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Was wäre, wenn Tristan und Isolde überlebt hätten? Davon erzählt dieser Abend.

© Enrico Nawrath

Bayreuther Festspiele: Isolde kocht Kartoffelsuppe

"Diskurs Bayreuth": Dagmar Manzel und Sylvester Groth brillieren in der Uraufführung des Kammerspiels  „Nach Tristan“ - zu Akkordeonklängen.

Droben auf dem Hügel geht regelmäßig die Welt unter. „Tot denn alles! Alles tot!“ stellt König Marke fest, Zeuge des Finales der größten Liebe aller Zeiten. Drunten in der Bayreuther Fußgängerzone sind Tristan und Isolde noch am Leben und miteinander alt geworden. Auf der Bühne des charmant vor sich hin rottenden historischen Reichshof-Kinos leiden und lieben sie weiter.

Sie versuchen, frei nach Strindberg, wenigstens an diesem Abend nett zueinander zu sein. Klappt ganz gut. Manchmal grenzt das sogar, frei nach Heiner Müller, an Übergrifflichkeiten, die man fast als Flirt missverstehen könnte. Die Frage, ob sie immer noch grenzenlos glücklich sind, wie einst im Mai, lässt sich mit den implosiven Trauerrandtexten besagter Autoren schlechterdings nicht beantworten.

Hier könnte Musik helfen. Kleine Krümel aus  Richard Wagners „Tristan“-Partitur pickt Felix Kroll mit seinem Akkordeon auf und lässt sie wieder fallen. Er wandert dazu von Notenständer zu Notenständer. Meist ist die Ausbeute nur zwei Töne kurz. Doch schon ein einzige Fortschreitung, ja, nur ein Intervall reichen aus, um eines der tristanesken Leitmotive zu identifizieren, die so schön eng miteinander verwandt sind.

Kroll improvisiert. Er verdreht den Rhythmus, fügt Triller und Tanzschritte hinzu, weckt verschüttete Schlagererinnerungen. Zunächst zart, verträumt. Im Laufe der Handlung aber, wenn dieses von Ingo Kerkhof und Gerhard Ahrens kompilierte und inszenierte Zweipersonen-Kammerspiel zum Thema 154 Jahre Ehehölle plötzlich hektisch wird und in Action verfällt, kommt es zu akkordeonistischen Vulkanausbrüchen. 

Gemeine Pointen, beiläufig abgesondert

Ganz ist es mit der Ekstase bei Tristan und Isolde also noch nicht vorbei. Auf der Herdplatte dampft es, Isolde schält Kartoffeln, sie führt aufmunternde Selbstgespräche: „Ist eben so. Kann man nichts machen“ oder „Wenn man nicht mehr einatmet, ist man tot.“ Mit dem Schälmesser weist sie auf Tristan, der sich auf dem Sofa lang gemacht hat für den Mittagsschlaf: „Sagt er jedenfalls. Er muss es wissen.“

Dagmar Manzel kann so maliziös lächeln wie sonst keine. Gemeine Pointen sondert sie so unschuldig-beiläufig ab, als wären sie ein Versehen. Dagegen kann sich Sylvester Groth, ihr langjähriger Bühnen- und Filmpartner, manchmal nur wehren, indem er schweigt. 

Und das kann er großartig! Groth ist, gleich Manzel, Meister der Mimik. Zudem sind die beiden uneingeschränkte Gebieter im Reich der Nuancen und ein eingespieltes Team. Im Programmheft wird berichtet, dass Manzel und Groth einst zum gleichen Jahrgang an der Hochschule für Schauspielkunst Ernst Busch gehörten. Es taucht in Bild und Text so ausführlich zurück in die Geschichte dieser beiden großen Schauspieler, als wäre dies der eigentliche Gegenstand des Abends (darin vergleichbar Thomas Bernhards „Ritter, Dene, Voss“).  

Groth verschafft Wagners Libretto ein Update

Isolde, in die Haut der gescheiterten Ex-Schauspielerin Alice aus Strindbergs „Dödsdansen“ schlüpfend, sagt, zum Beispiel, sie könne doch eigentlich so gut wie alles spielen: „… die Penthesilea, das Gretchen…“ Tristans Blick spricht Bände. Ihrerseits erträgt sie es mit Nachsicht, wenn er, seitenweise aus Wagners Libretto rezitierend, den „hochgepriesenen Mann“ beweihräuchert: das „Wunder aller Reiche, den Helde ohne gleiche, des Ruhmes Hort und Bann.“

Groth verschafft dem verschraubten Text ein Upgrade, er verleiht ihm eine modern anmutende, poetische Qualität. Manzel bindet dem Helden fürsorglich die Fliege. Später erzählen sie einander Zoten. Sie sterben, jeder für sich, einen fantastischen Theatertod, inklusive Auferstehung. Sie stellen sich neben sich, sie treten einander zu nahe.

Sie singen ein Duett von Eduard Künneke

Sie singen sogar. Sie, lieblich, ein bisschen Wagner. Beide zusammen das Couplet von der Gräfin und dem Herzog aus der Operette „Liselott“ von Eduard Künneke „Wie sind wir beide vornehm“ –  eine Camouflage-Einlage, die Gustav Gründgens 1932 für sich ersonnen hatte. Bleibt ihnen aber nicht im Halse stecken.

Es ist dies, kurzum, ein durch und durch böser, leichter, zauberhaft sinnverwirrender Abend. Kerkhof und Ahrens haben, nach Fragmenten aus Wagners „Tristan“, Müllers „Quartett“ (nach den „Gefährlichen Liebschaften“) sowie Strindbergs „Totentanz“  ein Pasticcio erschaffen, in dem Ironie sich kreuzt mit tieferer Bedeutung. Man kann nur hoffen, dass sie demnächst auf Gastspielreise damit gehen, noch gibt es dafür keine Pläne. Für die Bayreuther Festspiele indes, die diese Uraufführung im Rahmen der Reihe „Diskurs Bayreuth“ gestemmt haben, ist „Nach Tristan“ das probate Antidot.

Eleonore Büning

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