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Mit Stinkefinger. Der Beatautor und Folkmusiker Richard Fariña.

© David Gahr/Getty Images/Steidl Verlag

Beatnik-Roman von Richard Fariña: Auf dem Soziussitz

Lebe schnell, sterbe jung und werde leider nicht berühmt: Richard Fariñas Beatnik- und früher Poproman „Been Down So Long It Looks Like Up To Me“.

Als Thomas Pynchon 1966 vom Tod Richard Fariñas durch einen Motorradunfall hört, ruft er mitten in der Nacht eine Freundin an und tauscht mit ihr Erinnerungen an den gemeinsamen Freund und Bekannten aus. Auf einmal kommt ihr der Gedanke, dass Fariña womöglich nur schwer verletzt ist. Und sie sagt, „wenn er bloß bis zum Rand geht und wieder zurückkommt – du weißt schon –, werden wir uns die Geschichte bis zum Ende unserer Tage anhören müssen“.

Doch der leidenschaftliche Geschichtenerzähler Fariña hatte seinen Tod nicht vorgetäuscht. Er war tatsächlich am Tag des 21. Geburtstags seiner Frau Mimi Baez, der Schwester von Joan Baez, auf dem Soziussitz einer Harley Davidson 29-jährig ums Leben gekommen, nachdem er den Fahrer dazu angestachelt hatte, mindestens doppelt so schnell wie erlaubt über die kurvigen Straßen der Bay Area zu fahren. Fariña hatte an diesem Tag in einem Buchladen von San Francisco die Veröffentlichung seines ersten Romans „Been Down So Long It Looks Like Up To Me“ mit einer Autogrammstunde begangen; eines Romans, für den Thomas Pynchon 1983 anlässlich einer Wiederauflage ein Vorwort schrieb und der durch den frühen Unfalltod zum Vermächtnis werden sollte, mehr noch als die Folk-Alben, die Richard Fariña mit seiner Frau Mimi eingespielt hat, „Celebrations For A Grey Day“ und „Reflections In A Crystal Wind“.

„Been Down So Long It Looks Like Up To Me“ gilt nun zwar einerseits als Beatnik-Literatur-Fibel, enthält zumindest einige Beat-Wesenszüge, wurde seltsamerweise aber nie auf Deutsch veröffentlicht. Was vielleicht auch daran liegt, dass dieser Roman ein Sprachwunderwerk eigener Güte ist, das Dirk von Gunsteren großartig übersetzt hat; ja, dass ihm eine gewisse, nicht zuletzt durch diverse Drogen getriggerte Undurchdringlichkeit innewohnt – und oft schwer zu unterscheiden ist, auf welcher Bewusstseinsebene sich die Figuren befinden, wenn sie ihre Dialoge führen, in denen sie manchmal einfach nur dahinblödeln.

Gnossos Pappadopoulis ist Pu der Bär und Hüter der Flamme

Allen voran Gnossos Pappadopoulis, die Hauptfigur, das andere Ich des 1937 als Sohn einer Irin und eines Kubaners in Brooklyn geborenen Fariña. Pappadopoulis, so beginnt der Roman, „pelziger Pu-Bär und Hüter der Flamme“, kehrt eines Frühlingstages des Jahres 1958 zurück von diversen Reisen auf den „Asphaltmeeren des großen wüsten Landes“, um an der Universität sein Astronomiestudium wieder aufzunehmen.

Statt aber ordentlich zu studieren, stromert Pappadopoulis lieber über das der Cornell University (wo Fariña zusammen mit Pynchon studiert hat) nachgebildete Campusgelände, feiert Partys, nimmt Drogen, verliebt sich oder palavert mit seinen esoterisch veranlagten Freunden wie dem Komponisten David Grün oder dem Maler Calvin Blacknesse über den Sinn und Unsinn des Daseins.

