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Stephen Gould (Tannhäuser), Elena Zhidkova (Venus) und Manni Laudenbach (Oskar) in Tobias Kratzers "Tannhäuser"

© Enrico Nawrath/Festspiele

Bayreuther Festspiele: "Tannhäuser" mit Clown und Drag Queen

Auftakt der Bayreuther Festspiele: Tobias Kratzer überzeugt mit seinem „Tannhäuser“. Buhrufe aber gibt es für Valery Gergievs Dirigat.

„Zerstört sei alles, was Euch bedrückt und leiden macht, und aus den Trümmern dieser alten Welt entstehe eine neue, voll nie geahnten Glücks.“ Der das schrieb, war für die Revolution entbrannt und hatte sich auf die Barrikaden von Dresden begeben, als königlicher Kapellmeister. Doch der Traum vom Mai 1849 scheiterte, Richard Wagner floh, nun steckbrieflich gesucht, in die Schweiz.

Im Bayreuth des drückend heißen Sommers 2019 tauchen seine Parolen wieder auf. Hier, wo man sich der Pflege seines Nachruhms verschrieben hat, will Regisseur Tobias Kratzer keinen weiteren Kranz am Denkmal Wagner ablegen. In der frühen Dresdner Fassung des „Tannhäuser“ soll der mit Umsturz liebäugelnde Künstler im Rampenlicht auftauchen. Einer, der noch nicht in gesamtkunstwerkliche Selbststilisierung und Weltentsagung abgedriftet war, einer aus Fleisch und Blut, mit Sehnen und Verlangen. Unter den Augen der allgegenwärtigen Sicherheitskräfte wird im Park vorm Festspielhaus ein schwarzes Laken bepinselt: „Frei im Wollen, frei im Thun, frei im Genießen! R.W.“

Wo sonst Aufführungen des „Tannhäuser“ mit der schwülen Beschwörung des Venusbergs beginnen, mit bemühter Theaternacktheit und der Vorspiegelung erotischer Enthemmtheit, startet Kratzer einfach sein Roadmovie. (Weitere Aufführungen am 28. Juli sowie 13., 17., 21. u. 25. August. Am Samstag auf 3 Sat, 20 Uhr 15) Im Orchestervorspiel, nach einem Drohnenflug über die Wartburg, taucht inmitten des deutschen Walds ein alter Lieferwagen auf. Auf seinem Dach ist ein Hase festgezurrt, als Reverenz an den vermissten Christoph Schlingensief und seinen „Parsifal“, der die Bayreuther Gemeinde aufgerüttelt hat. Am Steuer sitzt eine angriffslustig lachende, blonde Frau, mit ihr reisen ein korpulenter Clown, ein kleinwüchsiger Wiedergänger von Blechtrommel-Oskar und eine schwarze Dragqueen mit Bart und blonder Perücke. In ausgelassener Stimmung passieren sie eine Biogasanlage, die gerade geschlossen wird, „mangels Nachfrage“. Bayreuthkenner schmunzeln, verbirgt sich darin doch eine Anspielung auf die letzte, wenig geglückte „Tannhäuser“-Inszenierung am Grünen Hügel. Das Quartett gibt sich als verschworene Außenseiter-Clique, die man ins Herz schließen muss, weil sie solidarisch und freudig wirkt, unschuldig im weitesten Sinne.

Die Dragqueen singt hier frei von der Leber weg Musicals

Bis das Geld ausgeht. Benzin wird geklaut, Fast Food betrügerisch erbeutet, noch lacht man, doch dann überfährt Venus, die Frau am Steuer, eiskalt einen Polizisten. Um die Fahrt fortsetzen zu können und noch mehr Zettelchen mit der Botschaft „Frei im Wollen, frei im Thun, frei im Genießen! R.W.“ abwerfen zu können. Dem Clown kommen die Tränen. Es ist Tannhäuser, und selten waren seine ersten Worte so erfüllt von den Qualen eines zerplatzten Lebenstraums: „Zu viel! Zu viel! O, dass ich nun erwache!“ Er steigt aus bei voller Fahrt und purzelt auf die Straße unweit des Festspielhauses. Dort ziehen Besucher samt Programmheften als Pilgerchor vorbei, während ein paar Sänger mit Hausausweis um den Hals Pause machen und in Tannhäuser einen der Ihren entdecken. Das Auftauchen der sichtlich labilen Darstellerin der Elisabeth bewegt Tannhäuser dazu, bei einer Aufführung des Sängerkriegs auf der Wartburg mitzuwirken. Venus und ihre Begleiter rauschen im Wagen heran. Schon ist ein Akt verflogen, der Draußen in der Glut des Nachmittags weiterspielt, unten am Festspielteich.

