zum Hauptinhalt
Verheddert. Markus Brück in der Rolle des Macbeth und Tatiana Serjan als Lady Macbeth.

© Monika Rittershaus/Opernhaus Zürich

Barrie Koskys "Macbeth" in Zürich: Züchte Raben

Die Nackten und die Totenvögel: Barrie Kosky inszeniert Verdis „Macbeth“ in Zürich als radikal reduziertes Kammerspiel.

Die Bühne ist schwarz und leer. Schmale Lämpchen markieren in gähnender Finsternis einen Tunnel, der sich im Unendlichen zu verlieren scheint. Sind wir unter der Erde? Oder in einer ewigen Nacht der triebhaften menschlichen Existenz?

In der ersten Szene liegt im Züricher Opernhaus vorne eine Leiche auf der Bühne, bedeckt mit toten Vögeln. Dann taucht aus dem Tunnel langsam eine seltsame Gruppe auf. Eine Schar nackter Bewegungsstatisten, die mit doppelten, vertauschten Geschlechtern schockieren. Denn die Frauen tragen männliche Geschlechtsteile, baumelnde Gemächte, alte Männer erschlaffte Brüste. Verwirrende, bizarre Albtraumwesen, deren Erscheinungen durch Videoüberblendungen noch vieldeutiger werden. Sie sammeln die toten Vögel ein. Es sind Krähen, die Totenvögel, und die Leiche entpuppt sich als lebender Macbeth, der ganz am Ende Federn blutet statt Theaterblut. Dann singen die Hexen ihre fatalen Prophezeihungen. Es wispert und geifert irritierend diffus, als wären die Hexen überall im Opernhaus, nur nicht auf der Bühne. Tatsächlich sind dort nur Macbeth und die Nackten.

Kein schottisches Schloss also, kein Bankett, keine Hexen, nicht mal ein richtiges Gemetzel: Barrie Kosky räumt in Guiseppe Verdis düsterster, grausamster Oper mutig auf. Er verlegt das Geschehen ganz ins Innere des mörderischen Paares und lenkt den Blick auf die fatale Dynamik ihrer symbiotischen Beziehung. Damit gelingt dem Intendanten der Komischen Oper Berlin ein grandios konzentriertes Kammerspiel, wie man es packender nie sah. Ein ganz großer Wurf, der gewiss Rezeptionsgeschichte schreiben wird.

Die packende Intensität lässt einen betäubt zurück

Denn in seltener Harmonie mit dem Graben kocht Kosky den sattsam bekannten Repertoire-Klassiker zu einem giftigen, hoch wirksamen Destillat ein, das in seiner packenden Intensität wie betäubt zurücklässt. Kosky macht aus Hexen Erscheinungen, ja selbst aus den blutigen Morden ein reines Kopftheater, das wie aus dem Nichts zu kommen scheint und in der Schwärze des Nichts auch wieder verschwindet. Die Nackten fungieren dabei als Macbeth’ fleischgewordene Dämonen, die ihn bedrängen, manchmal aber auch das Geschehen bloß flankieren und stumm den Chor ersetzen, der fast ausschließlich aus dem Off tönt.

Mit diesem radikalen szenischen Minimalismus überrascht Kosky vielleicht jene, die sich von seiner Operettenliebe und trashig-schrillen Revue-Ästhetik womöglich auch für „Macbeth“ ein wenig Konkretion und wenigstens in der Bankett-Szene eine gewisse Opulenz versprochen hatten. Dass er nun in Zürich stattdessen die Reduktion auf die Spitze treibt, verdankt sich auch seinem mehr als kongenialen Counterpart im Graben: Mit dem aus Griechenland stammenden Wahl-Russen Teodor Currentzis dürfte Kosky seinen Traumpartner gefunden haben. Einen Bruder im Geiste, der von der ersten Bühnenprobe an in Zürich anwesend war – was unter Dirigenten seiner Klasse ein Luxus ist – und jeden einzelnen Ton in den Dienst des dramatischen Bühnengeschehens stellt.

Den Mut zur Hässlichkeit hätte Verdi sich gewünscht

Currentzis raut Verdis Partitur auf, radikalisiert grelle, vulgäre Klänge noch und entwickelt auf seine Weise alles aus dem Nichts. Sprich, aus einem gepressten, lauernden Piano heraus, das jedes explosive Forte umso brutaler klingen lässt. Auch die Sänger ermuntert er zu flüsterndem Sprechgesang, lässt kreatürliche Atemgeräusche, Seufzen und Stöhnen hörbar werden, und entwickelt selbst große Kantilenen aus einem dramatisch gesprochenen Duktus. All’ das aber nicht aus Mutwillen, sondern im Geiste Verdis, der sich seinerzeit eben jenen Mut zur Hässlichkeit gewünscht hatte. Currentzis entdeckt gleichsam ein neues Stück. Gefährlicher, schwärzer, nihilistischer, als man es je gehört hat.

Die Sänger lassen sich mit Haut und Haar auf das kompromisslose Konzept ein: Markus Brück ist ein irrlichternder Macbeth, der seinen ungeheuer modulationsfähigen Bariton bis an die Grenzen belastet. Tatiana Serjan ist eine imposante Lady, die selbst ihre mörderischen Koloraturen und Spitzentöne aus dem Piano heraus entwickelt, Wenwei Zhang ist ein profunder Banco und Pavol Breslik ein grandioser Macduff. Am Ende bricht in die über Stunden durchgehaltene gespannte Stille ein gewaltiger Jubelorkan. Ein denkwürdiger Abend.

Opernhaus Zürich, bis 7. Mai, Vorstellungstermine unter: www.opernhaus.ch

Regine Müller

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false