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Mariam Said, Edward Saids Witwe, engagiert sich für die Akademie. „Der Maestro sagte nur: ‚Wir werden eine Akademie bauen', und ich sagte: ‚Gute Idee'“. Barenboim erkenne eben Potenziale, die andere, auch sie als „vorsichtige Person“, nicht sehen.

©  Mike Wolff

Barenboim-Said-Akademie in Berlin: "Es geht darum, einander wirklich als Menschen zu verstehen"

Mariam Said im Gespräch über das Engagement und das Vermächtnis ihres verstorbenen Mannes Edward Said, der den Kampf für Humanismus nie aufgab.

Die Vorstellung ist schön, wie Mariam Said eines Abends einen Anruf von Daniel Barenboim erhält, und er fragt: „Ich hatte die Idee für eine Barenboim-Said Akademie in Berlin, was hältst Du davon?“ Allein, so war es nicht, erzählt Mariam Said und lacht. „Der Maestro sagte nur: ‚Wir werden eine Akademie bauen', und ich sagte: ‚Gute Idee'“. Barenboim erkenne eben Potenziale, die andere, auch sie als „vorsichtige Person“, nicht sehen. „Er hat denselben Weitblick, den auch mein Mann hatte“, sagt Said. „Sie sind einander in vielem sehr ähnlich.“

Doch von einer Barenboim-Said Akademie sprach Edward Said nicht mehr. Der Literaturwissenschaftler und Intellektuelle starb bereits im September 2003, vier Jahre, nachdem das West-Eastern Divan Orchestra entstand; seither führt seine Witwe Mariam seine Ideen weiter, engagiert sich im Orchester und in der Barenboim-Said-Stiftung. „Solange mein Mann lebte, stand die Akademie nicht zur Diskussion“, sagt sie. „Aber so wie ich ihn kenne, bin ich mir sicher, dass er eine Vision dieser Art hatte.“

Die Vision einer Akademie, an der nicht nur Musik, sondern auch Philosophie, Geschichte und Literatur gelehrt wird, hätte jedenfalls zu Edward Said gepasst – schließlich war er selbst hauptberuflich Literaturprofessor. Bekannt ist er freilich für seine Vorträge und Bücher, allen voran sein Hauptwerk „Orientalism“ aus dem Jahr 1978, in dem er, US-Amerikaner palästinensischer Herkunft, dem Westen die Vorurteile und Stereotype vorhält, mit denen der den Nahen Osten betrachte; seine Frau sagt etwas versöhnlicher, er habe einfach „beide Seiten einander erklären wollen“.

"Ein dauerhafter Frieden ist leider ein seltener Zustand. Aber den bewaffneten Konflikt zu beenden, ist schon ein lohnenswertes Ziel. Und dazu kann die Akademie beitragen" sagt Mariam Said. Das Foto zeigt israelische Grenzpolizei und palästtinensische Frauen an einem Checkpoint bei Betlehem.
"Ein dauerhafter Frieden ist leider ein seltener Zustand. Aber den bewaffneten Konflikt zu beenden, ist schon ein lohnenswertes Ziel. Und dazu kann die Akademie beitragen" sagt Mariam Said. Das Foto zeigt israelische Grenzpolizei und palästtinensische Frauen an einem Checkpoint bei Betlehem.

© REUTERS

Unter anderem beklagt Said sich in „Orientalism“ darüber, dass in der „elektronischen, postmodernen Welt“ selbst die einfachste Beobachtung über Araber oder den Islam „zu einer hochpolitischen, geradezu wilden Angelegenheit wird“. An dieser Analyse hat sich wenig geändert: Heute beklagt sich seine Frau darüber, dass die Barenboim-Said Akademie, ebenso wie das Orchester, als politisches Projekt verstanden wird, obwohl es um etwas ganz anderes gehe. „Die Idee, die hinter der Akademie steht, ist eine humanistische. Das ist es, worüber mein Mann schrieb, sprach, arbeitete, sein Leben lang.“ Humanismus war für Edward Said „die letzte Verteidigungslinie, die wir haben“, für seine Frau das Herz der Akademie, ausgedrückt in Musik. „Das Projekt erweitert sich mit der Akademie, aber die Idee bleibt dieselbe: Als Gleiche zusammenkommen, Musik machen und versuchen, den anderen und damit die Welt besser zu verstehen.“

"Versöhnung gibt es nur unter Gleichen"

Als Gleiche zusammenkommen ist dabei zentral, in einem Orchester sind ja schließlich auch alle gleich – passt aber nicht zur Aussage der deutschen Kulturstaatsministerin Monika Grütters (CDU), die Akademie sei auch Bestandteil eines „großen Versöhnungsprojektes mit dem jüdischen Volk“. Said, gebürtige Libanesin, erklärt dann auch: „Bei Projekten wie diesen spielt Geschichte eine Rolle, aber hier geht es vor allem um die Gegenwart und die israelisch-arabische Geschichte.“ Versöhnung gebe es nun einmal nur unter Gleichen, „wenn die Musiker miteinander spielen, erkennen sie einander als ebenbürtig an“.

