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Energisch. Regisseurin Barbara Albert lebt jetzt am Landwehrkanal.

© David Heerde

Barbara Albert: Rebellion und Feierlaune

Von Wien nach Berlin: Die Regisseurin Barbara Albert lehrt Film und macht selber Filme. Am Donnerstag kommt von ihr „Die Lebenden“ ins Kino. Eine Begegnung.

Mit zügigen Schritten, den prallen Rucksack auf dem Rücken, die Haare im Wind, kommt Barbara Albert über die Admiralbrücke am Landwehrkanal geeilt. Ihr energischer Auftritt erinnert an Sita, die junge Frau im Mittelpunkt ihres Donnerstag ins Kino kommenden Films „Die Lebenden“, die sich in Wien, Warschau und im rumänischen Siebenbürgen auf den Trip begibt, ein heikles Familiengeheimnis zu lüften.

Unterwegs sein, auf der Suche sein, das ist ein Lebensgefühl, das die Wiener Regisseurin kennt. Seit „Nordrand“, ihrem Debüt, das ihr viele Auszeichnungen und den Ruf einer neuen österreichischen Regie-Hoffnung eintrug, hat sich Barbara Albert ein Gespür fürs Driften bewahrt, für die innere Unruhe ihrer Protagonistinnen, die zwischen Rebellion, Feierlaune und Absturz schwanken. „Nordrand“, „Böse Zellen“, „Fallen“ und „Die Lebenden“ kreisen alle um junge Frauen, die verletzende Erfahrungen verdrängen, kaum eine Zukunft vor sich sehen, dafür aber umso heftiger durch die Jetzt-Momente taumeln, in die Barbara Alberts Filme ihr Publikum hineinziehen.

Ein Stück eigene Geschichte und Erfahrung fließt immer ein, wenn man einen Film schreibt, inszeniert und selbst produziert, sagt die Regisseurin. „Die Lebenden“ fußt gar auf einem heiklen Familiengeheimnis. Zehn Jahre brauchte sie insgesamt, um die lange verschwiegene Geschichte ihres Großvaters ans Licht zu bringen. Er war als Volksdeutscher im rumänischen Siebenbürgen während des Zweiten Weltkriegs in die SS gezwungen worden. Seit 1945 lebte ihre Familie in Wien und verschwieg ihre Vorgeschichte. „In Österreich halten sich alle für die Opfer des Hitler-Regimes. Meine Elterngeneration setzte sich nicht mit der eigenen Mitverantwortung auseinander und die Jüngeren sagen inzwischen, sie hätten genug davon gehört, obwohl es nicht so ist.“ Wo und wie der Großvater unschuldig schuldig wurde, kann die Enkelin in „Die Lebenden“ erst herausfinden, als sie sich dem Ungeheuren stellt und eine lange Reise auf der Suche nach der Wahrheit beginnt.

„Die Verantwortung zu übernehmen, ist mir wichtig“, erklärt Barbara Albert die Idee. „Ohne Vorwurf zu fragen und am Ende das Wissen um die eigene Identität annehmen zu können, darum ging es mir.“ Aber mehr noch, als sich selbst in ihrem Film wiederzufinden, interessiert sie, wie man von unserer komplizierten Wirklichkeit im Kino erzählen kann.

Ihr Interesse an Filmen von Frauen ist mit der Zeit gewachsen

Energisch. Regisseurin Barbara Albert lebt jetzt am Landwehrkanal.
Energisch. Regisseurin Barbara Albert lebt jetzt am Landwehrkanal.

© David Heerde

Barbara Albert hat einen Tag an der Filmhochschule in Potsdam-Babelsberg hinter sich. Sie ist dort Professorin für Filmregie, „eine halbe“, sagt sie, um Zeit für eigene Projekte auch in Zukunft zu finden. Seit drei Jahren lebt sie mit ihrem Lebensgefährten und ihrem sechsjährigen Sohn in Berlin. Die Gegend zwischen Landwehrkanal und Hermannplatz ist ihr nach vierzig Jahren Wien und zahllosen Reisen zum neuen Lebensmittelpunkt geworden. „Es schärft den Blick, die Stadt zu wechseln.“ Berlin sei ein europäisches New York, meint sie: „Ich kann hier mit vielen Menschen ins Gespräch kommen und doch anonym bleiben. In Wien dagegen ist die soziale Kontrolle viel massiver.“ Schon in den Jahren nach der Wende besuchte sie oft Freunde in besetzten Berliner Häusern und genoss die Aufbruchsstimmung. „Aber eine Rebellin war ich nicht, ich habe lieber beobachtet und mir Geschichten ausgedacht.“ Jetzt bemerkt sie bei ihren Studenten, wie schwierig es ist, an Zeit- und Filmgeschichte anzuknüpfen. „Wir machen gerade einen Kurs über die Frage, was eigentlich realistisches Erzählen im Film ist.“

Barbara Albert zählt mit Jessica Hausner, Valeska Grisebach und weiteren Regisseurinnen zu einem Absolventenjahrgang, der Anfang des neuen Jahrtausends als vielversprechende Frauenriege bekannt wurde. Mit Jessica Hausner und zwei Kollegen gründete Barbara Albert eine Produktionsfirma, Coop99, die ihren Ruf als Autorenfilmerin festigen half. „Ich kann nicht jammern, ich kann nämlich weiterarbeiten, während viele Regisseurinnen in Zeiten des knappen Geldes keine Förderung finden.“ Seit den ersten Schritten in die Praxis wurde ihr klar, dass Frauen kaum eine Lobby besitzen und sich daher schwerer durchsetzen können. „Anfangs hatten meine Wiener Kolleginnen und ich kein sehr starkes Interesse an Frauenfragen, eher ein Gespür für unsere Sicht auf die gesellschaftlichen Verhältnisse. Wir kannten nicht mal Filme von Regisseurinnen, die unsere Vorbilder sein könnten. Im Lauf der Zeit ist mein Interesse daran gewachsen.“

Als Barbara Albert in den 90er Jahren in Wien ihr Regiestudium aufnahm, brachte der ausländerfeindliche Wahlkampf des rechtskonservativen Jörg Haider ihre Clique auf. Das Kino, meinten sie damals, müsse diese bösartige Stimmung besser auf den Punkt bringen, als es die angepasste Presse Österreichs vermochte. „Ich habe mich schon als Kind fürs Geschichtenerzählen interessiert“, erzählt die 1970 geborene Wienerin. „Zunächst wollte ich Journalistin werden, hielt aber die Medien für verlogen. Das sekundäre Erzählen war nichts für mich, und so kam ich zum Filmstudium.“

Heute pendelt Barbara Albert zwischen Filmemachen, Filmlehre und Familie. Ihr Lebensgefährte und sie teilen sich die Verantwortung für ihr Kind. So zu leben, hat ein völlig anderes Gefühl für das Wechselspiel von kindlichem Anarchismus und lebenslanger Elternverantwortung hervorgerufen. „Wenn du ein Kind bekommst, machst du eine Tür auf, die sich hinter dir schließt, und du kannst nie mehr zurück.“ Dieses Bild gefällt ihr, es löst neue Geschichten aus. Berlin, meint Barbara Albert, schafft die nötige Distanz fürs Schreiben. Sie würde gern noch auf einen Kaffee bleiben, aber sie muss los, ihren Sohn abholen und den nächsten Kurs vorbereiten.

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