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Im Zuge der Neugestaltung der dahindämmernden Friedrichstraße entstand dieser Entwurf für die Spreeterrassen von Karl-Ernst Swora. Das Modell von 1987 ist Teil der Ausstellung.

© Berlinische Galerie, Digitalisierung: Anja Elisabeth Witte

Bauen in Ost und West: Berlin als Architekturlabor der Postmoderne

Die Ausstellung „Anything Goes“ in der Berlinischen Galerie blickt auf Architektur in Ost und West.

Die 1980er Jahre waren das letzte Jahrzehnt der Teilung Berlins. Es scheint so weit weg wie ein Märchen aus uralten Zeiten. Ausstellungen von prägenden Fotografen dieser Zeit, ob Michael Schmidt für den West- oder Harald Hauswald für den Ostteil der Stadt, erfuhren im vergangenen Herbst den Zulauf staunender Besucher: Was denn, so sah das damals aus?

Aus der Perspektive des vereinten Berlin erscheinen die Mauerjahre wie eine stillgestellte Zeit. Meisterlich kommt dieses Gefühl in dem Halbstundenfilm „Cycling the Frame“ zum Ausdruck, den die britische, in Berlin lebende Regisseurin Cynthia Beatt 1988 mit der jungen Tilda Swinton drehte.

Dieser wunderbar poetische Film wird in der Berlinischen Galerie gezeigt, im Rahmenprogramm der Ausstellung „Anything Goes?“, die – so der Untertitel – „Berliner Architekturen der 1980er Jahre“ vorstellt.

Stillstand und zugleich drängender Aufbruch – so ließe sich dieses Jahrzehnt im Spiegel seiner Architekturproduktion charakterisieren. Denn es stand ja etwas Besonderes an, das Stadtjubiläum von 1987, nicht wirklich im Bewusstsein der Berliner verankert, aber von der Politik im Zeichen der Systemkonkurrenz zur großen Sache erklärt.

Zuvor schon gab es im Westen die „Internationale Bauausstellung“, die IBA, die für das Jahr 1984 geplant war und ins Jubeljahr 1987 hinüberwucherte. Kaum bekannt ist, dass auch im Ostteil eine Bauausstellung abgehalten wurde, im Sommer 1987 und damit im Schatten der Jubiläumsfeierlichkeiten. In deren Zentrum stand das eher neu- als wiederaufgebaute, für den Osten sensationell nostalgische Nikolaiviertel, nach seinem Chefarchitekten Günter Stahn vom Volksmund sogleich als „Stahnsdorf“ bespöttelt.

Ausstellung lebt von Modellen

Die Ausstellung der Berlinischen Galerie, gestaltet von der Leiterin der Architektursammlung Ursula Müller, vermeidet es klug, sich auf die Höhepunkte zu kaprizieren. So wichtig die Bauausstellungen hüben wie drüben auch waren – sie spiegeln nicht die Masse des Baugeschehens, das zumal im Osten mit den Neubauvierteln in Marzahn, Hellersdorf und Hohenschönhausen gigantisch anwuchs.

Das waren drei nacheinander gebildete Stadtbezirke, die den Neu-Bewohnern so etwas wie Heimatgefühl geben sollten, wo sich schon die normierten Plattenbauten nicht voneinander unterschieden. Welcher List es bedurfte, dennoch so etwas wie das „Gesellschaftliche Hauptzentrum“ der „Marzahner Promenade“ von einem Planungskollektiv abseits der Serienfertigung der „Platte“ entwerfen zu lassen, schildert der überaus lesenswerte Ausstellungskatalog, der eine Lücke an Literatur zu Gesamtberlin schließen hilft.

[Berlinische Galerie, Alte Jakobstr. 124-128, bis 16. August, Eintritt nur mit vorheriger Online-Anmeldung: berlinischegalerie.de, begrenzte Besucherzahl, Katalog (Kerber Verlag) 45 €.]

Die Ausstellung selbst lebt von den Modellen, die Architekten und Stadtplaner zu ihren Entwürfen anfertigen und den meist unerreichten Idealzustand vorführen. Das gilt für Ost wie West. In beiden Stadthälften hatte zumal der Wohnungsbau den Abriss alter und heruntergewirtschafteter Stadtquartiere zur Voraussetzung.

