 70er Jahre, sondern um das spezifische politische und soziale Klima ihres Heimatlandes. Sie hat lokale Geschichten für internationale Kunst genutzt – zu einer Zeit, als noch niemand Lokales und Globales zusammendachte.

Die frühesten Arbeiten, die die Berliner Ausstellung zeigt, stammen von 1965 und sind gleich im ersten Raum versammelt. Damals war González eine junge Frau von 27 Jahren, die nicht mehr einfach Adaptionen westlicher Kunstgeschichte malen wollte. Sie hatte angefangen, Fotos aus der kolumbianischen Presse zu sammeln und diese schlecht gedruckten Bilder als Vorlage für Gemälde zu nutzen. Ein ikonisches Gemälde, das alles beinhaltet, was ihre Arbeit bis heute ausmacht, zeigt das Portrait eines Paares. Sie mit Kopftuch und guter Robe, er im Anzug und mit Hut, ihre Hände halten gemeinsam einen Blumenstrauß. Man könnte von einem glücklichen Liebespaar ausgehen, wäre da nicht der Titel: „Los Suicidas del Sisga No.2“ (Die Selbstmörder von Sisga No.2). González zeigt ein Paar, unmittelbar vor dessen Selbstmord. Die Liebenden sprangen gemeinsam von einer Brücke, aus religiösem Eifer, um die Reinheit der Frau zu bewahren. Das Bild, das später vielfach in der Sensationspresse abgedruckt wurde, ließ das Paar als letzten Gruß an die Verwandten von einem Fotografen aufnehmen.

Die Wahrheit der Kunst

Gonzales malt das Motiv flächig, ohne Horizont, die Körper aus Farbfeldern zusammengesetzt, auf das Wesentliche reduziert. Im Grunde malt sie keinen Mann und keine Frau, sondern das, was in der Zeitung von ihnen übriggeblieben ist. Eine kleine Notiz mit Unterhaltungswert, ein Schicksal, das schon morgen von neuen Ereignissen überschrieben sein wird. Kann Malerei daran etwas ändern? Kann ein Gemälde Wahrheiten transportieren, die in der Zeitung und in der Geschichtsschreibung fehlen? Diese Frage interessiert González bis heute.

Die rund 120 Werke der Ausstellung thematisieren verschiedene Werkkomplexe in ihrem Œuvre. In der großen Halle im Erdgeschoss sind bunte, auf Betten, Metalltischen und Möbeln aufgebrachte Gemälde zu sehen, die die Künstlerin erstmals 1971 bei der Biennale von São Paulo präsentiert hat. Mit ihrer farbigen, figurativen, unter Kitschverdacht stehenden Kunst sei sie damals im Reigen der angesagten Konzeptkünstler völlig aus dem Rahmen gefallen, berichtet die Künstlerin, die zur Ausstellungseröffnung nach Berlin gekommen ist. Mit Sonnenbrille, Pagenkopf und schwarzem Kleid zeigt sich die 80-Jährige kurz in der Ausstellungshalle der KW und erzählt, dass hellsichtige Kritiker sie damals „Camouflage-Konzeptkünstlerin“ nannten. Eine Zuschreibung, die sie im Nachhinein anerkennt, selbst wenn bei ihr die Form mindestens ebenso wichtig ist wie die Idee.

Von der Ironie zum Protest

Obwohl die Ausstellung nicht chronologisch gehängt ist, sind in den ersten Räumen eher jüngere Arbeiten zu sehen. Dazu gehören etliche Siebdrucke, ein Medium, mit dem González offenbar wunderbar umgehen kann. Eines zeigt Papst Johannes Paul II. mit einem Sombrero, der die Hälfte des runden Bildformats ausfüllt. Weitere Drucke zeigen die englische Königstochter mit Pferd oder den Gewinner der Tour d’Espagne, einem Radrennen, das sich in Kolumbien großer Beliebtheit erfreute. González malt zu Beginn ihrer Karriere Celebritys aus dem Westen. Allerdings interessiert sie sich nicht in erster Linie für die Personen, sondern für die schlecht gedruckten Kopien, die in Südamerika von ihnen zirkulieren. Eines von González’ Werken zeigt eine Frau mit Jacky-O-Sonnenbrille auf einem Kamel. Das Bild trägt den Titel „Jackeline Oasis“. Zu solchen Wortspielen war sie 1974, als der Druck entstand, noch aufgelegt. Später, schockiert von der Spirale der Gewalt in Kolumbien während der 80er und 90er Jahre, gibt sie den Humor in der Kunst völlig auf.

Den Wendepunkt von Ironie zum ernsthaften Protest markiert eine Vorhangarbeit, die in der großen Halle hängt. González hatte in der Zeitung ein Foto des damaligen kolumbianischen Präsidenten Julio César Turbay entdeckt, das ihn bei einer Party zeigt. Kurz zuvor hatte seine Regierung ein Massaker befehligt. 1985 nahmen Mitglieder der bewaffneten M-19 Guerilla im Justizpalast in Bogotá mehrere Richter als Geiseln. Das Militär bombardierte das Gebäude und tötete fast 100 Menschen, Guerillas und Richter ebenso wie Zivilisten. Der Präsident und seine Gäste stehen auf dem Bild vor einem Vorhang, Gläser in den Händen haltend und die Lippen zum Lied geöffnet. Diese Szene hat González als Siebdruck umgesetzt und ließ das Motiv auf einen riesigen Vorhang drucken. Das Werk trägt den zynischen Titel „Inneneinrichtung“. Der Präsident feiert, während sein Volk stirbt.

Kräftige Farben und schwere Geschichten

Die Verharmlosung und Trivialisierung der Gewalt blieb eines der Hauptthemen in Gonzales Werk. Im ersten Moment täuschen die kräftigen Farben und die schemenhaften Formen, die mal an Manet, mal an Picasso, mal an Gauguin erinnern, über die schweren Geschichten hinweg, die in den Bildern stecken. González nutzt wiederkehrende Motive, um dem gewaltsamen Alltag Kolumbiens irgendwie zu begegnen: Sie malt indigene Personen, die wegschauen, Frauen, die sich die Ohren, die Augen oder den Mund zuhalten, Trauernde vor geöffneten Särgen und immer wieder Leichen, die flach auf dem Boden liegen und ebenso flach gemalt sind. Das Motiv der zwei Menschen, die einen leblosen Körper in einer Hängematte schleppen, das am Eingang der KW plakatiert ist, hat González übrigens auf einem Friedhof in Bogotá hundertfach auf die Grabnischen aufgebracht. Es ist ihre Antwort auf die Frage, wie und ob man sich an die Vergangenheit des Landes erinnern soll.

Bis 6. Januar, Kunst-Werke, Auguststr. 69, Mi–Mo 11–19 Uhr, Do 11–21 Uhr

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