Ähnlich kritisch sieht sie die Aussage der Bundesregierung, die Akademie zu unterstützen sei Teil der Friedenspolitik im Nahen Osten: „So sehr ich mich über die Absicht der deutschen Regierung freue, und so dankbar ich für diese Unterstützung bin, erscheint Frieden doch kein realistisches Ziel zu sein. Das betrifft nicht nur den Nahen Osten. Ein dauerhafter Frieden ist leider ein seltener Zustand. Aber den bewaffneten Konflikt zu beenden, ist schon ein lohnenswertes Ziel. Und dazu kann die Akademie beitragen.“

Den Konflikt beenden durch Musik? „Mein Mann glaubte immer, dass der wohl einzige Weg, dieses Problem zu lösen, in alternativen Wegen liegt. Vielleicht kann die junge Generation, der diese Möglichkeit gegeben ist, über alternative Wege nachdenken.“

Bisher gehe es vor allem darum, „ein kleines Fenster zu finden, in dem wir zeigen können, dass für uns als Menschen die Dinge nicht so sein müssen, wie sie sind“.

Daniel Barenboim übt mit einem jungen Musiker 2004 an der Friends Boys School in Ramallah in Palästina in einem Workshop für Palästinenser.
Daniel Barenboim übt mit einem jungen Musiker 2004 an der Friends Boys School in Ramallah in Palästina in einem Workshop für Palästinenser.

© AFP

Es habe aber Zeit gebraucht, um musikalisch „die Barrieren zu durchbrechen“, und natürlich gebe es auch heute noch Spannungen; gerade in politisch aufgeladenen Zeiten müsse das Orchester oft immer wieder ganz von vorne anfangen. „Aber es geht ja auch nicht darum, einander zu umarmen und auf Facebook ‚Ich liebe dich' zu schreiben. Es geht darum, einander wirklich als Menschen zu verstehen.“

Und natürlich Musik zu machen – gerade für Edward Said immer ein Kernelement, galt er doch selbst als hochbegabter Laien-Pianist. „Mein Mann verdankte der Musik sehr viel“, erzählt Mariam Said, „denn erst durch Musik lernte er als Kind, sich zu konzentrieren“. So hat die Barenboim-Said-Stiftung eine Musikschule in Nazareth angeschoben und betreibt heute noch einen Musikkindergarten und ein Musikzentrum in Ramallah; stolz berichtet Mariam Said, dass ein Absolvent dieses Zentrums nun zur Akademie zugelassen wurde, und das Ziel ist natürlich auch, dass Akademie-Absolventen im Orchester mitspielen. Das ist auch aus einem anderen Grund wichtig: Durch die Kriege in Syrien und im Irak fehlen zunehmend hoch qualifizierte Musiker aus arabischen Ländern.

„Mein Mann glaubte immer, dass der wohl einzige Weg, dieses Problem zu lösen, in alternativen Wegen liegt. Vielleicht kann die junge Generation, der diese Möglichkeit gegeben ist, über alternative Wege nachdenken“, sagt Mariam Said, Witwe von Edward Said.
„Mein Mann glaubte immer, dass der wohl einzige Weg, dieses Problem zu lösen, in alternativen Wegen liegt. Vielleicht kann die junge Generation, der diese Möglichkeit gegeben ist, über alternative Wege nachdenken“, sagt Mariam Said, Witwe von Edward Said.

© Mike Wolff

Der Traum, in jedem Herkunftsland eines Orchestermusikers einmal zu spielen, ist jedenfalls erst einmal „entgleist“, sagt Said. Im Gegenteil: In seiner derzeitigen Zusammensetzung darf das Orchester in keinem Herkunftsland eines seiner Musikers auftreten. „Als das Projekt begann, war viel mehr Hoffnung in der Welt“, sagt Said.

Und dann erzählt sie: Das letzte Buch ihres Mannes behandelte Humanismus und Demokratie. Als es erschien, kurz nach dem US-Einmarsch in den Irak, sagten die Leute: „Humanismus wird sich nicht durchsetzen.“ Und Edward Said entgegnete: „Wir werden es weiter versuchen.“

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