Dass die Proteste dagegen im Westen lautstärker ausfielen als im Osten, lag in der Natur der jeweiligen Regierungssysteme; aber gegeben hat es sie in beiden Stadthälften. Auch die zögerlichen Anfänge, den Altbestand zu retten und wieder bewohnbar zu machen, gab es auf beiden Seiten; sie datieren zurück auf die Signalwirkung des Denkmalschutzjahres 1975.

Die Zeichen standen auf Postmoderne

Vor allem aber waren die achtziger Jahre eine Zeit des Experimentierens – eines geradezu fröhlichen Ausprobierens, denn Geld spielte eine geringere Rolle als je zuvor. Im Westen lockte die anstehende IBA die Avantgarde der westlichen Architektur, und nahezu jeder, der wollte, durfte in den Gebieten von „IBA-Neu“ bauen, von Aldo Rossi über Charles Moore bis zu Rem Koolhaas – oder Álvaro Siza, der das als wütende Kritik gemeinte Graffito „Bonjour Tristesse“ an seinem Kreuzberger Eckhaus von 1984 als Markenzeichen vereinnahmte.

Die Zeichen standen auf Postmoderne, dem Spiel mit Architekturzitaten und Versatzstücken, das vor allem Rob Krier unablässig vormachte; von ihm stammen einige bunte Stadtvillen am Tiergartensaum. Niemand beherrschte es so meisterlich wie James Stirling mit dem Wissenschaftszentrum: kein genuines Vorhaben der IBA, aber doch in deren Geiste.

Ganz ähnlich trug sich’s im Osten zu; und das eindrucksvoll herauszuarbeiten, ist ein Verdienst der Ausstellung. Ursula Müller ist es gelungen, das etliche Quadratmeter große Stadtmodell der Friedrichstraße (Ost) nebst angrenzenden Bauten zu beschaffen. Es zeigt, was die Planer vom VEB Ingenieurhochbau Berlin als sozialistische Amüsiermeile erdachten.

Im Westen war mehr Partizipation angesagt

1985 in Angriff genommen wurden die „Friedrichstadtpassagen“ von Manfred Prasser und Peter Weiß, deren weit gediehener Rohbau nach 1990 eilig abgerissen wurde. Darin hätten Palmengarten, Nachtbar und – ganz wichtig! – ein „Jeansladen“ Platz finden sollen, Teil einer 105 Geschäfte und 44 Gastronomiebetriebe umfassenden Neugestaltung der dahindämmernden Friedrichstraße.

Bereits 1981 realisiert wurde in ihrem nördlichem Abschnitt der „Friedrichstadtpalast“, der mit seinem bunten Dekor – als „Hauptbahnhof von Aserbaidschan“ verulkt – das Vorbild abgab für weitere geplante „Sondervorhaben“ der „Hauptstadt der DDR“.

Im Westen war mehr und mehr „Partizipation“ angesagt, so bei den „Ökohäusern“ von Frei Otto oder dem IBA-Block 70 am Kreuzberger Fraenkelufer von Inken und Heinrich Baller, Letzterer als Teil der „IBA-Alt“ unter der Leitung des wortmächtigen Hardt-Waltherr Hämer.

Für die rückwärtige Bebauung entlang der hundert Meter langen Brandwand eines gründerzeitlichen Gewerbehofes bedurfte es einer Sondergenehmigung. Die Grundsteinlegung erfolgte 1982 unter Polizeischutz – heute steht der weitläufige Komplex unter Denkmalschutz. So ändern sich die Zeiten.

Auch die Bewohner ändern sich und ihre Meinungen. Wie, das hat die Gruppe Guerilla Architects erfragt, die einen eigenen Saal in der Berlinischen mit den Ergebnissen ihrer Recherche in Ost und West bespielt. Letztlich sind alle damit zufrieden, wie sie wohnen, ob im Energiesparhaus („diese Ruhe, die Vögel“) oder am Thälmann-Park („wie ein Sechser im Lotto“). Es war nicht alles schlecht in diesen so seltsamen Achtzigern, ganz im Gegenteil.

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