zum Hauptinhalt
Selbstreflexion. Maria Lassnig 1974 bei einer Ausstellungseröffnung in New York vor ihrem Gemälde „Doppelselbstporträt mit Kamera“.

© Archiv Maria Lassnig Stiftung

Band zu Maria Lassnig: Selbstporträt als niesende Freiheitsstatue

Erstmals gesichert und kommentiert: Ein neuer Band würdigt das filmische Werk der österreichischen Malerin und Medienkünstlerin Maria Lassnig.

„Oh, why did I make this picture?“, fragt sich Maria Lassnig in einem schläfrigen Singsang, der sich mit ihrem schweren österreichischem Akzent zu einer ganz eigenen Melodie verbindet – „To veil or to reveal, to reveal my heart, the feeling or not become a wood head, a machine, a camera?“ In „Selfportrait“ (1971), wie fast alle ihrer Filme während der New Yorker Jahre entstanden, zeigt sich die Künstlerin in ständiger Metamorphose.

Im Laufe des Films ist ihr gezeichnetes Gesicht leere Fläche, Greta Garbo, Beatmungsgerät, Bette Davis, Holzbrett, Käse, niesende Freiheitsstatue, Ananas und Filmkamera. „It’s not easy to look out of your eyes“ ist auf einer Zeichnung zu lesen, auf der die Augen durch Fenster mit halb zugezogenen Rollläden ersetzt wurden.

Die obsessive Selbstbefragung und das Sichtbarmachen von Körperempfindungen ziehen sich als Hauptmotiv nicht nur durch Lassnigs malerisches Werk. Im einminütigen Film „Encounter“ (1970) robbt ein fuchsiafarbener anthropomorpher „Blob“ mit Lassnig-Profil durchs Bild, bevor er einem stachligen blauen Wesen begegnet.

Nach einem Moment der Panik lässt die Lassnig-Gestalt die unbelebte Materie hinter sich. Einmal mehr inszeniert sich die Künstlerin in Kollision mit der herrschenden Geschlechterordnung und den ihr innewohnenden Kommunikationsverfehlungen.

Anders als „Selfportrait“ und „Maria Lassnig Kantate“ (1992), eine persönliche Lebensgeschichte in 14 Strophen, zählt „Encounters“ zu ihren posthum veröffentlichen Filmen. Diese schlummerten Jahrzehnte lang auf einem Dachboden, nun liegen sie erstmals als DVD vor, ergänzt um eine sorgfältig zusammengestellte Publikation.

Das filmische Werk ist keineswegs homogen

Die Essays stellen ihr Werk in den Kontext des US-amerikanischen Experimentalfilms und der feministischen Bewegung; Lassnig gehörte der Women/Artist/Filmmakers Inc. an, einem Netzwerk, das sich für die Sichtbarkeit von Künstlerinnen in der männlich dominierten Kunstszene einsetzte.

Darüber hinaus enthält das Buch aber auch Gespräche zu den Herausforderungen der Nachlassarbeit. Das Material war auf verschiedenen Filmrollen verstreut und teilweise nur von Malerkrepp zusammengehalten. In einem mühevollen Prozess wurde es auf der Basis von handschriftlichen Notizen aufgearbeitet und editiert.

[Maria Lassnig. Das filmische Werk. Hrsg. von Eszter Kondor, Michael Loebenstein, Peter Pakesch, Hans Werner Poschauko, Synema, Wien 2021, 24 Euro]

Angeblich soll sich die gebürtige Kärntnerin nach ihrer Ankunft in New York Anfang der 1970er-Jahre als erstes einen Kühlschrank gekauft haben, als zweites einen Fernseher und als drittes eine Filmkamera. Beim Animationspult im Atelier wurde improvisiert.

Bei allen wiederkehrenden Motiven und einem gewissen „Lassnig-Touch“ ist das filmische Werk keineswegs homogen. Genres, Erzählansätze und Tonlagen wechseln ebenso wie Techniken.

Abarbeiten an Rollenbildern

Lassnig arbeitete mit Doppelbelichtungen und Legetricks, sie filmte in studiohaften Settings und in der Natur. Neben den Trickfilmen – Lassnig zog den englischen Begriff Animationsfilm vor, „weil ich lieber mit ‚Belebung’ oder ‚Beseelung’ zu tun habe als mit Kniffen und Tricks“ – entstanden experimentelle dokumentarische Arbeiten, etwa die am Set von Coppolas „Der Pate 2“ gedrehte Trilogie „Godfather“ (1974) und der verrutschte Märchenfilm „The Princess and the Shepherd. A Fairytale“ (1976-78). Tanz spielt oft eine zentrale Rolle, bevorzugt setzt sie klassische Musik ein: Händel, Webern, Schönberg, Sibelius. Sie verleiht den Filmen eine fast epische Qualität.

[Behalten Sie den Überblick: Jeden Morgen ab 6 Uhr berichten Chefredakteur Lorenz Maroldt und sein Team im Tagesspiegel-Newsletter Checkpoint über die aktuellsten Entwicklungen rund um das Coronavirus. Jetzt kostenlos anmelden: checkpoint.tagesspiegel.de.]

Lassnigs Abarbeiten an Rollenbildern und Geschlechterhierarchien zieht sich als Spur auch auch durch ihre Filmnotizen, Auszüge davon sind im Buch als Faksimile abgedruckt. Zu „Dog Film“ heißt es etwa: „Männer als dogs streben zum Futternapf, verbellen u. beißen einander“. Und zum Märchenfilm notiert sie eine „Spaßlösung (Emanzipation)“. Tatsächlich ist Lassnig Feminismus stets von der gelebten Erfahrung her gedacht.

In der Frauenporträtserie „Soul Sisters“ zeichnet sie mit verschiedenen Mitteln vier weibliche Lebensentwürfe nach. „Bärbl“ (1974/79) ist ein dokumentarisches women’s picture mit leicht melodramatischem Unterton. Man sieht die Freundin der Künstlerin beim Bügeln, Geschirrspülen, mit ihren Kindern am Kärntner See und ihrem Freund. Bärbl ist eine oft traurige Frau mit vielen Talenten, aber wenig Ambitionen – „it’s a pity“, bedauert Lassnig ganz ohne Vorwurf.

Die Frauenakte „Iris“ (1971) und „Alice“ (1974/79) sind dagegen eine Feier des weiblichen Körpers; bei ersterem wird die Protagonistin durch den Einsatz von spiegelnder Kunststofffolie vervielfältigt. (Selbst)Reflektionen ziehen sich auch durch den autobiografischen Essayfilm „Stone Lifting. A Self portrait in progress“ (1971-75). Bei einer Ausstellungseröffnung in New York sieht man Lassnig vor ihrem bekannten Gemälde „Doppelselbstporträt mit Kamera“ von 1974. Mit der Hand macht sie eine kurbelnde Bewegung.

Esther Buss

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false