Und natürlich erzählt er, „den Mund voll Lügen“, immer wieder Geschichten. Zum Beispiel wie er in den Adirondack Mountains einen Wolf gejagt hat, nachdem er es sich eigentlich in seinem Lager schon so schön gemütlich gemacht hatte, „ein schönes Feuer, ein Schluck zu trinken, Coltrane auf dem Plattenteller“. Oder wie er selbst gejagt wird, von einem Affendämon, der nur in seinem drogenumnebelten Hirn existiert, wie er in weniger drogenumnebelten Momenten feststellt: „Es war Vollmond. Gnossos fühlte sich wie ein halb Besessener, als er zwischen seinen imaginären Hörnern hindurch die Sterne betrachtete.“

Auf der Oberfläche ist Fariñas Geschichte vor allem ein College-Roman, der einige Jahre vor der eigentlichen sexuellen Revolution und der Hippie-Revolte der sechziger Jahre davon erzählt, wie es in der Studentenschaft gärt. Wie sehr sie unter den streng von der Universitätsleitung kontrollierten Sperrstunden leiden, der strikten Trennung der Geschlechter in den Studentenwohnheimen, und wie sie dagegen aufzubegehren beginnen. „Hier ist jemand“, so Gnossos Pappadopoulis in den ersten Tagen nach seiner Rückkehr, „der aufrühren, aufwühlen, aufschäumen wird.“

Unter dieser Oberfläche jedoch handelt Richard Fariñas Roman unablässig auch vom Tod. Die Atomtests in der Wüste von Nevada bilden einen unheilvollen Hintergrund, genau wie die aufkommenden revolutionären Umtriebe auf Kuba, während derer eine der Romanfiguren von Batistas Truppen erschossen wird. Und auch in ihren Gesprächen sind sich Pappadopoulis und seine Freunde und Freundinnen ihrer Sterblichkeit allzu bewusst. Sie haben ihre juvenilen Illusionen verloren, wollen ihren Geist „von der Bürde des Bildes befreien“ und sind auf der Suche nach Reinkarnationen: „Du verlierst, was du bist, du tauchst in etwas anderes ein. In Fleisch, Stein, Haut, Faser, Haar, Knochen. Das ist das Ethos.“

Der Roman ist durchsetzt mit viel Gewitzt- und Albernheiten

Alles, was sich später in Aufruhr und Rebellion, nicht zu vergessen auch in noch mehr New-Age-Unsinn und Esoterik-Quatsch ausdrücken sollte, ist in diesem Roman schon angelegt. Nur mit dem Feminismus hat Fariña es nicht so, da entstammt Pappadopoulis’ Frauenbild doch sehr noch den fünfziger Jahren.

Auf einer formal-stilistischen Ebene enthält „Been Down So Long It Looks Like Up To Me“ viel Beatnik-Slang, ist durchsetzt mit vielen typischen Gewitzt- und Albernheiten; da antizipiert er aber nicht nur den Duktus von Sex, Drogen und Rock ’n’ Roll, lange bevor dieser Dreisatz zur Schule des Pop und der Popkultur werden sollte, „Live fast, die young“, sondern auch den der späteren Popliteratur.

Es finden sich in Richard Fariñas Prosa immer wieder Listen und Aufzählungen, er arbeitet mit Zitaten und literarischen Referenzen von Walter Scott über Yeats bis hin zu A. A. Milne und dessen Pu-der-Bär-Erzählungen. Die Namen der Figuren sind oft sprechende, heißen sie nun Heffalump, Ferkel, Blacknesse oder Oef, auch Coolness und Hip-Sein sind Kategorien, die gerade für Fariñas Helden ganz oben auf der Lebensliste stehen. Überdies liegt eine Tonspur unter diesem Roman mit der Musik zur Zeit, von Miles Davis, John Coltrane, Dave Brubeck, Buddy Holly, Mose Allison oder Ravi Shankar.

„Soll ich dir einmal was verraten? Das Leben ist eine Hollywood-Romanze“, sagt Pappadopoulis einmal zu seiner Geliebten, der braven Politologie-Studentin Kristin McLeod. Worauf diese irritierenderweise erwidert, er denke zu viel nach. Für Robert Fariña jedenfalls hat sich sein früher Rock-’n’-Roll-Tod nicht so Hollywood- oder eben James-Dean-, Jim-Morrison- und Kurt-Cobain-mäßig ausgezahlt, er ist doch ziemlich schnell in Vergessenheit geraten, trotz seines prominenten Freundesnetzwerkes. Einen Platz im Olymp der Beatnik- und frühen Popliteratur hat er mit seinem einzigen Roman allemal verdient.

Richard Fariña: Been Down So Long It Looks Like Up To Me. Roman. Mit einem Vorwort von Thomas Pynchon. Aus dem amerikanischen Englisch von Dirk van Gunsteren. Steidl Verlag, Göttingen 2018. 392 Seiten, 28 €.

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