Le Gateau Chocolat, die Dragqueen, die im Festspielhaus den Mund halten muss, singt hier sehr frei von der Leber weg Musicals, aber auch die Hallenarie der Elisabeth. Ein aufblasbares Einhorn hört zu, Oskarchen (Manni Laudenbach) trommelt im Schlauchboot und tönt von der Zerstörung aller Ordnung, Venus pinselt ihr Plakat, Polizisten schauen vom Pferd herab. Ein harmloses Happening in der Hitze, begleitet von der Frage, ob die Wahrnehmung der Musik nicht doch gelitten hat unter der zupackenden Videoregie.

Stephen Gould spielt überraschend intensiv

Als ob sie das geahnt hätte, wird Akt zwei optisch aufgeteilt, die gewaltige Höhe der Bayreuther Bühne genutzt für eine doppelte Ebene aus „Tannhäuser“-Aufführung und den Kameraeinstellungen in den Kulissen und Gängen des Festspielhauses. Hier sind Venus und Gefolge längst eingedrungen, mit der Leiter über den Balkon. Venus raubt einer Chorsängerin das Kostüm und betritt die Szene. Die Kameras legen offen, dass Elisabeth einen Selbstmordversuch unternommen hat, sie zeigen, wie der immer so furchtbar gutmütige Wolfram von Eschenbach schier die Fassung verliert und Tannhäuser gegen Kollegen handgreiflich wird.

Schließlich ruft Intendantin Katharina Wagner die Polizei, die mit gezogener Waffe das Festspielhaus stürmt, aber einen kurzen Moment zögert, als die Beamten das Laken mit Wagners Losung lesen. In dem Zögern lebt die Chance, dass alles anders sein könnte – ein großer Regiemoment, an dem die Musik ganz klein ist.

Das liegt nicht am Video, das liegt an Valery Gergiev. Der russische Maestro hat schon überall auf der Welt dirigiert, aber in Bayreuth noch nicht. Unter der Ägide von Wolfgang Wagner, dessen 100. Geburtstag die Festspiele mit einem Konzert unter Leitung von Christian Thielemann und einer Ausstellung begehen, wäre Gergiev wohl auch nie verpflichtet worden. Weil er immer unterwegs ist und sich nicht an die am Grünen Hügel üblichen exklusiven Anwesenheitszeiten hält. Zur Premiere aber erschien Gergiev pünktlich im Brutkasten des gedeckten Orchestergrabens. Für einen Musiker, der lieber aufführt als probt, ist das ein schwieriger Arbeitsplatz, weil sich die Musik im Saal ganz anders mischt als unter der Bühne. Akzente, Phrasierungen, Ensembleeinsätze - alles muss akustisch umgedacht werden.Kratzers Inszenierung nicht im überdrehten Show-Vakuum.

Kratzers Inszenierung spielt nicht im überdrehten Show-Vakuum

Weit kommt Gergiev, der Bauchmusiker, damit nicht. Was zunächst nur matt klingt, ohne zwingende Fassung, zeigt alsbald eklatante Schwächen, wenig Gespür für die Bedürfnisse der Sänger und mangelnden Überblick wie im Finale des zweiten Akts. Ein nicht nur für Bayreuther Maßstäbe unterdurchschnittliches Dirigat, für das Gergiev am Ende Buhrufe einstecken muss. Die Regie dagegen hilft den Sängern, die Kratzers hochgenaue, dabei aber nie pedantische Personenführung schätzen. Stephen Gould, Tannhäuser und Tristan zugleich in diesem Jahr, lässt sich aus der Routine locken, spielt überraschend intensiv und singt einen berührenden Scheiternden. Elena Zhidkova, kurzfristig als Venus eingesprungen, stürzt sich mit Feuereifer in ihren revolutionären Auftrag, Markus Eiche entdeckt die trotzige Seite Wolfram von Eschenbachs. Und Lisa Davidsen, die junge norwegische Wagner-Hoffnung, weiht sich trotz üppiger Stimme der Verletzlichkeit.

Denn bei aller munteren Geschwindigkeit, beziehungsreicher Bildmagie und lässig hingetupften Fragen nach Diversität im Opernbetrieb spielt Kratzers Inszenierung nicht im überdrehten Show-Vakuum. Das Ende wird bitter. Alle Entwürfe, alle Hoffnungen kommen zuschanden im Schatten einer Werbewand, auf der Le Gateau Chocolat für eine Nobeluhr posiert, just wie eine bekannte Operndiva. Das letzte, was Tannhäuser sieht, ist der Film seines Lebens – mit Elisabeth, die sich umgebracht hat, am Steuer. Freies Wollen, Tun, Genießen? Ein einsamer Weg. Wagner hat es geahnt, im Alter gab er zu Protokoll: Ich bin der Welt noch den Tannhäuser schuldig.

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